Infrastruktur:Die dunkle Seite Amerikas

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Ohne Kanalisation: Szene aus Willets Point im Osten von New York. (Foto: Andrew Burton/AFP)

Nach langem internen Gezänk billigen die US-Demokraten Bidens Programm zur Sanierung von Straßen und Schienenwegen. Ob es dem angeschlagenen Präsidenten politisch helfen wird?

Von Claus Hulverscheidt

Wer neben der Glitzerwelt Manhattans auch die andere, die dunkle Seite der Vereinigten Staaten kennenlernen will, der muss nicht mehr tun, als am Times Square in einen Zug der U-Bahnlinie 7 zu steigen und 30 Minuten gen Nordosten zu fahren. Hier, in unmittelbarer Nähe des Baseball- und des Tennisstadions, liegt Willets Point, ein Stadtviertel, das man so vielleicht in Mumbai oder Kolkata vermuten würde, nicht aber in der selbsternannten Hauptstadt der Welt: Die Straßen erinnern mit ihren aufgeplatzten Teerdecken an alpine Ski-Buckelpisten - gesäumt von halb ausgeschlachteten Autos und abgestorbenen Bäumen. In ölig schimmernden Schlammpfützen schwimmen Müll und Pkw-Reifen, die Stromleitungen baumeln von den Holzmasten. Eine Kanalisation, die die Abwässer der vielen kleinen Pkw-Werkstätten abtransportieren könnte, gibt es nicht.

Es ist das Amerika, das Besucher aus Europa oder Fernost nur selten zu Gesicht bekommen. Das Amerika der Stromausfälle, der Funklöcher und des klammen Bahnkonzerns Amtrak, dessen kümmerliches Schienennetz mit den Hochgeschwindigkeitsstrecken in Japan, Frankreich und Deutschland so viel gemein hat wie ein Pferdefuhrwerk mit einem Formel-1-Boliden. Es ist das Amerika, dessen Modernisierung der Kongress jetzt endlich angehen will: Nach dem Senat stimmte in der Nacht zu Samstag auch das Repräsentantenhaus einem Programm zur Sanierung der Infrastruktur zu, das alles in allem Ausgaben von mehr als einer Billion Dollar (rund 870 Milliarden Euro) umfasst.

Die Verabschiedung des Gesetzes ist vor allem für Präsident Joe Biden ein Erfolg, den er nach langem Streit im Kongress und angesichts miserabler Umfragewerte dringend gebrauchen kann. Das gilt umso mehr, als die monatelange Lähmung des Parlaments nicht etwa dem üblichen Hickhack zwischen Regierung und Opposition geschuldet gewesen war, sondern einem handfesten Konflikt in Bidens eigener Demokratischer Partei. Obwohl praktisch alle Abgeordneten hinter dem Infrastrukturprogramm stehen, verhinderte der starke linke Parteiflügel, die "Progressiven", immer wieder ein Parlamentsvotum, um damit die Zustimmung der "Zentristen" zu einem weiteren, rund zwei Billionen teuren Sozial- und Klimapaket der Regierung zu erzwingen. Das misslang jedoch am Freitag einmal mehr, weil einige Zentristen weitere Zahlen zu den Kosten der Sozialreformen verlangten.

Pelosi zwingt ihre Partei zu einer Abstimmung

Um endlich zumindest das Infrastrukturpaket durchzubringen, nötigte Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, ihre Parteifreunde in der Nacht zu Samstag schließlich zu einer Abstimmung. Daraus ging die Regierung zwar am Ende als Sieger hervor - aber nur deshalb, weil auch 13 republikanische Abgeordnete die Vorlage billigten. Sechs progressive Demokratinnen und Demokraten dagegen votierten aus Prinzip weiter mit Nein.

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Das Infrastrukturpaket sieht neue Ausgaben in Höhe von 550 Milliarden sowie die Umwidmung bereits bewilligter Gelder von noch einmal gut 450 Milliarden Dollar vor. Allein für die Reparatur von Straßen und Brücken will der Staat rund 110 Milliarden Dollar ausgeben, für die Sanierung des witterungsanfälligen, teilweise maroden Stromnetzes sind 73 Milliarden veranschlagt. Die Modernisierung der Schienenwege soll 66 Milliarden Dollar kosten, für den Ausbau des Breitbandnetzes und die Sanierung bleiverseuchter Wasserleitungen will die Regierung 65 Milliarden beziehungsweise 55 Milliarden Dollar bereitstellen. Weitere 39 Milliarden gehen in die Modernisierung des öffentlichen Personennahverkehrs. Vor allem Senioren und Menschen mit Behinderung haben heute kaum die Möglichkeit, die engen, veralteten Busse und Bahnen in Städten wie New York zu nutzen. 7,5 Milliarden Dollar werden in den Aufbau eines landesweiten Netzes von Ladestationen für Elektroautos fließen.

Große Teile des Gesetzes sollen durch die Umwidmung von Geldern finanziert werden, die für andere Zwecke vorgesehen waren. Doch auch die Budgetdefizite dürften weiter kräftig wachsen: Nach Berechnungen des unabhängigen Haushaltsbüros des Kongresses wird das Programm über die nächsten zehn Jahre eine zusätzliche Nettokreditaufnahme in Höhe von 256 Milliarden Dollar erfordern.

Ob Biden den zweiten Teil seiner Reformagenda wird umsetzen können, bleibt offen

Fraglich ist nun, was aus Bidens Sozial- und Klimaprogramm wird, das unter anderem die Abschaffung der oft horrenden Kita-Gebühren für Drei- und Vierjährige, die dauerhafte Einführung einer Art Kindergeld sowie Dutzende Milliarden zum Abbau des CO₂-Ausstoßes vorsieht. Finanziert werden sollen die massiven Mehrausgaben durch Steuererhöhungen für Unternehmen und vermögende Bürger.

Die Chancen auf eine baldige Verabschiedung im Repräsentantenhaus stehen nicht schlecht. Fünf wichtige Vertreter der Zentristen signalisierten am Freitag schriftlich ihre Zustimmung für den Fall, dass die Kostenprüfung durch das Haushaltsbüro des Kongresses keine unerwarteten Mehrkosten zutage fördere. Die nächste Hürde wäre der Senat, wo die Demokraten nur dank der Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris eine Mehrheit haben. Zwei ihrer Senatoren, Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona, lehnen Teile des Pakets jedoch ab und haben bereits dafür gesorgt, dass Biden das Gesamtvolumen der geplanten Ausgaben von ursprünglich 3,5 Billionen auf knapp zwei Billionen heruntergeschraubt hat.

Aus Sicht des Präsidenten sind das Infrastruktur- und das Sozialpaket Kernbestandteile seiner wirtschaftlichen Reformagenda, mit der er die USA international wettbewerbsfähiger machen und die soziale Ungleichheit im Land verringern will. Dass die Demokraten ihre eigenen Pläne blockieren, hatte dazu beigetragen, dass die Partei jüngst die wichtige Gouverneurswahl in Virginia verlor und Bidens Zustimmungswerte auf den tiefsten Stand sanken, den in den vergangenen 40 Jahren je ein Präsident nach zwölf Amtsmonaten verbucht hatte - mit Ausnahme Donald Trumps.

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