Arbeitsbedingungen:Wem das neue Tariftreuegesetz helfen könnte

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In der Baubranche klagen viele Unternehmer über schlechte Geschäfte. Dabei ist der Bedarf groß. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Jedes Jahr gibt der Bund viele Milliarden für öffentliche Aufträge aus. Künftig sollen nur noch Unternehmen zum Zuge kommen, die sich an Tarifverträge halten. Allerdings soll es keinen Automatismus geben.

Von Roland Preuß

Wer staatliche Aufträge vom Bund bekommen will, der soll sich künftig an Tarifverträge halten müssen. Das sieht ein neuer Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur "Tariftreue" vor. Der Bund will damit seine Macht als milliardenschwerer Kunde dafür einsetzen, um Einfluss zu nehmen auf die Arbeitsbedingungen. Dies dürfte sich für viele Beschäftigte bemerkbar machen. Die wichtigsten Aspekte im Überblick.

Wie können Beschäftigte von einem Tariftreuegesetz profitieren?

Nutznießer einer solchen Regelung wären vor allem Beschäftigte in Unternehmen, die sich nicht an einen Tarifvertrag halten und damit meist geringere Löhne zahlen oder ungünstigere Urlaubsregelungen haben als Konkurrenten, die den Tarifvereinbarungen verpflichtet sind. Bisher kann der Bund Waren oder Dienstleistungen auch bei diesen, oft günstigeren Betrieben bestellen. Mit dem neuen Gesetz wäre das nur noch möglich, wenn sich das Unternehmen und mögliche Subunternehmen an Tarifregeln halten, also etwa an Vorgaben zum Lohn, zum bezahlten Jahresurlaub oder zur maximalen Arbeitszeit.

Um welche Aufträge geht es?

Das Gesetz soll nur Aufträge des Bundes über mehr als 10 000 Euro erfassen, etwa, wenn die Bundespolizei Schutzwesten für ihre Beamten bestellt. Nach der jüngsten, sogenannten Vergabestatistik des Bundeswirtschaftsministeriums hat der Bund allein im ersten Halbjahr 2021 Produkte und Dienstleistungen im Wert von fast zehn Milliarden Euro eingekauft. Das meiste Geld gab der Staat für Dienstleistungen aus, beispielsweise für die Planung oder Wartung von IT in Behörden, an zweiter Stelle stehen Bauaufträge. Dies gilt für alle drei staatlichen Ebenen, also Bund, Länder und Gemeinden. Eine genauere Aufschlüsslung für den Bund enthält der Bericht nicht. Auch die Vergabe von Konzessionen soll an die Tariftreue geknüpft werden, zum Beispiel, wenn ein Betrieb im öffentlichen Auftrag eine Kantine betreibt.

Müssen sich alle vom Bund beauftragten Unternehmen in Kürze an Tarifverträge halten?

Nein, ganz so schnell wird es nicht gehen. Dem Gesetz zufolge dürfen Hubertus Heil und sein Ministerium nicht einfach vorschreiben, welcher Betrieb sich nun an welchen Tarifvertrag halten muss. Hierzu muss erst eine Gewerkschaft oder ein Arbeitgeberverband einen Antrag stellen. Dieser muss geprüft werden, unter anderem, ob der im Antrag genannte Tarifvertrag "repräsentativ" ist, also der maßgebliche für eine Branche. Erst dann darf das Arbeitsministerium den Plänen zufolge Arbeitsbedingungen verbindlich vorschreiben.

Wie sollen Verstöße gegen die Tariftreue bestraft werden?

Es soll stichprobenartige Kontrollen geben, ob ein Unternehmen tatsächlich sein "Tariftreueversprechen", wie es im Juristendeutsch heißt, hält. Ihre Gesetzestreue müssen die beauftragten Unternehmen und mögliche Subunternehmen dokumentieren können. Wer bei Verstößen erwischt wird, soll eine Vertragsstrafe zahlen müssen. Zudem sieht der Gesetzentwurf ein Recht zur "außerordentlichen fristlosen Kündigung" des Auftrags vor.

Was sagen die Gewerkschaften zu den Plänen?

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt die Pläne der Bundesregierung "im Grundsatz", wie er am Dienstag erklärte. Der Gesetzentwurf gehe in die richtige Richtung. Der DGB setzt sich seit Jahren für ein Tariftreuegesetz im Bund ein, zuletzt hatte dies DGB-Chefin Yasmin Fahimi am 1. Mai gefordert. Der DGB kündigte an, die Gewerkschaften würden sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren für Verbesserungen des Gesetzentwurfs einsetzen. Kritikpunkte nannte der DGB allerdings nicht.

Wie reagieren Unternehmensvertreter?

Das kommt darauf an, wen man fragt. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) lehnte die Pläne am Dienstag entschieden ab. Der Aufwand für Unternehmen steige damit "auf ein nicht mehr vertretbares Maß an", kritisierte VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Der Staat dürfe nicht Unternehmen aus dem Wettbewerb auszuschließen, die im Rahmen der bestehenden Gesetze Geschäfte machten. In der Baubranche sieht man das anders. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe (ZDB), sagte der Süddeutschen Zeitung, für die Bauwirtschaft seien die geplanten Regelungen "insgesamt sinnvoll". Es sei zwar schwierig, wenn der Staat Kontrollpflichten gegenüber Subunternehmen auf das Hauptunternehmen verlagere. Allerdings sehe der Gesetzentwurf eine unbürokratische Umsetzung vor: Unternehmen könnten zum Nachweis ihrer Tariftreue ein Zertifikat erwerben und bundesweit damit arbeiten. "Wir kommen so zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit", sagte Pakleppa.

Wie verfahren die Bundesländer mit ihren Aufträgen?

Unterschiedlich. Das ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Länder noch mehr Geld für Aufträge ausgeben als der Bund, allein im ersten Halbjahr 2021 im Wert von gut 20 Milliarden Euro. Nach Angaben der Bundesregierung vom April haben Berlin, Bremen, Thüringen, das Saarland und Sachsen-Anhalt Regelungen, die Auftragnehmer zur Tariftreue verpflichten. Zudem schreiben mehrere Länder einen Mindestlohn vor, nämlich Berlin (13 Euro), Brandenburg (13 Euro), Bremen (12,29 Euro) und Thüringen (12,07 Euro). In Sachsen-Anhalt will man keinen Stundenlohn vorgeben, der Mindestlohn ist dort an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gekoppelt.

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