Arbeitsmarkt:Ausländische Fachkräfte lieben München

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Dem Ingenieur ist nichts zu schwör - aber es gibt zu wenige davon in Deutschland. Einwanderung soll Abhilfe schaffen. (Foto: Kasper Ravlo/IMAGO/Zoonar)

Deutschland braucht dringend mehr Ingenieure. Ohne Einwanderer lässt sich die Lücke nicht schließen. Aber die begehrten Migranten sind wählerisch - und meiden manche Region.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Großraum München lockt ausländische Ingenieure, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind solche Fachkräfte dagegen absolute Exoten. Dies zeigt eine Untersuchung, die der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Dienstag vorgestellt haben. Deutschland braucht dringend mehr Ingenieure, und Einwanderung aus dem Ausland soll den Mangel lindern. Doch es gibt riesige Unterschiede zwischen den Regionen. So arbeiten allein in der Stadt München 10 590 Ausländer in Ingenieurberufen - "das sind mehr als in Hessen und fast doppelt so viele wie in Niedersachsen", sagt IW-Forscher Axel Plünnecke.

Der Landkreis mit dem höchsten Anteil von Ausländern unter den beschäftigten Ingenieuren ist allerdings Starnberg, wo dies auf mehr als jeden Vierten zutrifft. Dahinter folgt der Landkreis München, dann kommt der Main-Taunus-Kreis. Die Stadt München schafft es ebenfalls in die Top Ten der Kreise, genau wie Pfaffenhofen nördlich der Landeshauptstadt. Bayern ist auch das Flächenland mit dem stärksten Anteil an ausländischen Ingenieuren, der Wert liegt hier mit fast 13 Prozent dreimal so hoch wie bei den Schlusslichtern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Die Lücke wird größer

Doch ohne mehr Ingenieure aus dem Ausland werden die Unternehmen in den Regionen ihre Stellen nicht besetzen können, die wirtschaftliche Entwicklung würde gebremst: "Ohne eine starke Zuwanderung von ausländischen Fachkräften bekommen wir die Lücke auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure und Ingenieurinnen nicht mehr geschlossen", sagt Dieter Westerkamp, der zuständige Bereichsleiter bei der Berufsvereinigung VDI. Und die Lücke ist noch größer geworden. Der VDI zählt gut 170.000 offene Stellen für Ingenieure und Informatiker, ein Fünftel mehr als im Vorjahr. "Es fehlt an allen Ecken und Enden, die Lage ist prekär", warnt Westerkamp. Das habe ganz konkrete Folgen, etwa wenn Firmen oder Behörden Bau- oder Digitalisierungsprojekte wegen eines Mangels an Fachkräften nicht starten können.

Die gewaltigen Unterschiede beim Anteil ausländischer Ingenieure sind vor allem Ergebnis davon, welche Hochschulen und Unternehmen vor Ort sind. Gibt es technische Universitäten mit vielen ausländischen Studierenden, erhöht das den Anteil der Ingenieure mit fremdem Pass in der Region. Fabriken internationaler Konzerne haben einen ähnlichen Effekt. So dümpelte der Anteil ausländischer Ingenieure im Oder-Spree-Kreis in Brandenburg lange bei zwei bis drei Prozent herum. Doch Ende 2020 verdreifachte sich der Wert binnen weniger Monate - dank der Fabrik des Elektroautoherstellers Tesla.

Die Deutschen müssen die Einwanderer willkommen heißen

Der VDI fordert nun, Deutschland attraktiver für ausländische Ingenieure zu machen. Die Bundesregierung legte kürzlich einen Gesetzentwurf vor, der die Einwanderung von Fachkräften vereinfachen soll. Die Berufsvereinigung begrüßt das, verlangt aber, zugleich Verfahren in den Ausländerämtern und Botschaften zu beschleunigen. Zum Teil warteten Einwanderungswillige Monate auf einen Visums-Termin in der deutschen Botschaft, und in den Ausländerämtern führe Personalmangel zu Verzögerungen, moniert Westerkamp.

Eine andere Untersuchung - der Fachkräftemigrationsmonitor der Bertelsmann-Stiftung - weist ebenfalls auf Ärger mit den Ämtern hin. Für die Studie wurden Firmen zu ihren Erfahrungen mit ausländischen Fachkräften befragt. Demnach klagen die Manager zunehmend über bürokratische und rechtliche Hürden sowie über Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Qualifikationen. Ohnehin versucht dem Report zufolge nur jeder sechste befragte Betrieb, den Fachkräftemangel durch Anwerbung im Ausland zu mindern. Die meisten Manager wollen sich also anders helfen.

Dass aber die Lücke bei Ingenieuren und Informatikern nicht ohne Zuwanderung geschlossen werden kann, liegt an zwei Entwicklungen. Zum einen steigt der Bedarf, etwa durch die Digitalisierung oder die Umstellung der Produktion auf klimafreundliche Technik. Zum anderen gehen wegen der Alterung der Gesellschaft viele Ingenieure in Rente, während zugleich die Zahl der Studienanfänger in Deutschland sinkt. Begannen 2016 noch 143 000 junge Menschen ihr Studium in Natur- und Ingenieurwissenschaften oder Mathematik, waren es 2022 nur noch 126 000.

VDI-Vertreter Westerkamp sagt, die Deutschen müssten verstehen, dass ihr Lebensstandard ohne mehr Zuwanderung kaum zu halten sei. Die Menschen müssten daher den begehrten Ausländern das Gefühl geben, hierzulande willkommen zu sein. Westerkamp führt dafür sogar einen eigenen, etwas sperrigen Begriff ein - samt Abkürzung, so viel Ordnung muss sein: "Wir brauchen eine Fachkräftewillkommenskultur (FWK)."

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