Luftfahrt:Fliegen im Flügel

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Nurflügler wie der von Jetzero sollen nur halb soviel Treibstoff verbrauchen wie vergleichbare konventionelle Flugzeuge. (Foto: Jetzero)

Ein US-Start-up will einen sogenannten Nurflügler entwickeln und erhält dafür nun einen Entwicklungsauftrag der amerikanischen Luftwaffe. Der könnte auch die Zivilluftfahrt revolutionieren.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Folgendermaßen sehen Flugzeuge irgendwie schon immer aus: in der Mitte eine Röhre, dabei vorne das Cockpit, dahinter die Passagiere oder die Fracht. Seitlich die Tragflächen, die bei entsprechender Geschwindigkeit den Auftrieb erzeugen. Die Motoren hängen in der Regel irgendwo an den Flügeln, und manchmal auch hinten am Rumpf. Am Heck dann noch das Leitwerk, mit dem das Flugzeug in der Luft in stabiler Lage gehalten und gesteuert wird.

Ein Konzept, mit dem Airbus und Boeing über Jahrzehnte erfolgreich waren. Doch nun droht den beiden neue Konkurrenz eines Start-ups, das mit einem revolutionären Ansatz das Duopol aufbrechen will. Das Unternehmen, Jetzero mit Sitz in Los Angeles, will einen sogenannten Blended Wing Body oder Nurflügler entwickeln. Dabei werden Rumpf und Tragflächen integriert, das gesamte Teil erzeugt dann Auftrieb und ist viel effizienter als ein Flugzeug traditioneller Architektur. "Wir haben jedes letzte Tröpfchen Effizienz aus dem Konzept Röhre und Flügel herausgequetscht", sagt Jetzero-Chef Tom O'Leary. "Der Nurflügler verbraucht 50 Prozent weniger Treibstoff."

Jetzero wurde erst 2021 gegründet und anfangs weder von Boeing noch von Airbus ernstgenommen, wenn überhaupt beachtet. Das dürfte sich allerdings nun ändern. Denn die amerikanische Luftwaffe hat nun beschlossen, das Projekt mit einem Auftrag mit einem Volumen von 235 Millionen US-Dollar zu fördern. Mit dem Geld sollen O'Leary und seine Leute in den nächsten vier Jahren einen Demonstrator in voller Größe entwickeln und in die Luft bringen. Sie sollen damit zeigen, dass die neue Flugzeugarchitektur tatsächlich funktioniert. Und mittlerweile haben sich viele erfahrene Ingenieure, die einst für Boeing, Airbus oder McDonnell Douglas gearbeitet haben, dem Unternehmen angeschlossen.

Der Auftrag zeigt, wie groß das Potenzial ist, das die amerikanische Regierung in den Nurflüglern sieht. Die Air Force könnte so eine Maschine als Tankflugzeug ersetzen, an das Kampfjets in der Luft andocken können. Doch O'Leary hat von Anfang an klar gemacht, dass er einen noch viel größeren Markt bei den Zivilflugzeugen sieht. Bis Mitte der 2030er Jahre will Jetzero einen Nurflügler mit rund 250 Sitzen entwickeln, der mindestens 5000 nautische Meilen weit fliegt. Damit wäre die Maschine größer als die derzeitigen Kurz- und Mittelstreckenjets Boeing 737 MAX und Airbus A320neo und hätte auch eine größere Reichweite. Er wäre aber in Sachen Passagierkapazität kleiner als die meisten heutigen Langstreckenjets und könnte auch nicht so weit fliegen - Verbindungen von Europa an die amerikanische Ostküste wären allerdings locker drin.

Auch Boeing hat immer wieder auch bei zivilen Projekten von Militäraufträgen profitiert: Entwicklungsgeld für den Tanker KC-135 half schon in den 50er Jahren bei der Passagiermaschine 707, die den Grundstein legte für den späteren Erfolg des Konzerns.

Seit rund 30 Jahren wurde immer wieder an dem Konzept gebastelt

Die Idee des Nurflüglers ist nicht neu. Flugzeughersteller in Europa und den USA haben seit rund 30 Jahren immer wieder an dem Konzept gebastelt, es aber letztlich noch nicht bis zu einem tatsächlichen Produkt weiterverfolgt. Airbus hat zuletzt in einem Forschungsprojekt ein kleines Blended Wing Body-Modell fliegen lassen, um mehr über die Aerodynamik zu lernen. Eine der drei möglichen Versionen des Wasserstoff-Flugzeuges, das Airbus 2035 auf den Markt bringen will, ist ebenfalls ein Nurflügler. Allerdings hat Airbus-Chef Guillaume Faury klargemacht, dass es auch die unwahrscheinlichste Version sei. Die NASA forscht ebenfalls seit Jahrzehnten an Blended Wing Bodies.

Technisch hat der Nurflügler viele Vorteile, denn der Widerstand ist gering. Zudem erzeugen bei ihm nicht nur die Tragflächen, sondern das ganze Flugzeug Auftrieb. Die Motoren müssen über dem Rumpf angebracht werden, der dann als Barriere nach unten gegen den Lärm wirkt - die Maschinen sind also nicht nur viel effizienter, sondern auch leiser als herkömmliche Jets. Allerdings gibt es weiterhin noch zu lösende Probleme: Die Flugsteuerung ist nicht trivial, denn die Jetzero-Maschine hat kein Leitwerk.

Vor allem aber bedeutet es eine andere Art des Fliegens für die Passagiere und wahrscheinlich hohe Investitionen für Flughäfen. Anders als bei den heutigen Maschinen sind die Passagiere nicht in einer schmalen Röhre, sondern in einem breiten Körper untergebracht. Die wenigsten von ihnen werden einen Fensterplatz haben, sondern irgendwo in der Mitte sitzen, mit wenig bis keiner visuellen Referenz zur Außenwelt. Weil die außen sitzenden Passagiere viel weiter entfernt von einer gedachten Mittellinie des Flugzeuges untergebracht sind, sind sie wegen der Hebelgesetze wiederum viel größeren Bewegungen ausgesetzt als diejenigen, die in der Mitte sitzen. Schnelle Manöver oder Turbulenzen während des normalen Reisefluges könnten also für sie deutlich unangenehmer werden. Die Flughäfen müssten sich darauf einstellen, selbst für Mittelstrecken auf den Parkpositionen deutlich größere Maschinen unterbringen zu müssen - das Jetzero-Flugzeug hat die Spannweite eines Airbus A330neo, also eines Großraumflugzeuges.

Für Airbus und Boeing könnte ein neuer Konkurrent erwachsen

Vorausgesetzt, Jetzero hat die Technologie im Griff und kann mit Hilfe neuer Investoren die Milliarden an Entwicklungskosten stemmen, könnte Airbus und Boeing damit ein neuer Konkurrent erwachsen und die Dynamik im ziemlich bequemen Duopol verändern. Bislang haben die beiden Hersteller vor, ihre Bestseller A320neo und 737 MAX bis mindestens Mitte des nächsten Jahrzehnts weiterzubauen und dann durch neue Flugzeuge zu ersetzen, die sehr wahrscheinlich dem alten Konzept von Röhre und Flügel folgen werden.

Jetzero hat das Argument auf seiner Seite, mit dem Nurflügler mehr in Sachen Nachhaltigkeit tun zu können. Zwar hat sich die Industrie auf Klimaneutralität bis 2050 festgelegt, doch den größten Teil davon sollen bislang synthetische Treibstoffe und nicht etwa neue Flugzeugkonzepte leisten. Auch diese Rechnung könnte Jetzero neu aufmachen.

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