Kurzarbeitergeld:Eine Idee aus der Finanzkrise kehrt zurück

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Die IG Metall schlug schon im Mai das Transformations-Kurzarbeitergeld vor. (Foto: Blickwinkel/McPhoto/Erwin Wodicka)
  • Der Gewerkschaftsbund fordert, die Kurzarbeit wieder stärker zu fördern. Aus Sorge wegen der schwachen Konjunktur.
  • Mit der Bezugsdauer von bis zu zwölf Monaten könne man angemessen auf eine schwierige Situation am Arbeitsmarkt reagieren, so das Arbeitsministerium.
  • Das Kurzarbeitergeld gilt als Grund dafür, dass sich Deutschland recht schnell von der vergangenen Wirtschaftskrise erholt hat.

Von Alexander Hagelüken und Henrike Roßbach, Berlin

Die deutschen Arbeitgeber bekommen Unterstützung für ihre Forderung, angesichts der Konjunkturflaute das Kurzarbeitergeld auszuweiten. "Es ist richtig zu prüfen, ob im Fall eines deutlichen konjunkturellen Abschwungs die vereinfachten Kurzarbeiter-Regeln aus der Zeit der Finanzmarktkrise reaktiviert werden sollten", sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der SZ.

Zuvor hatte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer an die Praxis nach der Krise 2008 erinnert. "Es ist notwendig, jetzt die gesetzlichen Möglichkeiten zu schaffen, dass der Arbeitsminister im Krisenfall sofort mit der damals erfolgreichen erweiterten Kurzarbeit reagieren kann", sagte Kramer dem Handelsblatt. "Wenn die Krise erst mal da ist, geht es um jede Woche." Er begründete seinen Vorstoß mit der Sorge um Autoindustrie, Maschinen- und Anlagenbau.

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Das Arbeitsministerium reagierte allerdings verhalten. Mit der Bezugsdauer von bis zu zwölf Monaten, die seit Anfang 2016 gilt, bestehe "ausreichend Spielraum, um auch auf schwierige Arbeitsmarktsituationen reagieren zu können", sagte eine Sprecherin von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Zudem habe das Ministerium die Möglichkeit, die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes in bestimmten Situationen auf bis zu 24 Monate zu verlängern. Unabhängig davon sei die aktuelle Situation weit von der Situation in der Wirtschafts- und Finanzkrise entfernt. Wenn Unternehmen, etwa wegen eines Konjunktureinbruchs, vorübergehend die Arbeitszeit verringern, bekommen die Beschäftigten Kurzarbeitergeld. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) übernimmt dann für bis zu zwölf Monate 60 Prozent des ausgefallenen Nettogehalts, bei Arbeitnehmern mit Kindern 67 Prozent.

Kurzarbeitergeld kostete in vergangener Krise acht Milliarden Euro

Nach der Finanzkrise zahlte die BA für bis zu zwei Jahre Kurzarbeitergeld; zudem wurden die Arbeitgeber bei den Sozialabgaben deutlich entlastet. Im Mai 2009 waren fast 1,5 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, viele behielten nur auf diese Weise ihren Job. Die großzügige Regelung gilt als einer der Gründe dafür, warum Deutschland damals im Vergleich zu anderen Staaten schnell aus der Krise kam. Der Vorteil für die Unternehmen war, dass sie im einsetzenden Aufschwung sofort mit eingearbeitetem Personal voll produzieren konnten. Manche Ökonomen halten allerdings dagegen, die Kurzarbeitsregelung habe nach der Finanzkrise auch nicht viel mehr bewirkt als in früheren Rezessionen. Zentral seien die Flexibilität der Unternehmen und die Nutzung von Arbeitszeitkonten gewesen, die es früher nicht gegeben habe. Großzügige Kurzarbeit sei nur etwas für echte Konjunkturkrisen, andernfalls verzögere sie den nötigen Strukturwandel.

Ob und wann die Regierung die Kurzarbeit abermals ausweitet, wird davon abhängen, wie stark sich die Konjunktur tatsächlich abschwächt. Denn das Ganze ist teuer: Die großzügige Regelung in der Wirtschaftskrise kostete die Bundesagentur für Arbeit acht Milliarden Euro. Derzeit rechnen Konjunkturforscher damit, dass das Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent 2018 auf etwa 0,5 Prozent in diesem Jahr abflaut. Das wäre eine Delle, keine Krise. Vom Ministerium hieß es, die Kosten einer Wiedereinführung der Krisenregelung ließen sich nicht im Vorhinein abschätzen. Sie hingen von der Inanspruchnahme der Instrumente durch die Firmen und der Dauer einer eventuellen Krise ab.

Noch ist der Arbeitsmarkt relativ stabil. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hält die jüngsten Nachrichten über den Stellenabbau in Großkonzernen für nicht repräsentativ: "Insgesamt lag die Entlassungsquote seit der Wiedervereinigung noch nie so niedrig wie heute." Die Lage wird aber schwieriger. So erwartet Weber in den nächsten Monaten erstmals seit Jahren wieder mehr Arbeitslose. Das IAB-Arbeitsmarktbarometer, ein Frühindikator, weist mit 101,6 Punkten im Juli zwar noch einen positiven Stand aus, sank aber gegenüber 2018 deutlich - auf den niedrigsten Wert seit sechs Jahren. "Im gegenwärtigen Konjunkturabschwung erwarten die Arbeitsagenturen stärkeren Gegenwind", sagt Weber. Vermittlungen in konjunkturabhängige Branchen wie die Zeitarbeit würden schwieriger. Im März gab es 42 000 Kurzarbeiter, 15 000 mehr als ein Jahr zuvor.

Gewerkschafter fordern zusätzliche Instrumente für den Strukturwandel

Die Lage dürfte sich allerdings noch verschärfen, sollten das zweite und das dritte Quartal wirtschaftlich schlechter ausfallen als erwartet. Während die Dienstleistungsbranchen meist noch gut laufen, befindet sich die exportorientierte Industrie, die etwa ein Viertel der Wertschöpfung erwirtschaftet, bereits in einer Rezession.

"Im Moment kann glücklicherweise dank der stabilen Binnenkonjunktur von einem Einbruch am Arbeitsmarkt noch nicht die Rede sein", sagte DGB-Vorstandsmitglied Buntenbach. Angesichts einer möglichen Flaute und des Strukturwandels sei trotzdem Vorsorge angesagt, statt die Beschäftigten im Regen stehen zu lassen. Deshalb auch ihre Sympathien für den Arbeitgebervorstoß zur Kurzarbeit. "Die Rücklagen in der Arbeitslosenversicherung würden ausreichen, um einen ersten Einbruch abzufangen und einen Arbeitsplatzabbau zu verhindern."

Buntenbach forderte darüber hinaus ein Investitionsprogramm und machte sich für einen Vorschlag der IG Metall stark: ein neues Transformations-Kurzarbeitergeld, das technologische Umbrüche abfedern soll. Wenn etwa in der Autoindustrie, wegen der Transformation hin zum Elektroauto, zeitweise weniger Arbeit anfällt, sollen die Mitarbeiter nicht entlassen, sondern stattdessen zur Weiterbildung geschickt werden - finanziert über das neue Kurzarbeitergeld. Das Ministerium betonte allerdings, die betriebliche Weiterbildung sei bereits durch das Qualifizierungschancengesetz gestärkt worden. Man prüfe derzeit jedoch, "ob mit Blick auf den Strukturwandel weitere Schritte, und wenn ja welche, erforderlich sind". Auch das IG-Metall-Modell werde "erörtert".

© SZ vom 30.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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