Japan:Der große Pokémon-Karten-Raub

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Begehrte Pokémon-Sammelkarten: Manche können in Sammlerkreisen ganz schön teuer sein. (Foto: brennweiteffm/IMAGO)

In Japan häufen sich Diebstähle der bunten Sammelbilder. Dass sie dem Besitzer viel Geld bringen können, haben nicht nur Investoren erkannt. Die Karten haben für Diebe aber noch einen anderen Vorteil.

Von Thomas Hahn, Tokio

Als Mensch ohne kriminelle Energie kann man sich schwer vorstellen, was in den Köpfen der Verbrecherinnen und Verbrecher vorgeht. Aber man darf wohl annehmen, dass sie schwerwiegende Entscheidungen treffen, bevor sie losziehen. Sie müssen sich ja erstmal klarmachen, was sie überhaupt klauen wollen in der weiten Welt des modernen Konsums. Banknoten? Kryptowährungen? Gemälde? Hat alles seine Nachteile: Der klassische Überfall bringt in Zeiten des bargeldlosen Bezahlens möglicherweise nicht viel. Internetkonten zu hacken, erfordert spezielles Computer-Wissen. Ein Kunstraub ist aufwendig und kann je nach Größe des entwendeten Werks auf die Wirbelsäule gehen. An solchen Überlegungen könnte es liegen, dass sich die Pokémon-Karte in Japan als praktisches Diebesgut etabliert hat.

Der Markenname Pokémon steht für Pocket-Monster, also Taschenmonster. Er ist der Sammelbegriff für die Fantasiewesen, die das gleichnamige Franchise-Unternehmen aus Japan seit 1996 mit weltweitem Erfolg als Hauptfiguren von Computerspielen, Mangas, Zeichentrickfilmen und einem Sammelkartenspiel vermarktet. Vor allem Letzteres ist ein Hit. Die Karten mit den Abbildungen der verschiedenen Wesen aus der Pokémon-Welt sind als Sammlerstücke längst die coolere Alternative zur Briefmarke. Und genauso wie die seltenen Briefmarken sind auch die seltenen Pokémon-Karten ein Vermögen wert. Für eine First-Edition-Charizard-Karte von 1999 kann man dem Videospiel-Portal der US-Plattform Fan-Nation zufolge 420 000 Dollar, knapp 390 000 Euro, bekommen. Für eine 1998er Pikachu-Holo Illustrator gab es sogar mal sechs Millionen Dollar, 5,55 Millionen Euro.

Die meisten japanischen Menschen sparen ja lieber, als ihr sauer verdientes Geld anzulegen. Aber wenn man sich anschaut, wie sich über die Jahre der Wert mancher Pokémon-Karte gesteigert hat, müssten japanische Banken ihren Kunden eigentlich raten, statt Aktien oder Gold Pokémon-Karten zu kaufen. Und viele Verbrecher im Inselstaat haben die Chance anscheinend erkannt, die in den bunten Karten liegt: handlich bei der Entwendung, leicht zu verstecken - und bei Fans so gefragt, dass man sie teuer verkaufen kann, ohne dabei verdächtig zu wirken. Die Folge: Es häufen sich die Fälle von Pokémon-Karten-Raub.

Erst diese Woche wurde bekannt, dass die Polizei in Tokio einen 35-jährigen Mann festgenommen hat, der unter Verdacht steht, in einem Laden im Bezirk Akihabara 1500 Pokémon-Karten im Wert von 1,15 Millionen Yen, umgerechnet 7625 Euro, gestohlen zu haben. Mitte Mai meldete der Manager eines neu eröffneten Fachgeschäfts in Arao, Präfektur Kumamoto, dass bei ihm jemand eingebrochen habe. Das Glasfenster des Ladens war eingeschlagen. Es fehlten rund 600 Pokémon-Karten im Wert von 6,5 Millionen Yen (43 100 Euro), darunter ein besonders wertvolles Stück für 600 000 Yen, knapp 4000 Euro. Einige Tage später berichtete der Sender NHK, dass die Polizei in Tokio einen 25-Jährigen festgenommen habe, der Anfang Mai 74 Pokémon-Karten im Wert von 2,2 Millionen Yen, 14 600 Euro, aus einem Laden in Fujiyoshida, Präfektur Yamanashi, geraubt haben soll. Yuki M. war auf den Aufnahmen der Überwachungskamera wohl deutlich zu sehen. Laut Polizei soll er geständig gewesen sein. In seiner Wohnung fanden die Beamten auch Karten aus anderen Läden.

Der Einbruch in Akihabara ereignete sich schon im April, an einem Mittwochmorgen um fünf. Zum Diebesgut soll eine Karte gehört haben, die 160 000 Yen, 1060 Euro, wert ist. Aber insgesamt war dieser Raubzug weniger lukrativ als die anderen. Weil der Täter keine Ahnung von Pokémon-Karten hatte? Der festgenommene Masaki O. aus Urasoe in Japans südlichster Präfektur Okinawa hat der Polizei jedenfalls gesagt, dass der Raub eine Auftragsarbeit war. Er habe seinen Auftraggeber über Twitter kennengelernt. Dieser habe ihm mehr als eine Million Yen geboten.

Die Reise von Okinawa nach Tokio ist weit, und Masaki O. hatte offensichtlich keine Skrupel, als der Auftraggeber ihm das Werkzeug für den Einbruch überreichte. Der Pokémon-Karten-Raub scheint für Leute sinnvoll zu sein, die dringend Geld brauchen. Die Polizei sagt, sie suche jetzt den Kopf hinter dem Verbrechen von Akihabara. Wer weiß, was sie noch alles zu Tage fördert in diesem Fall. Vielleicht ist längst eine Pokémon-Karten-Mafia am Werk.

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