Schweiz:Sie wollte Panzer an die Ukraine liefern lassen - jetzt tritt sie zurück

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Brigitte Beck war als Ruag-MRO-Chefin eine der wichtigsten Frauen der Schweizer Rüstungsindustrie. (Foto: Ruack)

Brigitte Beck war erst ein knappes Jahr Chefin des Schweizer Rüstungsunternehmens Ruag, nun ist sie weg. Ihr Fall zeigt: Die Neutralität der Schweiz bekommt inzwischen bizarre Züge.

Von Isabel Pfaff, Bern

Der Ukraine-Krieg hat in der Schweiz eine andere Art von Zeitenwende ausgelöst als im übrigen Europa, so viel ist nach rund 17 Kriegsmonaten klar. Der Ärger um Munitionsweitergabe an die Ukraine, die Kritik wegen der angeblich zu laschen Sanktionsumsetzung, das ständige Sich-erklären-müssen aufgrund der Neutralität: Die westlichen Partnerländer der Schweiz waren schon mal besser auf Bern zu sprechen als im Moment. Nun zeigt der jüngste Vorgang im staatseigenen Rüstungsbetrieb Ruag aufs Neue, wie bizarr die Lage der Schweiz inmitten der europäischen Kriegswirklichkeit ist: Brigitte Beck, die erst im vergangenen September angetretene Chefin der Ruag MRO, verlässt das Unternehmen.

Ruag MRO ist der nach innen orientierte Teil der Ruag Holding, die Firma erbringt mehrheitlich Leistungen für das Schweizer Verteidigungsministerium. Der nach außen orientierte Teil, die Ruag International, ist vor allem im Bereich Luft- und Raumfahrt tätig. Brigitte Beck war als Ruag-MRO-Chefin eine der wichtigsten Frauen der Schweizer Rüstungsindustrie. Doch im Gegensatz zu Deutschland, wo jemand wie Armin Papperger, der Chef des Panzerbauers Rheinmetall, vom Außenseiter zum Held der Stunde avanciert ist, wird in der Schweiz die Ruag-Chefin geschasst.

Becks Abgang erfolgte nicht freiwillig

Dass der Abgang nicht ganz freiwillig erfolgte, steht in bemerkenswerter Deutlichkeit in der Pressemitteilung des Konzerns. Zwar hat sich Brigitte Beck demnach selbst entschieden, die Ruag MRO zu verlassen. Doch ihre Entscheidung erfolge "vor dem Hintergrund zweier öffentlicher Auftritte der CEO im Frühjahr 2023 und der daraus entstandenen Kontroverse", heißt es in der Mitteilung.

Gemeint ist zum einen ein Interview, das Beck den Zeitungen der CH-Media-Gruppe gab und das nach Angaben des Verlags Kritik an der Neutralitätspolitik der Schweizer Regierung enthalten haben soll. Im Prozess der Freigabe des Interviews hat Beck den Text dann weitgehend umgeschrieben. Als CH Media ankündigte, die ursprüngliche Version veröffentlichen zu wollen, hat die Ruag MRO offenbar mit rechtlichen Schritten gedroht. Das Interview ist letztlich nicht erschienen, dafür aber ein Text über die Auseinandersetzung.

Der zweite Auftritt war eine Podiumsdiskussion im Mai, auf der sich Beck in erstaunlicher Deutlichkeit zu dem Streit um Waffenlieferungen äußerte. Sie forderte dort Deutschland und Spanien auf, "das Zeug doch an die Ukraine" zu liefern - also jene Rüstungsgüter aus Schweizer Produktion, die die Länder gerne an Kiew weitergeben würden und deshalb die Schweiz um Erlaubnis ersucht hatten, aber jedes Mal ein Nein aus Bern erhielten. "Was würden wir machen? Nichts", sagte Beck auf diesem Podium.

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Viele Schweizer denken ähnlich wie Beck

Auch wenn Umfragen zufolge viele Schweizerinnen und Schweizer wohl ähnlich denken wie Brigitte Beck und sich wünschen, ihre Regierung würde die Neutralität des Landes weniger strikt auslegen: Dass die Chefin eines staatlichen Rüstungskonzerns andere Länder öffentlich dazu aufruft, das Votum der eigenen Regierung zu ignorieren, sorgte für Furore.

Und noch ein dritter Konflikt dürfte Becks Abgang ausgelöst haben. Die Ruag verfügt nämlich über knapp 100 Kampfpanzer des Typs Leopard 1. Die Fahrzeuge sind nicht einsatzfähig und derzeit in Italien eingelagert. Der Rüstungskonzern unter Brigitte Becks Führung hätte diese Panzer gerne an die deutsche Rheinmetall verkauft, wo sie instand gesetzt und danach an die Ukraine geliefert worden wären. Mehrmals ersuchte die Ruag die Schweizer Regierung um Erlaubnis für den Deal, für den sich neben Deutschland auch die Niederlande eingesetzt hatten.

Doch die Schweizer Regierung blieb bei ihrer üblichen Haltung: Kein Schweizer Kriegsgerät darf an eine Kriegspartei gehen, so gebiete es die Neutralität und das Kriegsmaterialgesetz. Es war vermutlich die entscheidende Schlappe für Ruag-Chefin Beck, die nicht nur mit ihren öffentlichen Äußerungen, sondern auch mit der Anbahnung dieses Geschäfts einmal mehr die Aufmerksamkeit des Auslands auf Berns umstrittenen Ukraine-Kurs lenkte.

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