Bezahlung von Pflegekräften:Was kostet Würde?

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Nach dem Urteil werden Pflegekräfte womöglich mehr verdienen. (Foto: Uwe Umstätter/imago images/Westend61)

Ein Grundsatzurteil könnte die 24-Stunden-Pflege deutlich teurer machen. Was Pflegekräfte, Patienten und Angehörige jetzt wissen sollten.

Von Wolfgang Janisch, Christoph Koopmann und Angelika Slavik, Karlsruhe/Berlin

Nach einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur besseren Bezahlung von ausländischen Pflegekräften in der häuslichen 24-Stunden-Betreuung sind viele Menschen verunsichert. Denn das BAG kam vergangene Woche zu der Erkenntnis, dass den häufig aus Osteuropa stammenden Pflegekräften, die Senioren rund um die Uhr zu Hause betreuen, der gesetzliche Mindestlohn zusteht. Das gelte auch für Bereitschaftszeiten, in denen die Pflegekräfte Betreuung auf Abruf leisten. Das Urteil soll eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen für viele Pflegerinnen und Pfleger bringen. Für viele Familien aber könnte die Betreuung ihrer Angehörigen zu Hause sehr viel teurer werden - einige müssen möglicherweise neue Pflegemodelle finden. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie kam es zu diesem Urteil?

Geklagt hatte eine Frau aus Bulgarien, die von einer Agentur aus ihrem Heimatland als Pflegerin nach Deutschland vermittelt wurde. Nach eigenen Angaben sorgte sie rund um die Uhr für eine hoch betagte Klientin in Berlin, obwohl der Arbeitsvertrag formal nur eine tägliche Arbeitszeit von sechs Stunden und eine Wochenarbeitszeit von maximal 30 Stunden vorsah. In dem Vertrag, den die betreuungsbedürftige Klientin mit dem Unternehmen geschlossen hatte, stand allerdings "24 Stunden Betreuung/Pflege".

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Die Pflegerin gab vor Gericht an, 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offen bleiben müssen, damit sie auf Rufe der Seniorin reagieren konnte. Sie klagte vor Gericht auf Nachzahlungen nach dem deutschen Mindestlohngesetz für sieben Monate im Jahr 2015 geleisteter Arbeit. Das Landesarbeitsgericht Berlin ging von einer täglichen Arbeitszeit von 21 Stunden aus und sprach der Frau mehr als 38 000 Euro Nachzahlung zu, zusätzlich zu den 6680 Euro netto, die sie als Gehalt für diesen Zeitraum erhalten hatte. Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil für diesen konkreten Fall auf, weil die tatsächliche Arbeitszeit genauer nachgewiesen werden müsse - gelangte aber eben auch zu einer Grundsatzerkenntnis: Der Mindestlohn gilt auch für ausländische Pflegekräfte und muss auch für Bereitschaftszeit bezahlt werden.

Wie viele Menschen sind von der neuen Regelung betroffen?

In Deutschland werden etwa drei Millionen Menschen zu Hause gepflegt, die meisten von Angehörigen, etwa jeder Zehnte von einer 24-Stunden-Kraft. Nach Schätzungen des Bundesverbands für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) kommen dafür im Jahresverlauf 700 000 Menschen nach Deutschland. Meist Frauen aus Osteuropa, die über Agenturen vermittelt werden - wie die Klägerin aus Bulgarien.

Wie viel verdienen 24-Stunden-Kräfte bisher?

Laut VHBP erhalten die meisten osteuropäischen Arbeitskräfte ein Netto-Monatsgehalt von mindestens 1400 bis 1500 Euro - allerdings nur, wenn sie aus dem EU-Ausland kommen. "Menschen aus Drittländern werden häufig schwarz und zu schlechteren Bedingungen beschäftigt", sagt Frederic Seebohm vom VHBP, der die Interessen der Vermittlungsagenturen für Pflegekräfte vertritt. Seebohm schätzt, dass nur zehn Prozent der 24-Stunden-Kräfte über seriöse Agenturen legal in Deutschland arbeiten. Die restlichen 90 Prozent seien illegal angestellt, etwa über Pseudo-Mini- oder Midi-Job-Konstruktionen, oder bekämen ihr Geld bar, ohne überhaupt angemeldet zu sein. Für viele werde das Urteil des Gerichts also keine Folgen haben: Pflege findet in Deutschland oft im gesetzlosen Raum statt.

Werden nun Nachzahlungen fällig?

Nach deutschem Recht beträgt die Verjährungsfrist für solche Lohnansprüche drei Jahre. Gerechnet wird dabei immer bis zum Jahresende. Das heißt: Wer 2018 oder später als Haushaltskraft in der 24-Stunden-Betreuung gearbeitet hat, kann das höhere Entgelt bis Ende dieses Jahres nachfordern.

Um wie viel werden die Löhne der Pflegekräfte steigen?

Das bleibt auch nach dem Urteil eine offene Frage. "Das hängt alles ein bisschen in der Luft", sagt Thomas Heller von der DGB Rechtsschutz GmbH. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte der Klägerin für 21 Stunden täglich den Mindestlohn zugesprochen. Das Bundesarbeitsgericht hielt das offenkundig für zu hoch, hat aber andererseits keinen Zweifel, dass die im Arbeitsvertrag veranschlagten sechs Stunden zu wenig sind. Die Wahrheit dürfte also irgendwo dazwischen liegen. Möglicherweise müssen die Arbeitsgerichte nun mit komplizierten Beweisaufnahmen in jedem Einzelfall ermitteln, wie viel tatsächlich gearbeitet wird. Wobei auch Bereitschaftszeiten zur Arbeitszeit zählen. Die Gerichte können aber auch Schätzungen vornehmen, die sich am Umfang der vereinbarten Hilfs- und Pflegedienste orientieren. Genaueres wird man wohl erst aus der schriftlichen Begründung des BAG-Urteils erfahren - und die wird erst in einigen Wochen vorliegen.

Wer zahlt die höheren Kosten?

Das ist bislang absolut unklar - sowohl in Bezug auf Nachzahlungen als auch auf höhere Kosten in der Zukunft. Zunächst machen Pflegekräfte ihre Forderungen gegenüber der Agentur geltend, die sie vermittelt hat. Mittelfristig werden diese die Kosten aber an die Pflegebedürftigen weitergeben. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte deshalb eine Verbesserung der Pflegeversicherung. Es müsse nun "konsequent" der Weg einer Pflege-Bürgerversicherung gegangen werden, um Pflegebedürftige besser absichern zu können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wies die Idee einer Bürgerversicherung zurück, sprach sich aber dafür aus, eine eigene gesetzliche Regelung zu Arbeitsschutz und Arbeitszeiten zu schaffen. In dieser Frage sei die Bundesregierung bislang nicht konsensfähig gewesen, man könne nun aber ins Gespräch kommen. Wenige Tage vor dem Urteil hatte sein Haus allerdings noch erklärt, es sehe keine Notwendigkeit, prekäre Zustände in der 24-Stunden-Pflege anzugehen. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion vom Montag hervor, über die zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete. Darin hieß es, es gebe keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Frederic Seebohm vom Pflegeverband VHBP sagt, Deutschland solle sich am Beispiel Österreichs orientieren. Dort wurden vor mehr als zehn Jahren besondere arbeitnehmerähnliche Beschäftigungsverhältnisse für 24-Stunden-Kräfte geschaffen, inklusive Sozialversicherungsschutz und staatlicher Förderung. "Das bietet eine lebenspraktische Lösung mit Rechtssicherheit, die wir in Deutschland nicht haben", sagt Seebohm. Auch Spahn verwies am Freitag auf das österreichische Modell. Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund, hält von solchen Neuregelungen nichts. Dem Handelsblatt sagte sie, wenn Arbeitgeber nun Ausnahmen wollten, habe das nur zum Ziel, "Rechtsbruch zum Gesetz zu erheben". Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sagte, das Ziel müsse sein, "weder funktionierende Pflegesettings zu zerstören noch prekäre Arbeitsbedingungen und fragwürdige rechtliche Konstellationen zu tolerieren"

Wann kommt ein neues Gesetz?

In dieser Legislaturperiode nicht mehr. Der Bundestag geht nun in die Sommerpause, vor der Bundestagswahl im Herbst passiert in dieser Hinsicht nichts mehr. Zudem ist zwischen den zuständigen Ministern Spahn und Heil die Stimmung seit Wochen auf dem Nullpunkt, damals stritten sie über Pannen bei der Maskenverteilung. Diese beiden regeln das also nicht mehr. Das sei eine dringliche Aufgabe für die nächste Bundesregierung, sagte Spahn am Freitag.

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