Thyssen-Krupp:Betriebsausflug zur Schwulenparade

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Der US-Autohersteller Ford ist Vorreiter bei der Unterstützung Homosexueller und beteiligt sich seit 20 Jahren am Christopher Street Day. (Foto: OH)

Immer mehr Unternehmen unterstützen Mitarbeiter dabei, offen mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen. Ihre Erfahrungen zeigen: Mehr Offenheit zahlt sich aus.

Von Varinia Bernau, Essen

"Na, das ist mal eine etwas schwierigere Entscheidung als die zwischen Cheese- und Chickenburger." Das war eine der ersten Antworten. Damals, Anfang des Jahres, als Sarah Ungar für ihr vierköpfiges Team noch Herr Ungar war - und ihren Kollegen sagte, dass sie demnächst eine Chefin bekommen. Der Satz ist bei der 35-Jährigen, die als Personalleiterin für Thyssen-Krupp arbeitet, hängen geblieben. Vielleicht, weil sich hinter den flapsigen Worten eine Einfühlsamkeit verbirgt, die ihr die größte Sorge nahm: Dass Kollegen, wenn sie sich als Transgender outet, ihr weniger Respekt entgegenbringen.

Schätzungen zufolge traut sich unter den Homosexuellen und denjenigen, die das Geschlecht gewechselt haben, nicht einmal jeder Zweite, damit auch am Arbeitsplatz offen umzugehen. Aus gutem Grund: Ob bewusst oder unbewusst, Chefs fördern Nachwuchs, in dem sie sich selbst wiedererkennen. Und weil in den meisten Chefbüros Männer sitzen, die in einer Zeit groß geworden sind, in der Homosexualität eine Straftat war und sich an Schwulenwitzen niemand störte, ist das Thema im Arbeitsalltag noch heute heikel.

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"Sie müssen immer damit rechnen, dass diese Information irgendwann gegen Sie verwendet wird", hat Thomas Sattelberger einmal gesagt. Der Mann war bis 2012 im Vorstand der Deutschen Telekom für Personal verantwortlich. Er hat sich schon damals nicht gescheut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen, und mischt sich noch immer gerne in Debatten ein. Dass er selber schwul ist, hat er aber erst nach dem Ende seiner Karriere öffentlich gemacht.

Mit der Firmenflagge zum Christopher Street Day

Dass Sarah Ungar in einen anderen Körper gehört, wusste sie schon mit fünf Jahren. Lange aber hat sie das weggeschoben. Erst mit viel Sport, dann mit viel Arbeit. Über Monate ist die Entscheidung gereift, zunächst den Namen zu wechseln und dann auch die Visitenkarte und das Outfit im Büro. Dass sie dabei vielleicht auch den Job wechseln müsste, hat sie dabei in Gedanken durchgespielt. Nicht dass sie das gewollt hätte. Seit zehn Jahren ist sie bei Thyssen-Krupp. Sie mag ihre Arbeit, sie mag ihr Team. Bei einem anderen Unternehmen anzufangen, war Plan B.

Geholfen hat Sarah Ungar auch, dass es bei Thyssen-Krupp seit Anfang des Jahres ein Netzwerk für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender gibt. Wie bei immer mehr deutschen Unternehmen. Um sich auszutauschen, um Vorurteile abzubauen, um Gleichberechtigung im Alltag durchzusetzen. Bei Thyssen-Krupp hat das Netzwerk die ausdrückliche Unterstützung von Personalvorstand Oliver Burkhard. Er war es, der vorschlug, unter der Firmenflagge im nächsten Jahr beim Christopher Street Day in Köln mitzumachen. Und der gleich darauf drängte, auf dem Wagen mitzufahren.

Der amerikanische Autohersteller Ford, dessen deutsche Tochtergesellschaft ihren Sitz in Köln hat, war in diesem Jahr bereits zum 20. Mal mit einem eigenen Wagen bei der Parade dabei. Das Unternehmen war hierzulande eines der ersten, das Mitarbeiter ermunterte, mit ihrer sexuellen Orientierung offen umzugehen. Bevor dies deutsche Gesetze vorschrieben, gab es bei Ford eine Betriebsvereinbarung mit elf Punkten, die Homosexuellen vor allem mit Blick auf den Partner die gleichen Rechte zusicherte wie den heterosexuellen Kollegen: etwa bei der Betriebsrente oder der Unterstützung, wenn jemand ins Ausland entsendet wird. Und das ausgerechnet bei einem Autobauer, wo man doch nicht nur Benzin im Blut haben sollte, sondern auch eine Menge Testosteron.

"Wir haben davon profitiert, dass diese Themen in den USA und damit auch bei unserem Mutterkonzern früher aufgegriffen wurden als in Deutschland", sagt Tobias Nowak, der bei dem Kölner Werk in der Produktentwicklung arbeitet und sich in dem Netzwerk engagiert.

Einfach war es am Anfang trotzdem nicht: Etwa zehn Mitarbeiter hatten sich Mitte der Neunziger einen Ford besorgt, ihn mit selbstgemalten Plakaten ausgestattet und sind damit zum Christopher Street Day. Andere Kollegen haben das Auto am Nummernschild als Dienstwagen erkannt und sich prompt bei der Geschäftsführung beschwert. Aber die Truppe, die sich damals unterm Firmenlogo auf die Parade gewagt hat, wurde auch aus der Schwulenszene angegriffen - weil das Großkapital doch bitte nicht diese Veranstaltung kapern sollte.

Inzwischen, erzählt Nowak, kommen mehr Heterosexuelle als Homosexuelle aus dem Kollegenkreis zum Christopher Street Day mit. "Gerade die jungen Kollegen sind nicht mehr bereit, sich zu verstecken", zeigt sich Nowak überzeugt. Doch was für Deutschland gelten mag, gilt noch nicht für alle Länder, in denen deutsche Unternehmen Geschäfte machen. Deshalb unterstützt das Netzwerk, das es seit gut zehn Jahren bei Bosch gibt, auch die Kollegen im Ausland.

Eine Chinesin etwa, die dort mit einer Kollegin zusammenlebte, dies verheimlichte und sich deshalb, als sie für ein Jahr an einen deutschen Standort kommen sollte, nicht traute, um Unterstützung zu bitten. Letztlich konnte die Partnerin für ein Jahr mit nach Deutschland kommen. "Wir können da keine Gesetze ändern, aber betriebsintern Signale setzen, dass wir andere Werte haben", sagt Jean-Claude Loux, hauptamtlich bei Bosch in der Entwicklung von Fahrzeugtechnik, ehrenamtlich beim Netzwerk.

Mitarbeiter sollen ihre Energie nicht darauf verwenden, Scheinwelten aufrechtzuerhalten

Den Firmen, welche die von den Mitarbeitern initiierten Gruppen fördern, geht es nicht nur um Vielfalt der Vielfalt wegen. Sondern auch darum, dass Mitarbeiter eben nicht viel Energie darauf verwenden, Scheinwelten aufrechtzuerhalten wie die Mitarbeiterin von Bosch in China - aber auch noch viele Deutsche. "In einer Zeit des Fachkräftemangels können wir es uns gar nicht leisten, dass Talente uns verlassen, weil sie sich nicht akzeptiert fühlen", sagt Thyssen-Krupp-Vorstand Burkhard.

Als Sarah Ungar neulich im Café war, machten sich ein paar Männer über sie lustig. Irgendwann fingen sie an, mit ihren Handys Fotos zu machen. Sie hat dann selbst ihr Smartphone gezückt - und es auf die Gruppe gerichtet. Da war Ruhe. Ungar wirkt selbstbewusst. Aber sie sagt selbst, dass sie das nicht in jeder Situation ist. Damals, Anfang des Jahres, hatte sie eine Liste mit 30 Kollegen gemacht, mit denen sie unbedingt persönlich über ihre sexuelle Orientierung sprechen sollte. Die hat sie abgearbeitet. Von den leichteren Kollegen bis zu den schwierigeren. Vor jedem einzelnen Gespräch war sie nervös.

"Ein Unternehmen ist letztlich der Querschnitt der Gesellschaft", sagt Ungar. Zwar habe sie keine schlechten Erfahrungen mit Kollegen gemacht, aber ihr ist bewusst, dass nicht jeder ihren Lebensentwurf teilt. "Ich erwarte keinen Jubel", sagt sie. Nur Respekt.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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