Künstliche Intelligenz:Warum Otto und dm ihr eigenes Chat-GPT schaffen

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"Wir sind mit der generativen künstlichen Intelligenz am Beginn von etwas, das die Wirtschaft und Gesellschaft so stark verändern wird wie zuletzt die Nutzbarmachung von Elektrizität", sagt Alexander Birken, Chef der Otto-Gruppe. (Foto: Otto Group)

Weniger Berührungsängste, mehr Effizienz: Alle Mitarbeiter der beiden großen Händler sollen bald generative KI nutzen können. Chinas Konzerne machen dies bereits - aber anders.

Von Michael Kläsgen

Die Otto Group hat jetzt ihr eigenes Chat-GPT. Der Chatbot heißt ogGPT, "og" steht für Otto Group. 10 000 Mitarbeitende können die Software derzeit nutzen, sagt Konzern-Chef Alexander Birken. Ziel sei es, alle der etwa 40 000 Mitarbeitenden zu erreichen. "Wir machen das, weil wir möchten, dass alle bei uns in der Gruppe sich damit auseinandersetzen, welche Chancen darin liegen. Und davon gibt es viele."

Birken geht es im Moment vor allem um "GenAI", um generative KI, eine Art künstlicher Intelligenz, die neue Inhalte und Ideen wie Konversationen, Geschichten, Bilder, Videos und Musik erstellen kann. "Wir sind mit der generativen künstlichen Intelligenz am Beginn von etwas, das die Wirtschaft und Gesellschaft so stark verändern wird wie zuletzt die Nutzbarmachung von Elektrizität", sagt Birken im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Ich glaube, es wird gigantisch werden." Er ist überzeugt, dass KI den Einzelhandel grundlegend verändern wird, und zwar alle Bereiche, vom Marketing über das Einkaufsverhalten bis hin zur Herstellung von Produkten.

Die Drogeriekette dm hatte als erster großer deutscher Händler im Sommer ein internes, datenschutzkonformes Tool mit generativer KI entwickelt, das sich an alle Mitarbeitenden richtet. Bei dm und Otto basiert die GenAI auf der Chat-GPT-Technologie von Open AI und dem Azure Open AI Service von Microsoft. Aber man sei offen für andere Anbieter. Um die Kontrolle über die eigenen Unternehmensdaten zu bewahren, wird die Software in der eigenen IT-Infrastruktur gehostet. Die erste Version von ogGPT soll innerhalb von zwei Wochen entstanden sein, erstellt von vier Leuten.

"Das Thema KI umarmen"

Die Chatfunktion soll den Beschäftigten als Hilfsmittel bei der Arbeit dienen. Dokumente und Wissensdatenbanken können sie hochladen und so Antworten auf Fragen im Idealfall schneller finden. Dazu können sie mit dem KI-Assistenten interagieren und ihm konkrete Fragen stellen, ihn auch trainieren.

Die Drogeriekette dm speist die Informationen des Intranets in dmGPT ein. Weitere Daten, etwa aus dm-internen SAP-Systemen, Bon- und Kundendaten, Verbraucheranfragen an das Servicecenter oder Trends aus Social Media sollen dazukommen. Geschäftsführer Roman Melcher sagt: "Die Vorteile in der Arbeit mit dmGPT liegen eindeutig in der Effizienzsteigerung und dem Produktivitätsgewinn." Derzeit erhalten die Mitarbeitenden in den 13 Auslandszentralen Zugriff auf das System. Danach folgen die Filialen.

Nicht zu vergessen in dem Zusammenhang: Die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) baut derzeit einen KI-Campus in der Nähe von Neckarsulm und wandelt sich zum Technologiekonzern.

Kritik an Chinas Einsatz von KI

Das entspricht ziemlich gut Birkens Wunsch nach mehr Eigeninitiative. "Gerade wir als Deutsche mit unserer Zukunftsskepsis müssen das Thema KI umarmen", sagt er. "Wir brauchen offene Neugierde und Wissbegierde und müssen in Europa eine eigene KI-Infrastruktur entwickeln mit den Werten, die wir vertreten." Der Satz bezieht sich insbesondere auf China. Das Land vertritt keine demokratischen Werte. Chinesischen Handelskonzernen wie Shein oder Temu wird vorgeworfen, KI missbräuchlich einzusetzen. Sie sollen massenhaft Designs von Produkten in anderen Ländern kopieren, reproduzieren und verkaufen. In den USA wird das derzeit vor Gericht geklärt.

Diese Art von KI-Raubkopien lehnt Birken natürlich ab. Er findet jedoch auch, dass in Deutschland zu viel "China-Bashing" betrieben werde. "Wir müssen von diesem Duktus weg, chinesische Wettbewerber pauschal so negativ zu sehen", sagt er. "Einige Anbieter sind an manchen Stellen einfach intelligenter und schneller als wir."

Einer, der seit Ende der Achtzigerjahre in China lebt, Jörg Wuttke, BASF-Manager und Präsident der EU-Handelskammer in der Volksrepublik, sagt dagegen: "Ich würde sagen, dann sollten die Chinesen erst mal mit ihrem Europa-Bashing aufhören." Die kritische Sichtweise in Chinas Medien sei klar von der Regierung vorgegeben. Wuttke plädiert für mehr Selbstbewusstsein in Deutschland. China sei von den Konsumenten in Europa abhängig. "Millionen Jobs werden in China durch die europäischen Konsumenten kreiert", sagt er.

Jana Oertel, China-Spezialistin beim European Council on Foreign Relations, spricht sich sogar dafür aus, die eigene Bedeutung stärker hervorzuheben: "Der Umstand, dass die Chinesen ihre eigene Wirtschaft nicht in den Griff kriegen und keinen Konsum zustande bekommen, bedeutet, dass noch mehr Produkte auf unsere Märkte schwemmen." Dadurch gerieten hiesige Produzenten und Händler wie Otto unter Druck. "Da müssen wir sagen, dass können wir so nicht tolerieren", meint Oertel.

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