Marodes in Manhattan:Die gebaute Zeitblase

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Die Gebäude der Vereinten Nationen gleichen mittlerweile Museen der fünfziger Jahre. Jetzt werden sie renoviert.

Jörg Häntzschel

10.000 Beschäftigte, 8000 Sitzungen jedes Jahr: Das New Yorker UN-Hauptquartier kommt selten zur Ruhe. Doch wenn nun, wie jeden September, von Dienstag an für drei Monate die Generalversammlung tagt, zu der Tausende von Diplomaten und Politikern aus der ganzen Welt anreisen, geht es auf dem Gelände zwischen 42. und 48. Straße besonders hektisch zu. Die Verantwortlichen bei der Stadt und bei den Vereinten Nationen sind dann immer extrem nervös.

Im Jahr 1956 demonstrierten viele Amerikaner vor dem UN-Gebäude in New York gegen den sowjetischen Einmarsch in Ungarn. (Foto: Foto: AP)

866 Verstöße gegen New Yorker Bauvorschriften wurden vor zwei Jahren in dem Komplex gezählt, so viele, dass New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg damit drohte, keine Schulkinder mehr zu Führungen auf das Gelände zu lassen. Viel mehr als derlei Drohungen auszusprechen, kann Bloomberg nicht tun: Das Gelände liegt außerhalb amerikanischen Hoheitsgebiets. Bei der UN, so Assistant Secretary General Michael Adlerstein, machte man sich dennoch ernsthaft Sorgen, die New Yorker Feuerwehrleute könnten sich im Fall eines Brands weigern, zum Löschen zu kommen.

Doch es geht nicht nur um Brandschutz. Während das Ensemble mit dem Conference Building, dem General Assembly Building, der Bibliothek und dem Sekretariatsturm nach außen noch dieselbe Klarheit und denselben Optimismus ausstrahlen wie bei der Fertigstellung 1951, sieht es in den Eingeweiden der Gebäude besorgniserregend aus.

So gut wie nichts ist geschehen

Nun, mehr als zehn Jahre nach den ersten Debatten, hat mit dem Capital Masterplan ein beeindruckend aufwendiges Renovierungsprojekt begonnen. Erstaunliche 1,87 Milliarden Dollar wird das Ganze bis zur Fertigstellung 2014 kosten. Zum Vergleich: Der Umbau des Berliner Reichstags samt der neuen Kuppel kostete 600 Millionen Mark. Adlerstein, der Architekt ist, schon für Restaurierungsprojekte von der Freiheitsstatue bis zum Taj Mahal verantwortlich war und nun bereits als dritter Exekutivdirektor des Projekts fungiert, nennt das Vorhaben "großartig" respektive "fabelhaft". Doch kaum jemand zweifelt daran, dass es eher einem Albtraum gleichen wird.

An der Wand seines Büros hängt ein Foto von dem internationalen Architektenteam, das die UNO kurz nach ihrer Gründung 1945 damit beauftragte, der jungen Organisation eine Zentrale zu bauen. Dem New Yorker Architekt Wallace Harrison fiel als Leiter des Komitees die Aufgabe zu, Riesenegos wie Oscar Niemeyer und Le Corbusier zu bändigen. Wie gut das Ergebnis trotz der konfliktreichen Zusammenarbeit ausfiel, erstaunt noch heute. Der Komplex wurde zur Ikone der Nachkriegsmoderne und zum Symbol eines neuen Weltgeists.

Architektonisch und technisch waren die Gebäude richtungsweisend in ihrer Modernität. Das Sekretariatsgebäude war New Yorks erster Curtain-Wall-Bau. Doch während die Wolkenkratzer ringsum seither immer wieder renoviert werden, um sie profitabel zu halten, um die Mieter nicht zu verlieren und um sie an neue Baustandards anzupassen, passierte bei der UN in den 59 Jahren seit der Eröffnung so gut wie nichts. Angesichts der globalen Krisen, mit denen die UN gut beschäftigt war, erschienen die Macken des eigenen Hauses wohl weniger dringlich.

Spaziert man heute durch das Gebäude, fallen als erstes die roten Plastikbänder auf, mit denen vor Asbest gewarnt wird. "Das Zeug ist überall: in den Vinylfliesen, in den Wänden, hinter den Klimaanlagen", sagt UN-Sprecher Werner Schmidt. Die Lecks in den Dächern, die Steinbrocken, die ab und zu von der Fassade fallen, und die elektromagnetischen Felder rund um uralte Transformatoren sind verglichen damit noch harmlos. Doch wie alt das Gebäude wirklich ist, erlebt man vor allem in den Lüftungsräumen und Kellergeschossen, wo man sich fühlt wie im Maschinenraum eines historischen Ozeandampfers.

Turbinen wie aus dem Technikmuseum stampfen dort, gesteuert mit einem Hydrauliksystem in dünnen Kupferröhren. Viel zu steuern gibt es allerdings nicht: Das gesamte Heizungssystem, das von einem archaischen Kabuff im Keller aus bedient wird, kennt nur zwei Einstellungen: "Sommer" und "Winter". Und weil Ersatzteile für viele der antiquierten Maschinen nicht mehr zu haben sind, bauen UN-Angestellte sie in der hauseigenen Werkstatt nach.

Gegen Bomben und Kälte

Jahrelang wanderten die Modernisierungsprojekte ergebnislos durch die Instanzen. Erst nach dem 11. September, als ein besserer Schutz vor Terroranschlägen unaufschiebbar erschien, kam das Vorhaben voran. Ganz unverständlich ist die Sorge nicht. In Bagdad und Algier wurden UN-Einrichtungen bei Anschlägen zerstört. Die Sandsäcke, die man nach 9/11 im Liefertunnel um die Betonpfeiler gestapelt hat, dürften da im Ernstfall wohl wenig ausrichten.

Die neuen Fassaden werden allerdings nicht nur Bomben widerstehen, sie werden auch um ein Vielfaches energieeffizienter sein als die alten. Um rund die Hälfte soll der Energieverbrauch sinken, auch wenn die geplanten Solaranlagen und Windturbinen eher symbolische Dimensionen haben. Bessere Isolierung und die neue Klimaanlage, die die Luft teilweise mit Wasser vom East River kühlen wird, machen den Hauptteil aus. Und die Toiletten werden in Zukunft mit Regenwasser betrieben.

Dass es bisher nie Geld gab, um die Gebäude zu modernisieren, hatte allerdings auch sein Gutes: Fast alles hier, von der Beschilderung bis zu den Barcelona-Chairs, von der Telefonanlage bis zu den Kopfhörern in den Konferenzsälen, stammt aus den fünfziger Jahren. Wären da nicht die vielen, großteils eher lästigen Kunstwerke, die die Mitgliedsländer in den Korridoren abgestellt haben, die neuen Stellwände und improvisierten Reparaturen, es sähe hier alles noch aus wie in der Attentats-Szene in Hitchcocks "North by Northwest" (die Hitchcock mangels Genehmigung allerdings in einem Studio-Nachbau drehen musste). Über die Jahre ist das Zentrum internationaler Diplomatie unversehens zu einem grandiosen Museum modernistischen Designs geworden.

Glücklicherweise ist das Adlerstein bewusst. Auch wenn während der Renovierung ganze Mauern herausgerissen und neu gebaut werden, sollen auch die sonst eher vernachlässigten kleinen Design-Details aus den Urzeiten des Gebäudes erhalten bleiben: "Der Aufzug wird die Stockwerke so anzeigen wie heute, doch es wird ein besserer Aufzug sein", sagt er. "Die Barcelona-Chairs werden restauriert, und wir kaufen noch mehr dazu. Die Möbel sind ein wichtiger Teil des Charakters der Vereinten Nationen."

Ursprünglich hatten die Vereinten Nationen viel größere Pläne. Am liebsten hätte man ein neues Hochhaus gebaut, auf einer Grünfläche in der Nachbarschaft. So hätte man die chronischen Platzprobleme der UN gelöst: Von den 10.000 Angestellten arbeitet die Hälfte in gemieteten Büros in der Umgebung. Doch der Bundesstaat New York weigerte sich, den kleinen Park zu opfern. Sogar der Abriss und Neubau des Sekretariatsgebäudes wurden eine Weile lang diskutiert.

Doch am Ende entschied man, dass die "geliebten und ikonischen" Gebäude erhalten werden müssen. Vergleicht man sie mit der fast fertiggestellten neuen US-Botschaft auf der gegenüberliegenden Straßenseite, einem bunkerartigen, in den unteren Stockwerken fensterlosen Steinpfahl, liebt man sie nur um so mehr.

© SZ vom 14. 09. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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