Gewerkschaften:Tarifrunde Metall ist auf der Zielgeraden

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Die IG Metall übt mit Warnstreiks Druck auf die Firmen aus; hier ein Arbeitnehmer im Autokorso in Mainz. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Nach Monaten des Stillstands kommen Metall-Arbeitgeber und Gewerkschafter endlich voran. Eine Lösung vor Ostern ist möglich - sonst drohen weitere Streiks.

Von Alexander Hagelüken und Benedikt Peters, München

Es dauerte bis ein Uhr morgens, doch die lange Nacht könnte sich gelohnt haben. Nachdem Arbeitgeber und Gewerkschafter in Nordrhein-Westfalen lange zusammensaßen, biegt die Tarifrunde für die bundesweit 3,9 Millionen Beschäftigten der Metallbranche auf die Zielgerade ein. Die Arbeitgeber haben erstmals angeboten, den Beschäftigten dieses Jahr mehr Geld zu geben: eine Einmalzahlung von 350 Euro. Zuvor hatten sie auf einer weiteren Nullrunde wie schon 2020 beharrt, was ein Novum in der größten deutschen Industriebranche gewesen wäre. In der zwölfstündigen Verhandlungsrunde gab es insgesamt Fortschritte, die IG Metall fordert aber noch deutlich mehr Geld.

Die Lohnrunde findet vor dem Hintergrund eines weitreichenden Wandels in der Industrie statt. Die Corona-Pandemie hat vielen Firmen das Geschäft verhagelt. Gleichzeitig befindet sich etwa die Autoindustrie in einem radikalen Umbruch: Weg von den seit über 100 Jahren dominierenden Verbrennungsmotoren, hin zu E-Autos - die wohl mit weniger Mitarbeitern zu bauen sein werden. Aufgrund dieses doppelten Wandels drängen die Arbeitgeber auf Kostensenkungen. Betriebe, denen es schlecht geht, sollen automatisch entlastet werden. Die IG Metall will dagegen mit kürzeren Arbeitszeiten und gemeinsamen Konzepten auf die Krise reagieren. Weil die Positionen so unterschiedlich sind, dauern die Verhandlungen schon Monate. Jetzt fand die sechste Verhandlungsrunde statt, in früheren Jahren hatte man sich manchmal nach vier Runden geeinigt.

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IG-Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler sprach von einer Annäherung bei den sogenannten Zukunftstarifverträgen. Dabei sollen sich Management und Betriebsräte gemeinsam auf Regeln einigen, mit denen Firmen im Wandel ihr Geschäft modernisieren und Mitarbeiter weiterbilden können. Arbeitgeber und Gewerkschaft näherten sich auch bei der Jobsicherung an: Die IG Metall schlägt Betrieben im Umbruch vor, die Arbeitszeit auf vier Tage die Woche zu verkürzen. Auf diese Weise könnten die Firmen vorübergehend weniger Aufträge oder die Umstellung auf E-Autos auffangen, ohne viel Personal abzubauen. Weil Beschäftigte bei vier Tagen die Woche weniger verdienen, sollen die Betriebe den Lohnausfall teilweise ausgleichen.

Strittig ist jedoch noch die Hauptfrage: Wie viel mehr Geld bezahlen die Arbeitgeber, um höhere Löhne oder einen Lohnausgleich bei einer Vier-Tage-Woche zu finanzieren? Die Arbeitgeber wollen erst mal nur eine einmalige Zahlung von 350 Euro für 2021. "Die immer noch sehr angespannte wirtschaftliche Lage lässt keinen Raum für eine allgemeine Entgelterhöhung", sagte Arndt G. Kirchhoff, Arbeitgeberpräsident in Nordrhein-Westfalen. Wenn die IG Metall den jetzigen Tarifabschluss auf 2022 ausdehne, könne es dann eine dauerhaft geltende Lohnerhöhung geben.

Gewerkschafter Giesler nannte das angebotene Geld völlig unzureichend: "Das würde Reallohnverluste für die Beschäftigten bedeuten." Ökonomen erwarten dieses Jahr eine Preissteigerung von etwa zwei Prozent, die die Kaufkraft des Lohns reduziert. Auch beim Lohnausgleich für die Vier-Tage-Woche müssten die Arbeitgeber nachlegen, forderte Giesler.

Der Vorstand der IG Metall entschied am Freitag Abend nach dreistündiger Sitzung, dass am Montag in Nordrhein-Westfalen weiterverhandelt werden soll. Damit erscheint ein Pilotabschluß für ganz Deutschland noch vor Ostern möglich, aber nicht einfach. Die Länge der Sitzung ist ein Zeichen dafür, dass den Vorstandsmitgliedern 350 Euro Einmalzahlung deutlich zu wenig sind. In der Stahlindustrie gab es zum Beispiel 2020 eine Einmalzahlung von 1000 Euro. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagte, erst durch 800000 Warnstreikende sei ein solider Zwischenstand in den Verhandlungen ermöglicht worden. Jetzt müssten die Arbeitgeber deutlich nachlegen: "Einen Abschluss gibt es nicht um jeden Preis".

Bei den Streikenden wachsen die Erwartungen, je länger sie auf die Straße gehen

Es gilt als positives Zeichen, dass beide Seiten erstmals nach Monaten konkret übers Geld reden. Diese Frage heben sich Arbeitgeber und Gewerkschaften normalerweise für den Moment auf, an dem sich ein Abschluss abzeichnet. Arbeitgeberchef Kirchhoff nährte die Zuversicht auf eine Lösung: "Ich bin grundsätzlich zuversichtlich, dass uns dies noch vor Ostern gelingen kann." Zuletzt hatten auch die Verhandler im zweiten besonders wichtigen Bezirk Baden-Württemberg Fortschritte erzielt.

Beide Seiten haben ein gewisses Interesse an einem baldigen Abschluss. Die Unternehmen beklagen Einbußen durch die Warnstreiks. Bei den Streikenden wiederum wachsen die Erwartungen, je länger sie auf die Straße gehen. Für die IG Metall wird es dann schwierig, diese Erwartungen beim Lohnabschluss zu erfüllen - auch weil die Möglichkeiten vieler Firmen in der Corona-Krise begrenzt sind. Außerdem nähren die steigenden Infektionen Zweifel, in welcher Form die IG Metall nach Ostern noch mit Streiks Druck auf die Arbeitgeber ausüben kann.

International vernetzte Firmen könnten angesichts permanent wechselnder politischer Entscheidungen durch neue Infektionsentwicklungen im In- und Ausland schwer kalkulieren, so Arbeitgeber-Chef Kirchhoff. Auch das erhöhe den Druck. "Auch deshalb brauchen die Firmen zügig Klarheit für ihre Planungen."

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