Spielzeughersteller:Wie die Traditionsmarke Haba ums Überleben kämpft

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Der ehemalige Haba-Chef Tim Steffens im Juli 2022 mit Ministerpräsident Markus Söder. Steffens ist mittlerweile weg, Haba insolvent. (Foto: HABA FAMILYGROUP/obs)

Eigentlich könnte die Firma hip und erfolgreich sein. Doch das Management wollte um jeden Preis wachsen - und führte das Spielzeugunternehmen so in die Insolvenz. Nun soll eine Quereinsteigerin Haba retten.

Von Uwe Ritzer

Ein Bild aus besseren Tagen. Was ihr als Quereinsteigerin aufgefallen sei? "Dass es in der Spielwarenindustrie kaum Frauen in Führungspositionen gibt, obwohl doch hauptsächlich Frauen Spielzeug kaufen", sagt Stefanie Frieß. Obendrein wundere sie sich, "warum Emotionen hier kaum eine Rolle spielen, obwohl wir doch sehr emotionale Produkte verkaufen". "Hier", das war vergangene Woche die weltgrößte Spielwarenmesse in Nürnberg, wo Frieß und ihr Geschäftsführerkollege Mario Wilhelm Besucher in Halle 3 auf dem Messestand jenes angeschlagenen Unternehmens empfingen, das die beiden wieder flott machen sollen: den insolventen Holzspielzeughersteller Haba. Und dabei sollen Frauen als Zielgruppe und Emotionen eine Rolle spielen.

Mario Wilhelm, 38, promovierter Jurist, ist seit 2005 in dem Familienunternehmen mit Sitz im fränkischen Bad Rodach beschäftigt und wurde im Mai 2023 in die Geschäftsführung befördert. Stefanie Frieß, 46, arbeitet erst seit anderthalb Jahren bei Haba und verantwortet seit Juni 2023 in der Geschäftsführung Vertrieb und Marketing. Die früheren Stationen der Mutter von vier Söhnen waren der Sportartikelriese Adidas und Cybex, ein Hersteller von Kindersitzen und -wagen. Frieß ist also keine Brancheninsiderin; der unverstellte Blick einer Quereinsteigerin kann jedoch nicht schaden, wenn sich ein Traditionshersteller so heillos verfahren hat wie Haba.

Halbes Personal, halbe Produktpalette

Mitte September beantragte das 1938 gegründete Familienunternehmen (Haba ist eine Abkürzung für die Gründer- und Eigentümerfamilie Habermaass) Insolvenz in Eigenverwaltung; das Verfahren läuft noch bis voraussichtlich Ende Februar. Im Dezember halbierte die Firma ihren Personalstand nahezu auf knapp unter 1000 Beschäftigte. 700 Stellen wurden abgebaut, wobei gut 200 Leute von sich aus kündigten. Die anderen landeten in einer Transfergesellschaft. In den Monaten zuvor hatte Haba bereits eine viel beachtete Digitalwerkstatt mit Repräsentanz in Berlin geschlossen und das Ende von Jako-o beschlossen, einem Online-Versandhandel für Kinderartikel. Ein Kindermöbelwerk in Eisleben wurde verkauft. All dies geschah aus purer Not, denn die Geschäfte stürzten regelrecht ab. Nach 353 Millionen Euro Umsatz 2021 werden es in diesem Jahr voraussichtlich 150 Millionen werden. 2023 schrieb Haba einen zweistelligen Millionenverlust.

Zuletzt hatte in Bad Rodach kaum noch etwas geklappt. Der Umgang mit einem neuen SAP-System geriet zum großen Chaos, Händler warteten nicht selten monatelang auf bestellte Ware. Inzwischen, sagen Wilhelm und Frieß, habe man die IT im Griff. Das Vorgängermanagement, das für die Talfahrt Verantwortung trug, ist weg. Mit Ausnahme von Sabine Habermaass, der Vertreterin der Eigentümerfamilie in der Geschäftsführung. "2024 ist für uns das Jahr der Neukonsolidierung", sagt Mario Wilhelm. Vermutlich kein profitables, und auch für 2025 kalkuliert Haba mit Verlusten. 2026 jedoch will man wieder einen Betriebsgewinn erwirtschaften. Mit welcher Strategie? "Forward to the roots", wandelt Stefanie Frieß ein Sprichwort ab. Nicht zurück, sondern vorwärts zu den Wurzeln also.

Da kommt die Quereinsteigerin ins Spiel, die sich darüber wundert, dass Haba viele Geschichten zu erzählen hat, die eigentlich in die Zeit passen und verkaufsfördernd sind, die bislang aber nicht erzählt werden. Sie handeln zum Beispiel von regionalen Kreisläufen. 95 Prozent der von Haba verarbeiteten Rotbuche kommt aus dem Frankenwald, aus der Umgebung also. "Haba arbeitet seit drei Generationen mit denselben Sägewerken zusammen", sagt Wilhelm. Und was an Holzabfällen übrig bleibt, dürfen sich die Beschäftigten als Heizmaterial mit nach Hause nehmen.

Eigentlich müsste Haba funktionieren

Solche Geschichten gefallen einem wachsenden Anteil von Eltern, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Denen daran liegt, dass ihre Kinder nicht mit Kunststoff-Massenware aus Fernost, sondern mit Holzklötzchen, -bahnen oder -häuschen aus heimischem Holz spielen. Ein weiteres Argument für diese Zielgruppe ist zweifellos, dass Haba stets Wert darauf legte, nicht nur Spielwaren zu verkaufen, sondern darüber hinaus einen pädagogischen Anspruch verfolgt. "Wir wollen mit unserem Spielzeug einen Beitrag zur edukativen Entwicklung von Kindern leisten", sagt Stefanie Frieß. "Dafür arbeiten wir auch mit Kinderpsychologen zusammen."

Für diese Werte habe Haba schon immer gestanden, sagen Wilhelm und Frieß, jedoch seien sie "vernachlässigt worden", weshalb die Firma in die Krise geschlittert sei. Das alte Management habe "auf internationales Wachstum gesetzt und dabei die Konzentration darauf verloren, wofür wir stehen und wie wir wahrgenommen werden". In der Spielwarenbranche galt Haba stets als Flaggschiff des Holz-Segments. Umso irritierter nahmen Händler zur Kenntnis, dass die Produktpalette völlig ohne Not immer größer und unübersichtlicher wurde. Dass die Firma erfolgreiche Longseller wie das Kinderspiel "Obstgarten" - der Haba-Klassiker schlechthin seit drei Jahrzehnten - nicht genug gepflegt und vermarktet habe.

Wilhelm und Frieß haben das Sortiment nach eigenen Angaben halbiert und versprechen, Haba werde sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Dazu zähle auch die verbliebene Schwestermarke Haba Pro, die Holzmöbel für Kindertagesstätten und -betreuungseinrichtungen fertigt. Im Vertrieb setze man weiter auf den Fachhandel, wolle darüber hinaus aber auch andere Absatzkanäle auf ihr Potenzial prüfen und geeignete Kooperationspartner suchen. Zoos zum Beispiel, wie jenen in Nürnberg, wo Eltern ihre Kinder jetzt schon in hölzernen Haba-Bollerwagen durch das Gelände ziehen können. Bei alledem will sich das neue Management auf die Kernzielgruppe konzentrieren: Kindergartenkinder und solche in den ersten Grundschuljahren. "Egal, was wir machen: Die Marke Haba muss erkennbar sein, alles muss zu Haba passen", sagt Frieß.

Die Gläubiger unterstützen das Sanierungskonzept und die Strategie, für die Mario Wilhelm und Stefanie Frieß stehen. Von der Eigentümerfamilie Habermaass hört man seit Monaten nichts; sie ist aus der Öffentlichkeit abgetaucht. Die beiden Geschäftsführer versichern aber, sie stünde weiter zur Firma.

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