Versicherungen:Wenn es an die Existenz geht

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(Foto: Jessy Asmus)

Viele Menschen haben Angst vor schweren Krankheiten wie Krebs, Unfall oder Behinderung. Versicherer versprechen Schutz vor den finanziellen Folgen. Aber nicht alle Policen taugen etwas.

Von Christian Bellmann, Köln

Krebs, ein Unfall, eine psychische Erkrankung oder eine körperliche Behinderung - die meisten Menschen fürchten sich vor existenzbedrohenden Risiken. Der Wunsch, sich selbst und die Angehörigen zumindest vor den materiellen Folgen einer solchen Krise zu schützen, ist weit verbreitet. Versicherungen haben sich darauf eingestellt. Doch den richtigen Schutz zu finden, ist nicht einfach. Denn der Markt ist sehr unübersichtlich. Manche Policen sind unverzichtbar, viele sind überflüssig, und andere bieten nicht den erhofften Schutz. Ein Überblick über die wichtigsten Versicherungen existenzieller Risiken.

Berufsunfähigkeitsversicherung

#geldnewsletter Versicherungen: Wenn es an die Existenz geht Schwere Krankheiten wie Krebs machen vielen Menschen Angst, ebenso wie Unfälle oder Behinderungen. Versicherer versprechen Schutz vor den finanziellen Folgen. Aber nicht alle Policen taugen etwas. (Foto: Jessy Asmus)

Wenn die Arbeitskraft ausfällt, hat das drastische finanzielle Folgen. Um sich gegen das Risiko abzusichern, ist die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) die erste Wahl. Die BU greift für Menschen, die durch eine Krankheit, einen Unfall oder den Verfall der körperlichen oder psychischen Leistungsfähigkeit ihren Beruf zu mindestens 50 Prozent langfristig nicht mehr ausüben können. Berufsunfähigkeit kann jeden treffen, nicht nur körperlich Tätige wie Handwerker, sondern auch Büroarbeiter. Inzwischen sind mehr als 40 Prozent aller BU-Fälle auf psychische Erkrankungen zurückzuführen.

"Die BU gehört zu den wichtigsten Versicherungen und ist die beste Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft abzusichern", sagt Bianca Boss vom Vorstand der Verbraucherorganisation Bund der Versicherten (BdV). Denn vom Staat gibt es schon lange nur noch wenig Unterstützung. Wer nach dem 1. Januar 1961 geboren ist, erhält seit 2001 bei Berufsunfähigkeit vom gesetzlichen Rentenversicherungssystem nur noch eine magere Erwerbsminderungsrente.

Bei der Frage, ob ein BU-Fall vorliegt, wird der Grad der Berufsunfähigkeit ermittelt. Beträgt dieser mindestens 50 Prozent, zahlt der Versicherer die volle vereinbarte monatliche Rente. "Die monatliche Rente sollte am besten 75 Prozent des Nettoeinkommens betragen", sagt Philipp Wolf von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Je höher die Rente ausfallen soll, desto mehr kostet der Vertrag. Ohnehin ist die BU recht teuer: Schon Menschen mit Bürojob zahlen oft einen höheren zweistelligen Euro-Betrag pro Monat, bei Handwerkern und Menschen mit gefährlichen oder körperlich strapaziösen Berufen sind Monatsbeiträge von 200 Euro und mehr keine Seltenheit. Deshalb schließen viele diese Policen gar nicht erst ab.

Es lohnt, sich früh um eine BU zu kümmern, rät Verbraucherschützer Wolf. Jüngere Kunden sind tendenziell gesünder als ältere, und je weniger in der Krankenakte steht, die der Versicherer analysiert, desto höher ist die Chance auf eine bezahlbare Police ohne Preiszuschläge und Ausschluss von Krankheiten.

Erwerbsunfähigkeitsversicherung

Zu den Policen, die ebenfalls eine monatliche Rente zahlen, gehört die Erwerbsunfähigkeitsversicherung. "Sie ist teilweise deutlich günstiger als eine BU, aber es gibt hohe Hürden, bevor der Versicherer zahlt", sagt Marc Jacobs, Versicherungsmakler aus Aachen.

Denn eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung leistet nur, wenn der Versicherte weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten kann - in jedwedem Beruf. Ein Gerüstbauer, der wegen einer schweren Gelenkerkrankung nicht mehr als Gerüstbauer arbeiten kann, würde aus einer Erwerbsunfähigkeitspolice kein Geld erhalten, solange er theoretisch noch in der Lage wäre, am Schreibtisch zu sitzen. Bei der BU ist das anders, sie bezieht sich immer auf den zuletzt ausgeübten Beruf. Ob man noch einer anderen Tätigkeit nachgehen könnte, ist nicht relevant.

Grundfähigkeitsversicherung

Dieser Schutz knüpft dagegen nicht an die Arbeitsfähigkeit an. Die Versicherung greift, wenn der Versicherte bestimmte körperliche oder geistige Fähigkeiten verloren hat, beispielsweise den Gebrauch der Hände oder das Sehen. Psychische Erkrankungen gehören - anders als bei der BU - standardmäßig nicht dazu. Einige Anbieter versichern inzwischen zwar auch bestimmte psychische Leiden, meist aber nur einzelne, schwere Krankheitsbilder. "Zur Absicherung der Arbeitskraft ist diese Police eher nicht geeignet", sagt Bianca Boss vom Bund der Versicherten.

Auch bei Grundfähigkeitspolicen gibt es hohe Hürden für den Versicherungsfall. In der Regel muss die versicherte Fähigkeit komplett verloren gegangen sein, damit Geld fließt. Ist die Fähigkeit lediglich stark eingeschränkt, kann es passieren, dass der oder die Versicherte zwar dadurch berufsunfähig ist, aus seiner Grundfähigkeitspolice aber trotzdem keine Rente erhält.

Unfallversicherung

Sie gehört zu den Policen, die Bundesbürger besonders gerne kaufen. Laut dem Versichererverband GDV gibt es hierzulande rund 25 Millionen Verträge. Nach einem Unfall - das ist definitionsgemäß ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis, durch das der Versicherte unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet - zahlt die Police eine vereinbarte Summe auf einen Schlag aus.

Verbraucherschützer halten die Police allerdings für weniger wichtig als viele Kunden. Während statistisch gesehen jeder Vierte einmal im Leben berufsunfähig wird, werden lediglich ein Prozent aller Schwerbehinderungen durch einen Unfall verursacht. Das zeigen Zahlen der Versicherungsmathematiker-Vereinigung DAV und des Statistischen Bundesamts. Und nach Angaben der Analysefirma Morgen & Morgen sind weniger als acht Prozent aller längeren Invaliditätsfälle auf Unfälle zurückzuführen.

Ein Reisender mit Gipsbein und Krücken: Nach einem Unfall wird die vereinbarte Summe oft auf einen Schlag ausgezahlt. (Foto: Christoph Hardt/imago images)

Bei Unfällen am Arbeitsplatz sowie auf dem Arbeits- und Heimweg sind Arbeitnehmer über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert, Gleiches gilt für Schüler. Eine private Unfallversicherung deckt also in erster Linie das Unfallrisiko im Haushalt, beim Sport und in der Freizeit.

Unfallversicherungen können auch eine Unfallrente beinhalten, die der Versicherer nach einem schweren Unfall ähnlich wie eine BU-Rente jeden Monat auszahlt. Dazu kommt es aber nicht sehr oft, berichtet Verbraucherschützer Wolf. "Policen, die eine Rente anbieten, zahlen diese erst ab einem Invaliditätsgrad von 50 Prozent", erklärt er. "Die meisten Unfälle bewegen sich aber eher im Bereich von 20 Prozent."

Dread Disease

Zur Absicherung des Risikos einer schweren Krankheit wie Krebs oder Schlaganfall bieten immer mehr Versicherer sogenannte Dread-Disease-Policen an, das sind Versicherungen gegen die Folgen schwerer Krankheiten. Auch große Marken wie Allianz, Nürnberger und Zurich sind in das Geschäft eingestiegen. Die Police sieht keine monatliche Rente wie die BU vor, sondern eine Einmalzahlung. Die Dread-Disease-Versicherung ist nur eine sogenannte Ausschnittsdeckung. Wesentliche Auslöser für den Verlust der Arbeitskraft sind nicht abgesichert, sagt Expertin Bianca Boss. Dazu gehören Erkrankungen der Psyche wie ein Burn-out.

Risikoleben

Wichtig für Menschen mit Familie oder einer laufenden Immobilienfinanzierung ist die Risikolebensversicherung. Stirbt der Versicherungsnehmer, wird den Hinterbliebenen daraus eine feste Summe ausgezahlt. Angehörige, die auf das Einkommen der oder des Verstorbenen angewiesen sind beziehungsweise Kreditschulden abzahlen müssen, stehen dadurch nicht auch noch vor dem finanziellen Ruin.

Wichtig ist bei der Risikolebensversicherung eine ausreichend hohe Versicherungssumme. "Bei einer Kreditfinanzierung des Eigenheims sollte sie der Kreditsumme entsprechen", erläutert Wolf. "Bei einem Kind in der Familie sollte sie drei Jahres-Nettoeinkommen betragen, bei zwei oder drei Kindern ungefähr das Drei- bis Fünffache, um der Familie über die ersten Jahre zu helfen."

Schlecht versichert zu sein, ist fatal - für unnötige Versicherungen monatlich viel Geld wegzuwerfen, aber auch. "Ich empfehle zur Absicherung der Arbeitskraft eine Kombination aus einer BU und einer günstigen Unfallversicherung", sagt der Makler Jacobs. Die Unfallpolice sollte eine Versicherungssumme von einer halben Million Euro im Vollinvaliditätsfall haben. "Eine solche Police ist schon für 100 bis 150 Euro pro Jahr zu bekommen", sagt er. Auch wenn die Unfallversicherung die BU nicht voll ersetzen kann, bietet sie doch etwas, das die BU nicht leistet: eine hohe Einmalzahlung. "Damit lassen sich nach einem schweren Unfall beispielsweise Umbaumaßnahmen im Haus finanzieren", erläutert er. "Dafür braucht man viel Geld auf einen Schlag, eine BU mit 2000 oder 3000 Euro Monatsrente hilft da erst einmal nicht weiter."

Manche Vermittler neigen dazu, Kunden lieber eine mit vielen Zusatzleistungen ausgestattete Unfallpolice zu verkaufen als eine BU. Für die Vermittler bedeutet die BU einen größeren Beratungsaufwand, und bei der günstigeren Unfallpolice ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Kunde zugreift. Allerdings: "Die Annahme, dass man mit einer aufgeplusterten Unfallpolice für die Hälfte des Geldes eine Police hat, die fast so viel bietet wie eine BU, ist falsch", sagt Jacobs.

Der Makler empfiehlt, Versicherungen einzeln abzuschließen und an die jeweilige Lebenslage anzupassen. "Ein Berufsanfänger braucht zunächst einmal nur eine BU, aber keine Risikolebensversicherung", sagt er. "Die wird erst bei der Familiengründung wichtig." Wenn ein Ehepaar finanziell gut dasteht, die Immobilie abgezahlt ist, die Kinder ausgezogen sind und vielleicht sogar eine Erbschaft ins Haus geflattert ist, sind BU und Risikolebensversicherung möglicherweise gar nicht mehr nötig. "Als Faustformel kann man sagen, dass eine solche Police wichtig ist, bis die Kinder 25 Jahre alt sind beziehungsweise die Immobilie abgezahlt ist", sagt Jacobs.

Wenn die BU zu teuer ist, sollte man - anstatt gar keine Police abzuschließen - lieber einen Vertrag nehmen, der nur bis zum Alter 60 statt bis zum Alter 67 läuft. "Eine Police mit Laufzeit bis zum 60. Lebensjahr kostet pro Monat ungefähr halb so viel wie ein Vertrag bis 67", erläutert Jacobs. "Und dann ist man zumindest im mittleren Alter gut abgesichert."

Die schlechte Nachricht für Verbraucher: Immer mehr Anbieter bieten Mischformen aus den dargestellten Versicherungen an. Das macht es komplizierter zu erkennen, was genau versichert ist und was nicht, und wo die Unterschiede zu anderen Angeboten liegen. Außerdem gibt es große Unterschiede bei Kosten und Leistungen. Gute Beratung ist daher unverzichtbar. Dafür ist der Vertreter des Versicherers denkbar ungeeignet, er vertritt, wie der Name sagt, die Interessen des Versicherers.

Besser passt ein Versicherungsberater, der für seine Zeit unabhängig von einem Abschluss ein Honorar berechnet und deshalb immer aufseiten des Kunden steht. Wenn der Kunde kein Honorar zahlen will, ist ein Makler, der gesetzlich ebenfalls Sachwalter des Kunden und nicht des Versicherers ist, eine gute Alternative zum Vertreter.

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