Internet:Warum es KI-Unternehmen nach Anguilla zieht

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Der Inselstaat Anguilla liegt idyllisch in der Karibik und lebt vor allem vom Tourismus - bisher zumindest. (Foto: CEDRICK ISHAM CALVADOS/AFP)

Wer in der Branche der künstlichen Intelligenz etwas auf sich hält, bewirbt sich um die Top-Level-Domain ".ai". Sie gehört dem kleinen Inselstaat Anguilla - und verhilft ihm zu unerwartetem Reichtum.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Auch geübte Geografen müssen Anguilla vermutlich erst mal auf der Landkarte suchen: Das britische Überseegebiet liegt in der Karibik, rechts von Puerto Rico und nordwestlich von Guadeloupe. Zwei Häfen, ein paar Hotels und traumhafte Strände: Lange lebte Anguilla vor allem vom Tourismus. Nun aber gewinnt eine neue Einnahmequelle immer mehr an Wichtigkeit: künstliche Intelligenz.

Dabei ist es nicht so, als ob es unter den knapp 15 000 Einwohnern besonders begabte Wissenschaftler gäbe oder auf der Haupt- und den Nebeninseln übermäßig schlaue Computer stünden. Anguilla hatte einfach nur Glück, sprich: die richtige Top-Level-Domain, das Kürzel also, das ganz rechts am Ende einer Internetadresse steht. Im Falle von Deutschland ist das zum Beispiel ".de", in Frankreich ".fr" und in Anguilla eben ".ai" - ganz so wie "Artificial Intelligence", die englische Bezeichnung für künstliche Intelligenz.

Die Branche boomt gerade wie kaum eine andere, Millionen an Wagniskapital werden in Start-ups gepumpt und diese wiederum zahlen dann oft viel Geld dafür, um ihre Firmenadressen unter der Domain von Anguilla registrieren zu dürfen. Denn das - so die Hoffnung - erhöht den Wiedererkennungswert und stärkt die Marke. Sogar Elon Musk hat für sein KI-Projekt eine .ai-Endung gewählt.

Dem kleinen Anguilla bringt das nun einen goldenen Gebührenregen: 32 Millionen soll die Verwaltung in der Hauptstadt mit dem schön klingenden Namen The Valley allein im vergangenen Jahr eingenommen haben - zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Das ist durchaus beachtlich, allerdings auch kein Einzelfall. Auch schon andere Länder haben mit ihren Domains gute Geschäfte gemacht, darunter viele Kleinstaaten und Inseln. So wies die ICANN, die gemeinnützige Organisation also, welche sich um die Vergabe der Endungen bemüht, den Föderierten Staaten von Mikronesien 1995 das Kürzel ".fm" zu - wie gemacht dazu, um von Radiosendern benutzt zu werden. In der Karibik ist Antigua und Barbuda und seine Endung ".ag" für deutsche Aktiengesellschaften interessant und im Südpazifik wiederum haben die Skandinavier Gefallen an Niue gefunden, weil dessen Domain ".nu" wie "jetzt" auf Dänisch oder Schwedisch klingt.

Einen ebenfalls sehr begehrten Domainnamen hat der Inselstaat Tuvalu

Das wohl bisher erfolgreichste Beispiel für Domainnamen-Vermarktung ist allerdings der ebenfalls mitten im Pazifik gelegene Inselstaat Tuvalu und sein ".tv"-Kürzel. Weltweit haben Fernsehsender sich ihre Adresse unter dieser Endung registrieren lassen, dazu kommen nun auch noch haufenweise Streaminganbieter. Tuvalu hat das in der Vergangenheit so viel Geld eingebracht, dass die Einnahmen nicht nur für den Ausbau der Stromversorgung und Stipendien reichten, sondern um sogar den Beitrittsprozess zu den Vereinten Nationen zu bezahlen. Ein schöneres Beispiel für die Völkerverständigung dank des World Wide Webs wird man wohl nicht finden.

Doch währen man auf Tuvalu schon seit Jahren vom Geld aus der Domainvergabe profitiert, hat der Boom in Anguilla gerade erst begonnen - und nun hofft man inständig, dass er noch ein bisschen anhält. Einen Teil der Einnahmen hat man nun jedenfalls schon mal in den Ausbau von Schulen gesteckt. Menschliche Intelligenz statt künstlicher also - sicherlich ein kluger Schritt.

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