Kyrsten Sinema:Die Frau, die das politische Schicksal von Biden in den Händen hält

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Schon zwei Mal ins Weiße Haus vorgeladen: US-Senatorin Kyrsten Sinema. (Foto: Michael Brochstein/imago)

Viele dachten, die demokratische Senatorin aus Arizona stünde für gesellschaftlichen Fortschritt - doch nun zeigt sie sich als besonders konservativ.

Von Hubert Wetzel

Vielleicht sind es die friesischen Wurzeln, die Kyrsten Sinema eine gewisse Sturheit verliehen haben. Wenn man wie ihr Urururgroßvater an der holländischen Nordseeküste groß geworden ist, wenn man es mit Orkanen und Sturmfluten zu tun hatte, die einen ins Meer fegen wollten, dann lernt man, nicht aufzugeben. Und man lässt sich keine Angst machen. Schlimmer als der Blanke Hans kann niemand wüten, auch der Präsident der Vereinigten Staaten nicht. Gut möglich, dass das der Grund ist, warum Kyrsten Sinema in den vergangenen Tagen nun schon zwei Mal von Joe Biden zu einem ernsten Gespräch ins Oval Office gebeten wurde - und dieses zwei Mal verlassen hat, ohne dem Präsidenten gegeben zu haben, was dieser wollte.

Konkret will Biden von Sinema eine Zahl, die zwischen null und 3500 Milliarden liegt. Dann wüsste er, welche Summe an neuen Sozialausgaben die demokratische Senatorin aus Arizona mitzutragen bereit ist. Derzeit klebt auf Bidens sogenanntem Build Back Better Plan, einem Paket mit allerlei Sozialprogrammen für die Mittelschicht, ein Preisschild von 3500 Milliarden Dollar. Das ist Sinema zu viel, deswegen blockiert sie im Senat die Verabschiedung des Plans, der in Washington unter dem Kürzel BBB bekannt ist. Weil Biden wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse in der Kammer jede einzelne demokratische Stimme braucht, hat sie die Macht dazu.

Was Kyrsten Sinema bisher freilich nicht verraten hat, ist, bis zu welcher Gesamtsumme sie Ja sagen würde. Erst wenn das bekannt ist, kann das Weiße Haus den BBB so umstrukturieren, dass der Preis sinkt. Gemessen daran, dass der BBB der wohl wichtigste Bestandteil von Bidens innenpolitischer Agenda ist, entscheidend sowohl für die künftigen Wahlaussichten der Demokraten als auch für das politische Erbe des Präsidenten, kann man sagen: Kyrsten Sinema hält Joe Bidens Schicksal in den Händen.

Grenzenlose Wut im eigenen Lager

Sinema teilt sich diese Ehre mit dem demokratischen Senatskollegen Joe Manchin aus West Virginia. Doch während Manchin schon immer ein konservativer Knochen aus einem konservativen Bundesstaat war und bei linken Prestigevorhaben oft quergeschossen hat, ist Sinemas harter Widerstand gegen Bidens Plan überraschender. Eigentlich hatte der linke Flügel der Demokraten, der den BBB vehement unterstützt, Sinema für eine Verbündete gehalten. Die grenzenlose Wut, die der Senatorin derzeit aus dem linken Lager entgegenschlägt - ein Abgeordneter nannte sie "verrückt" -, lässt sich daher wohl auch mit enttäuschter Hoffnung erklären.

Diese Enttäuschung hat gute Gründe: Kyrsten Lea Sinema, 45, ist noch nicht sehr lange Senatorin. Sie hat ihr Amt Anfang 2019 angetreten. Davor war sie zunächst einige Jahre lang Parlamentarierin in Arizona, dann Abgeordnete im Repräsentantenhaus in Washington. Bevor sie 2004 den Demokraten beitrat, gehörte Sinema in Arizona den Grünen an, sie war eine progressive Kämpferin, zudem die erste offen bisexuelle Frau, die in den US-Kongress gewählt wurde. Bei ihrer Vereidigung als Senatorin trug sie platinblonde Locken, ein enges, schulterfreies Top und sehr roten Lippenstift. Sie sah aus, als wolle sie dem gesellschaftlichen Fortschritt kräftig Beine machen, anstatt sich ihm - so jedenfalls sehen es die linken Demokraten - in den Weg zu stellen.

Aber es kam anders. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat sich Kyrsten Sinema als eine der konservativsten Demokratinnen im Senat entpuppt - so konservativ, dass linke Aktivisten erwägen, bei der nächsten parteiinternen Vorwahl einen liberaleren Kandidaten gegen sie ins Feld zu schicken.

Sinema scheint ihr neues Image als Lieblingsfeindin der Progressiven und die Aussicht auf einen Gegenkandidaten nicht zu stören. Sie schweigt. Was sie an Bidens Sozialplan stört, was sie stattdessen will, warum sie sich dem eigenen Präsidenten so hartnäckig widersetzt - zu all diesen Fragen äußert sie sich nicht. Aber Wortkargheit ist ja auch ein friesischer Charakterzug.

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