Stabilitätspakt:Wie es mit Europas Schulden weitergeht

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Griechenland ist der am stärksten verschuldete Euro-Staat. Die Kommission debattiert nun Änderungen der Haushaltsregeln. (Foto: Milena Boniek/imago/PhotoAlto)

Die EU-Kommission hat eine Grundsatzdebatte zum umstrittenen Stabilitätspakt losgetreten. Einige Länder drängen auf laxere Regeln, andere fordern eine Verschärfung - und alles wartet darauf, wie sich Deutschland positionieren wird.

Von Björn Finke, Brüssel

Das Diskussionspapier der EU-Kommission hat nur 19 Seiten, und es verzichtet auf konkrete Vorschläge. Trotzdem wird es eine heiße Debatte anstoßen, schließlich geht es um den stets umkämpften Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Regeln für solide Haushaltsführung in der EU. Manchen Regierungen sind die Vorschriften zu hart, manchen zu lax. Wie sich die neue Bundesregierung positioniert, muss sich erst zeigen. Trotz dieser schwierigen Ausgangslage startete die Kommission am Dienstag einen Reformprozess: Sie veröffentlichte das Papier und holt nun Meinungen von Regierungen, Parlamenten und Verbänden ein - auch Bürger können online ihre Ansichten mitteilen.

Im kommenden Jahr, vermutlich nach den französischen Präsidentschaftswahlen, will die Behörde dann Änderungsvorschläge unterbreiten. Zu den Ideen, die bereits von Regierungen und Volkswirten vorgetragen werden, gehört etwa, grüne Investitionen bei der Berechnung von Haushaltsdefiziten nachsichtiger zu behandeln oder Staaten individuelle Pfade für das Abtragen der Schuldenberge vorzugeben.

Eine Debatte über die Zukunft des Pakts hat die Kommission bereits im Februar 2020 begonnen, doch wegen der Pandemie direkt wieder abgebrochen. Zugleich setzte die Behörde den Stabilitätspakt erstmals aus, damit Mitgliedstaaten in der Corona-Krise unbegrenzt Schulden machen können. Im Laufe des kommenden Jahres werden aber alle 27 EU-Länder wieder die Wirtschaftsleistung von vor der Krise erreicht haben. Daher wird das Regelwerk wohl Anfang 2023 erneut in Kraft treten. Dann müssten sich Regierungen wieder an das Limit für das jährliche Haushaltsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung halten und beim Schuldenstand eine Quote von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung anstreben.

Diese 60 Prozent werden nach der Pandemie aber nur sieben der 19 Euro-Länder unterschreiten. Vier andere - Portugal, Spanien, Frankreich und Belgien - werden etwa doppelt so hohe Schuldenstände wie erlaubt in den Büchern haben; Griechenland und Italien liegen sogar bei 202 und 157 Prozent. Bislang schreibt der Stabilitätspakt vor, dass diese Sünder binnen 20 Jahren wieder bei 60 Prozent landen sollen. So müsste Italien seinen Schuldenstand jedes Jahr um vier bis fünf Prozentpunkte senken, was komplett illusorisch ist. Deshalb werde diese Vorgabe sicherlich ein Thema bei der anstehenden Debatte sein, sagte der für Wirtschaft zuständige Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis in einem Gespräch mit der SZ und internationalen Medien. Nötig sei "ein gemäßigter und wachstumsfreundlicher Pfad" zur Schuldensenkung.

"Die Regeln sind zu kompliziert"

Der frühere lettische Ministerpräsident macht jedoch klar, dass die Kommission wohl nicht anregen werde, die 60-Prozent- und Drei-Prozent-Zielmarken zu erhöhen. Dafür müssten mühsam die EU-Verträge geändert werden, und er erwarte keinen Vorschlag in diese Richtung: "Man kann auch ohne Vertragsänderung vieles im Regelwerk anpassen." Die Kommission hat dann die Wahl, ob sie Gesetzesänderungen vorschlägt oder nur ihre eigenen Anwendungsregeln für den Stabilitätspakt anpasst. Ein Gesetzgebungsverfahren würde wegen der üblichen Beteiligung von EU-Parlament und Ministerrat länger dauern. Dombrovskis warnt, in dem Fall wäre es "eine Herausforderung", die Reform bis Anfang 2023 abzuschließen, wenn der Pakt wieder in Kraft treten soll.

Der christdemokratische Kommissions-Vize fordert zudem, den Pakt zu vereinfachen und für die Beurteilung der Haushaltspolitik Kenngrößen zu verwenden, die besser zu beobachten sind: etwa die Höhe der Staatsausgaben anstelle von volkswirtschaftlichen Konzepten wie der Produktionslücke. "Die Regeln sind zu kompliziert", sagt er - und dürfte mit dieser Einschätzung auf breite Zustimmung unter den EU-Regierungen stoßen.

Daneben wirft die Kommission in ihrem Debattenpapier die Frage auf, ob man sich beim Stabilitätspakt nicht etwas davon abschauen könne, wie Mitgliedstaaten und Kommission beim Wiederaufbau-Programm zusammenarbeiten. Über dieses neue EU-Programm wird der Großteil der Milliarden aus dem Corona-Hilfstopf verteilt. Regierungen verpflichten sich hier zu Reformen und Investitionen, und die Behörde gibt die Zuschuss-Tranchen nur frei, wenn diese Projekte bestimmte Wegmarken erreicht haben.

Scholz hält Änderungen für unnötig, seine Partei sieht das anders

Hoch umstritten ist die Idee, künftig Investitionen in Klimaschutz bei der Berechnung der Haushaltsdefizite außen vor zu lassen. Der Brüsseler Thinktank Bruegel hat das in einer Studie gefordert, die kürzlich bei einem EU-Finanzminister-Treffen präsentiert wurde. Zu den Befürwortern gehört Frankreich, zu den Gegnern neuer Ausnahmen Österreich. Der Wiener Finanzminister Gernot Blümel hat mit sieben Amtskollegen aus EU-Ländern, denen Haushaltsdisziplin traditionell wichtig ist, ein Positionspapier verfasst, in dem sie bereits vor einer Aufweichung des Paktes warnen.

Das Diskussionspapier der Kommission beziffert die notwendigen Investitionen von Staat und Unternehmen in Klimaschutz und Digitalisierung mit 650 Milliarden Euro jährlich bis 2030. Dombrovskis sagt, es gehe "um die Quadratur des Kreises: Wie können Regierungen die nötigen Investitionen tätigen und gleichzeitig die Schulden schrittweise abbauen?" Er mahnt, in der Debatte "pragmatisch und realistisch" zu sein, denn nötig sei am Ende Konsens unter allen EU-Regierungen.

Wie sich Berlin positionieren wird, ist unklar. Als Finanzminister hat Olaf Scholz stets betont, dass das Regelwerk keine Reformen benötige, da es sich in der Pandemie - dank der Möglichkeit des Aussetzens - als ausreichend flexibel erwiesen habe. Im Wahlprogramm seiner SPD steht freilich etwas anderes. Dort ist zu lesen, die Vorschriften müssten "zu einem Nachhaltigkeitspakt" weiterentwickelt werden; statt Sparprogrammen müssten nun Investitionen angesagt sein. Ähnliches verlangen die Grünen. Die FDP warnt hingegen vor einer Aufweichung.

Das Sondierungspapier, mit dem SPD, FDP und Grüne ihre Koalitionsverhandlungen vorbereiten, versucht den Spagat: Der Pakt habe seine Flexibilität bewiesen, heißt es da, und auf seiner Grundlage wolle die Regierung "die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen". Was dies konkret bedeutet, wird sich bald erweisen müssen - in den mühsamen Debatten, die in Brüssel anstehen.

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