Kampf um die Atomkraft:Gemeinsam spalten

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Nach der Wahl schien alles klar zu sein: Die Laufzeiten für Kernkraftwerke würden verlängert werden. Geschehen ist - nichts. Darum wird es jetzt eng für die Atomkraft.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Zwei Halbkugeln ein paar hundert Meter hinter den letzten Häusern haben die schwäbische Gemeinde Neckarwestheim wohlhabend gemacht. Zwischen Heilbronn und Stuttgart ging hier 1976 der erste von zwei AKW-Blöcken in Betrieb.

RWE-Chef Jürgen Großmann: "Man muss sich schon fragen, warum deutsche Meiler eine Laufzeit von 32 Jahren haben, während ein paar Kilometer weiter in den Niederlanden 60 Jahre gelten." (Foto: Foto: dpa)

Der 3500-Ort hat sich mit dem Meiler arrangiert und doch rückt er nun ins Zentrum des deutschen Atomstreits. Denn Neckarwestheim 1 steht laut Atomausstiegsgesetz ganz oben auf der Abschaltliste. Schon im Frühjahr könnten dem Reaktor die Reststrommengen ausgehen. Der Anlage droht als erster in Deutschland das Aus.

In der Energiebranche wächst die Nervosität. Längere Laufzeiten für bedrohte Meiler wie Neckarwestheim oder Biblis A und B schienen nach der Bundestagswahl nur noch Formsache.

Schon in den Tagen nach der Wahl rieben sich Energiemanager die Hände.

Seitdem herrscht Stillstand. "Wir würden uns eine schnelle Entscheidung und Planungssicherheit wünschen", räumt ein Sprecher von EnBW ein. Die Koalitionäre aber sind zerstritten. Vor allem Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat bislang wenig Sympathien für eine rasche Verlängerung von Laufzeiten erkennen lassen - auch mit Blick auf die heikle Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai.

Merkel will eingreifen

Einzig Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wirbt derzeit offensiv für längere Reaktor-Lebenszeiten. Eine Auseinandersetzung, die nicht nur die Koalition lähmt: Erst im Sommer soll ein Entwurf für ein nationales Energiekonzept vorliegen. Bis Oktober soll es stehen. Auf dieser Basis, so heißt es im Umweltministerium, könne dann über die Zukunft der Kernkraft entschieden werden. Zu spät für die ersten Meiler, wissen führende Atommanager.

Doch nach Informationen der Süddeutschen Zeitung könnte nun ein Machtwort den Streit beenden. Denn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich in die Auseinandersetzung ihrer Minister einschalten. Dem Vernehmen nach will sie die Initiative ergreifen und Röttgen und Brüderle in den nächsten Wochen - voraussichtlich im Februar - zum vertraulichen Gespräch ins Kanzleramt laden. Schließlich werden in der Union die Rufe nach mehr Führung immer lauter - auch in der Atomfrage.

Vor allem die süddeutschen Bundesländer sind von der Kernkraft abhängig, wollen sie weiter im großen Stil Strom erzeugen. Und sie werden deshalb zunehmend ungeduldig. "Die Daten und Analysen liegen doch längst vor", beschwerte sich unlängst Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU).

"Jetzt geht es um konkretes Handeln." Am frühesten allerdings würde es Baden-Württemberg treffen, das derzeit 49 Prozent seines Stroms aus Atomkraft bezieht. "Die Landesregierung setzt sich nachdrücklich für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ein", heißt es deshalb im neuesten Energiekonzept von Baden-Württemberg, das seit diesem Montag landesweit umworben wird.

"Wirklich noch nicht am Ende"

Führende Energiemanager haben ohnehin die Geduld verloren. Im Sommer habe die Branche Gespräche darüber angeboten, wie zusätzliche Erträge behandelt werden sollten. Seither sei monatelang nichts passiert, wettert einer hinter vorgehaltener Hand.

Nicht einmal Sondierungsgespräche habe es gegeben. Diese Verunsicherung sei kaum zu verantworten, so der Spitzenmanager weiter. "Man muss sich schon fragen, warum deutsche Meiler eine Laufzeit von 32 Jahren haben, während ein paar Kilometer weiter in den Niederlanden 60 Jahre gelten", sagt auch RWE-Chef Jürgen Großmann der Süddeutschen Zeitung. "Unsere Kraftwerke sind nun wirklich noch nicht am Ende. Wir investieren laufend in ihre Sicherheit."

Aus Sicht der Energiekonzerne geht es längst um mehr als Politscharmützel: Weil nicht nur erste Atommeiler vom Netz müssen, sondern auch noch der Bau neuer Kohlekraftwerke wegen des wachsenden Widerstands stockt, warnt der RWE-Chef im SZ-Gespräch vor drohenden Engpässen beim Strom: "Vieles steht auf der Kippe. Das Problem ist, dass nicht ausreichend Ersatzkapazität bereitsteht. Das haben die aktuellen Berechnungen der Deutschen Energie-Agentur noch einmal bestätigt."

Frühestens im Mai, so heißt es aus einem Energiekonzern, wolle die Politik über die Laufzeitverlängerung reden, um den Wahlkampf in NRW nicht zu belasten. Bei EnBW aber weiß man sich zu helfen. Vorsorglich ruft der Konzern seit Monaten nicht mehr die ganze Leistung seines bedrohten Blocks in Neckarwestheim ab. So könnte das Unternehmen Reststrommengen bis nach der nächsten Wahl strecken. Tricks gegen den Streit? Ein Sprecher des Konzerns weist das zurück. "Es geht um eine betriebswirtschaftlich optimierte Fahrweise des Kraftwerks."

© SZ vom 12.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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