Preisabsprachen:Drogerie-Ketten fordern Millionen zurück

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In Drogeriemärkten oft im Angebot zu finden: Persilwaschmittel. (Archivbild) (Foto: dpa)
  • Unternehmen wie Rossmann, Müller oder Kaufland wollen Geld zurück. Sie werfen den Lieferanten Preisabsprachen vor.
  • Sie folgen damit dem Insolvenzverwalter der untergegangenen Drogerie-Kette Schlecker.

Von Michael Kläsgen und Stefan Mayr, Stuttgart/München

Wenn an diesem Montag der Prozess gegen den gefallenen Drogerie-König Anton Schlecker und seine Familie weitergeht, wird wieder über mehrstellige Millionensummen gesprochen. Der Vorsitzende Richter Roderich Martis hat bereits angedeutet, dass er sich brennend für die Vermögensverhältnisse der Schleckers interessiert. Martis' Kollegen von den Zivilkammern des Landgerichts Stuttgart befassen sich derzeit ebenfalls mit Millionen-Summen aus der Schlecker-Insolvenz. In ihren Akten sind die Schleckers allerdings nicht die vermeintlichen Täter, sondern die Opfer.

Schleckers Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hat jede Menge Lieferanten des untergegangenen Drogerie-Imperiums auf Schadenersatz verklagt. Sein Vorwurf: Sie sollen ihre Preise untereinander abgesprochen und Schlecker somit einen Millionen-Schaden eingebrockt haben. Mehr als 300 Millionen Euro fordert Geiwitz von den Firmen. Und das war nur der Anfang einer Klagewelle, die viele Hersteller von Kosmetik, Haushaltsartikeln und Süßwaren erfasst hat. Inzwischen haben auch andere Drogeriemarkt-Ketten bemerkt, dass sie sich von ihren Lieferanten Geld zurückholen können.

Schlecker-Prozess
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Aus dem Gericht von Stefan Mayr

Mit Ausnahme von DM haben alle namhaften Händler Klagen eingereicht: Rossmann klagt vor dem Landgericht Hannover gegen Mars, Haribo und andere. Müller fordert in Stuttgart von Beiersdorf, L' Oréal, Procter & Gamble eine zweistellige Millionensumme; auch die Großmarktkette Kaufland und der Großhändler Metro wollen Geld von ihren Lieferanten. Es gibt quasi keinen Hersteller von Kosmetik, Haushaltsartikeln oder Süßwaren, der nicht beklagt ist: Auch Beiersdorf, Glaxo-Smith-Kline, Schwarzkopf, Erdal Rex, Gillette, Katjes, Mondelez, Piasten, Storck, Zentis, Coty und Reckitt Benckiser müssen damit rechnen, demnächst zur Kasse gebeten zu werden.

Die Gesamtsumme der Schadenersatzforderungen kann nur geschätzt werden, denn Kläger und Beklagte schweigen eisern. Nur die Gerichte geben Auskunft. Nach Angaben des Landgerichts Stuttgart fordert Geiwitz im Auftrag der Schlecker-Gläubiger 99 Millionen Euro von Kaffee-Konzernen wie Tchibo und Melitta und fast 25 Millionen von Waschmittel-Produzenten wie Henkel. Die vermeintlich dickste Klage ist am Landgericht Frankfurt anhängig. Alleine hier fordert Geiwitz nach Angaben eines Gerichtssprechers 182 Millionen Euro von diversen Lieferanten. Es gibt noch viele weitere Verfahren in anderen deutschen Städten.

Überhaupt ächzen viele Landgerichte angesichts zahlreicher Kartellklagen, denn neben dem Drogeriekartell müssen sie auch das Zucker-, Lastwagen- und Bahnschienenkartell aufarbeiten. Man könnte meinen, Deutschland verkomme mehr und mehr zur Kartellrepublik. Doch Experten sagen, die Zahl der Kartelle habe eher abgenommen. Nur das Kartellamt sei aktiver als früher und decke mehr Fälle auf. Die zivilrechtliche Abarbeitung jedes Einzelfalls ist aufwendig, obwohl die Gerichte gar nicht mehr klären müssen, ob wirklich ein Kartell vorliegt. Diese Frage hat bereits das Bundeskartellamt jeweils mit einem klaren Ja beantwortet. Die meisten Verfahren beruhen auf sogenannten "Follow-on-Klagen", die sich auf Bußgeldbescheide der Kartellwächter berufen. Deshalb müssen die Richter nur noch feststellen, ob den Kunden der Kartelle tatsächlich ein Schaden entstanden ist - und wenn ja, in welcher Höhe.

Die beklagten Unternehmen argumentieren stets ähnlich: Es sei kein Schaden entstanden, weil sie die höheren Preise einfach an die Endkunden weitergegeben hätten. Der Leidtragende (und einzige Klageberechtigte) wäre dann der Verbraucher. Allerdings kann dieser gegen Preisabsprachen kaum klagen - aus Geld- und Zeitmangel.

Das wollte die EU ändern. Theoretisch sollte auch der Käufer gegen den Gummibärchenhersteller klagen können, wenn der sich unlauter verhalten hat. "Der Aufwand wäre riesig, denn der Schaden müsste durch Einkaufsrechnungen detailliert belegt werden", beschreibt der Frankfurter Kartellexperte Dario Struwe von der Kanzlei FPS das Problem. Das Ganze "stünde in keinem Verhältnis zu dem, was am Ende an Entschädigung zu erwarten wäre", meint der Rechtsanwalt.

Die Praxis sieht noch anders aus. Da haben nun die Händler eine Klagewelle losgetreten, weil ihre Schadenersatzansprüche sonst verjähren könnten. Denn die inkriminierten Preisabsprachen liegen viele Jahre zurück. Zum anderen müssen sie befürchten, dass sich ihre Rechtslage demnächst durch eine Gesetzesänderung verschlechtert: Eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sieht vor, dass Unternehmen künftig in gewissem Rahmen Beweismittel offenlegen müssen.

Auch Mitarbeiter von Schlecker warten noch auf Geld

Kartellrechtler Michael Bauer von der Kanzlei CMS in Brüssel bezeichnet das als "revolutionär". Es sei ein Novum, weil sich das deutsche Rechtssystem damit dem US-amerikanischen annähere. Besonders brisant: Die Offenlegungspflicht werde in beide Richtungen gehen, sagt der Düsseldorfer Kartellrechtler Johann Brück. Sie können also auch den Kläger treffen. Was, wenn sich durch interne Dokumente belegen lässt, dass der Einkäufer von den Preisabsprachen seiner Lieferanten wusste und sich sein Wissen honorieren ließ? Mutmaßliche Kartellsünder könnten die Gesetzesnovelle dann auch für sich nutzen und den Spieß umdrehen.

Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hat sich für all die Kartellthemen extra Verstärkung ins Haus geholt. Seine Neu-Ulmer Kanzlei Schneider Geiwitz fusionierte 2015 mit der Ulmer Anwaltskanzlei PF&P, die auf Kartellrecht spezialisiert war. "Damit schlagen wir ein neues Kapitel in der Insolvenzverwaltung auf", tönt Geiwitz. Die bayerisch-baden-württembergische Zusammenarbeit hat sich längst ausgezahlt. Einige der klagenden Drogerie-Ketten lassen sich ebenfalls von der neuen Ulmer Großkanzlei SGP vertreten.

Wann über all die derzeit anhängigen Klagen entscheiden wird, ist noch nicht abzusehen. Viele Gerichte haben zunächst Gutachter damit beauftragt, die Schadenssumme zu beziffern. Wenn die Schätzungen vorliegen, könnten die Streitparteien auch Vergleichszahlungen aushandeln. Schlecker-Insolvenzverwalter Geiwitz kündigt jedenfalls an, nicht lockerzulassen. Sein Auftrag ist es, möglichst viel Geld für die Gläubiger der untergegangenen Drogerie-Kette Schlecker einzutreiben. Darunter sind auch mehr als 20 000 Mitarbeiterinnen, die noch auf Auszahlungen ihrer Überstunden warten.

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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