Energiewende:Siemens Energy will Milliardenhilfen vom Bund

Lesezeit: 3 min

Fertig zur Verschiffung lagern Blätter für Windkraftanlagen von Siemens Gamesa im Werk Hull. (Foto: PAUL ELLIS/AFP)

Der Windkraftanlagenbauer führt Gespräche über staatliche Garantien. Die Lage ist dramatisch. Ohne Milliardenhilfen kann der Dax-Konzern kaum noch Verträge für neue Großaufträge unterschreiben. Die Aktie ist im freien Fall.

Von Thomas Fromm und Claus Hulverscheidt

Für Anleger und Börsen-Analysten war es im Laufe der vergangenen Quartale irgendwann zur traurigen Routine geworden. Immer wieder musste Siemens Energy Gewinnwarnungen wegen der Probleme im Windgeschäft der Tochter Siemens Gamesa herausgeben. Ziele wurden verfehlt, immer wieder gab es neue Probleme, dazu ein Vorstand, der versprach, zu handeln. Und jedes Mal sackte der Aktienkurs des Dax-Unternehmens Siemens Energy noch mehr ab.

Nach Milliardenverlusten, Gewinnwarnungen und Qualitätsproblemen kommt es nun noch dicker. Siemens Energy braucht wegen der dramatischen Probleme bei seinen Windturbinen womöglich schnell massive Hilfen vom Staat. Vor allem, um auch um in seinen anderen Geschäftsbereichen wie dem Bau von Stromnetzen und Kraftwerken weitermachen zu können. Der Vorstand prüfe "derzeit verschiedene Maßnahmen zur Stärkung der Siemens-Energy-Bilanz" und führe "Vorgespräche mit unterschiedlichen Parteien, darunter Partnerbanken von Siemens Energy sowie der Bundesregierung, um den Zugang zu einem wachsenden Volumen an Garantien sicherzustellen", teilte der Konzern mit.

Dabei könnte alles so wunderbar laufen im Zukunftsgeschäft mit Windturbinen, der Markt ist ja da und die Zeit drängt für die große Energiewende. Aber ausgerechnet hier, im so wichtigen Geschäft mit erneuerbaren Energien, verliert der Energietechnikkonzern, der vor drei Jahren von Siemens abgespalten wurde, Milliarden. Allein für das Geschäftsjahr 2022/23 rechnet Siemens Energy wegen der Probleme mit der Windkraft insgesamt mit einem Verlust von mehr als vier Milliarden Euro. Für einige Windturbinen-Typen an Land werden nicht einmal mehr Neuverträge abgeschlossen. Und so ist es vor allem das alte, fossile Geschäft mit Kraftwerken, Stromnetzen und Turbinen, das im Konzern noch läuft - und nun Garantien von außen braucht.

Das Wirtschaftsministerium ist "in engen vertrauensvollen Gesprächen"

Die Bundesregierung zeigte sich zuversichtlich, dass es zu einer Lösung kommen wird, die Siemens Energy die Weiterarbeit ermögliche. Man sei mit dem Unternehmen "in engen vertrauensvollen Gesprächen", sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. In Regierungskreisen hieß es ergänzend, man wolle "ein Signal der Zuversicht an die Finanzmärkte senden". Voraussetzung dafür, dass der Staat am Ende mit einer milliardenschweren Bürgschaft einspringt, ist allerdings offenbar, dass sich auch der Siemens-Konzern als ehemaliges Mutterunternehmen in nennenswerter Höhe an dem Hilfsproprogramm beteiligt. Auch hierzu laufen die Verhandlungen.

Die Lage ist dramatisch, denn ohne Milliardenhilfen kann der Dax-Konzern kaum noch Verträge für neue Großaufträge unterschreiben. Bei Siemens ist die Rede von einem Auftragsbestand in Höhe von insgesamt 110 Milliarden Euro - dafür bräuchte es Insidern zufolge Garantien in Höhe von bis zu 15 Milliarden Euro. Geld, das als Bürgschaft zurückgelegt wird - für den Fall der Fälle.

Denn Projekte wie große Stromnetze sind auf viele Jahre hin angelegt, und um sie abzuarbeiten, müssen Konzerne wie Siemens Energy hohe Garantien hinterlegen. Diese Milliardengarantien wiederum werden in der Regel von den Hausbanken der Unternehmen gewährleistet. Gerade hier aber scheint es derzeit wegen der hohen Verluste bei Siemens Energy zu haken - einzelne Geschäfte könnten ohne Garantien also schon bald auf der Kippe stehen. Sollte der Bund mit einspringen, könnten sich einzelne Banken trotz der großen Probleme des Unternehmens leichter tun, sich an den Garantien zu beteiligen. Eine Situation, die die Bundesregierung am Ende möglicherweise unter Zugzwang setzen könnte.

Nach dem Düsseldorfer Gashändler Uniper wäre dies nun eine weitere Aktion, bei der der Bund einem großen Konzern zur Seite springen muss. Uniper war im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in schwere Schieflage geraten. Um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, musste der Bund ein milliardenschweres Rettungspaket aufsetzen und hält seitdem 99 Prozent der Unternehmensanteile. Der Gaskonzern gilt wegen seiner Bedeutung für die nationale Energieversorgung als systemrelevant, Siemens Energy dagegen ist wegen seiner Windturbinen für die Energiewende unerlässlich.

Von einem Staatseinstieg ist im Falle Siemens Energy allerdings erst einmal nicht die Rede - auch weil kein Geld an den Konzern fließen wird. Auch dass Garantien in solchen Fällen gezogen würden, sei eher selten, heißt es in München.

Größter Aktionär ist seit dem Börsengang ohnehin die Konzernmutter Siemens mit 25,1 Prozent der Anteile. Siemens hatte die spanische Windenergie-Produzentin Gamesa 2017 übernommen; drei Jahre später dann spaltete Siemens sein Energiegeschäft unter dem Namen Siemens Energy ab - inklusive Gamesa. Und so begann das Drama, das bis heute andauert. An diesem Donnerstag ging es noch einmal kräftig bergab, Siemens-Energy-Aktien verloren zwischenzeitlich fast 40 Prozent ihres Wertes, auch die Aktie des Siemens-Konzerns gab kräftig nach.

Die Frage ist nun, wie sich der Mutterkonzern in der Frage verhält - und ob er sich ebenfalls an den Milliardengarantien beteiligt. Verpflichtet dazu wäre er, trotz seines 25,1-Prozent-Anteils, nicht. Einerseits. Andererseits habe er durchaus eine "moralische Verpflichtung", meint ein Insider, da die Mitarbeiter von Siemens Energy eben auch ehemalige Siemens-Mitarbeiter seien.

Für den Energietechnikkonzern wird die Lage damit immer verfahrener. Erst vor einigen Wochen wurde bekannt, dass erste US-amerikanische Anwaltskanzleien dabei sind, gemeinsam mit Investoren Sammelklagen gegen das Unternehmen vorzubereiten. Sie schließen nicht aus, dass Management oder Aufsichtsrat bewusst Informationen vorenthalten und Investoren hinters Licht geführt haben. Sollte es so weit kommen, würde dies den Konzern vermutlich auf Jahre hin juristisch beschäftigten. Und ob und wann der Konzern wieder Geld verdienen wird, wann Siemens Gamesa wieder gewinnbringend am Markt verkauft - alles ist unklar zurzeit. Im Gegenteil: Die Verluste im Windkraftgeschäft könnten im kommenden Jahr sogar noch schlimmer werden als derzeit erwartet. Keine guten Aussichten also.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Energiewende
:Einmal Zukunft und zurück

Zwischen Windrad und Gasturbine entscheidet sich die Frage: Schafft ein Energietechnikkonzern die Energiewende? Oder schafft die Energiewende ihn? Eine Reise in die Maschinenräume von Siemens Energy.

Von Thomas Fromm

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: