Lebensmittelpreise:Mit Essen spielt man doch

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Getreidefelder im Süden der Ukraine. Wegen des Überfalls russischer Truppen könnte es zu Ernteausfällen und steigenden Preisen kommen. (Foto: VALENTYN OGIRENKO/REUTERS)

Sind wirklich "Spekulanten" schuld an der Hungersnot, weil sie auf steigende Getreidepreise wetten? Das ist zu kurz gedacht. Spekulation klingt zwar böse, kann am Ende aber allen nutzen.

Kommentar von Nikolaus Piper

Lebensmittel sind heute so teuer wie noch nie. Auch in den reichen Ländern wird die Inflation für Menschen mit geringem Einkommen immer bedrohlicher, in armen Ländern des Südens werden bisherige Fortschritte beim Kampf gegen den Hunger zunichte gemacht. Über die Ursachen der Gefahr gibt es wenig Zweifel. Corona, Extremwetterlagen und zuletzt vor allem Wladimir Putins Hungerblockade der ukrainischen Häfen, durch die der Weizen aus einem der wichtigsten Anbaugebiete der Erde nicht mehr exportiert werden kann.

Manche Kritiker haben allerdings noch einen weiteren Schuldigen für Teuerung und Hunger ausgemacht: die "Spekulanten". Nichtregierungsorganisationen und etliche kirchliche Gruppen behaupten, dass die Leute, die an den Finanzmärkten viel Geld dadurch verdienen, dass sie auf steigende Getreidepreise wetten, diese Preise erst richtig steigen lassen. "Zocken mit Agrarrohstoffen ist unverantwortlich und gefährdet die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln", heißt es etwa bei Oxfam, einer internationalen Hilfsorganisation. "Mit Essen spielt man nicht", erklärt die Initiative Foodwatch.

Kampagnen gegen Spekulanten gibt es immer wieder in Zeiten steigender Lebensmittelpreise, zum Beispiel in den Jahren 2007 und 2008. Im Februar 2016 stimmten die Schweizerinnen und Schweizer über eine Initiative ab, die die Spekulation mit Agrarrohstoffen streng beschränkt hätte. Die Initiative wurde zwar mit großer Mehrheit abgelehnt, das Thema kehrt aber immer wieder. Die Frage ist aber: Sind die Spekulanten wirklich schuld an explodierenden Preisen, Hunger und Not? Die Sache ist nicht so einfach, wie man meinen könnte.

Zunächst einmal gibt es Spekulanten, auf die Farmer kaum verzichten können, weil sie ihnen dabei helfen, ihre Ernte gegen Preisverfall zu versichern. Bei dieser Art von Geschäften wetten die Farmer mittels Terminkontrakten auf sinkende Preise. Damit sie das können, braucht es Leute, die die Gegenposition einnehmen und auf steigende Preise wetten - eben Spekulanten. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass diese Art von Spekulation dazu beiträgt, Risiken zu mindern und Ernten zu verstetigen.

Es nützt allen, wenn Investoren ihr Geld einsetzen

Hier gibt es allerdings einen berechtigten Einwand. Zu Beginn der 2000er-Jahre wurden weltweit die Finanzmärkte liberalisiert. Heute dürfen, anders als in früheren Zeiten, nicht nur Agrarhändler, sondern auch Banken und Investmentfonds beim Geschäft mit Weizen, Mais und Soja mitmachen. Dadurch haben sich die Umsätze an den Märkten innerhalb kurzer Zeit vervielfacht. Wissenschaftler sind sich uneins, ob die höheren Umsätze langfristig wirklich zu höheren Preisen führen. Plausibel wäre es nicht, denn irgendwann kommt es in der Landwirtschaft immer auf das reale Angebot und die reale Nachfrage an. Kurzfristig jedoch sind spekulative Blasen möglich, wenn in einer Krise plötzlich alle auf steigende Preise setzen, wie etwa heute. Solche Blasen sollten wenn möglich verhindert werden.

Es sind Regeln denkbar, die in extremen Situationen die Märkte abkühlen. Während der Finanzkrise 2008 wurden zum Beispiel an der Wall Street für einige Zeit Leerverkäufe untersagt, also Geschäfte, bei denen jemand auf sinkende Preise wettet, in dem er Wertpapiere auf Termin verkauft, die er noch gar nicht besitzt. Der Handelsökonom Tobias Heidland vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut hat in diesem Sinne vorgeschlagen, in kritischen Situationen den Zugang von agrarfremden Spekulanten zu den Märkten zu begrenzen. Ungeklärt ist, wer solche Regulierungen auf internationalen Märkten durchsetzt.

Bei allem sollte Spekulation geregelt, aber nicht abgeschafft werden. Es nützt allen, wenn Investoren ihr Geld einsetzen, um möglichst gut die künftige Preisentwicklung vorauszuschätzen. Entscheidend für die Krise in der Versorgung mit Lebensmitteln sind nicht Spekulanten, sondern die Natur, das Klima, außerdem politische Entscheidungen. Zum Beispiel das Exportverbot, das Indien soeben für seinen Weizen erlassen hat, vor allem aber der Raubkrieg Putins in der Ukraine. Spekulation birgt Risiken, aber sie ist nicht das Hauptproblem, sondern im besten Fall ein Teil der Lösung.

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