Industrie:Ein Wasserstoffnetz durchs Land

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Noch stellt kaum einer Wasserstoff her, das Verteilnetz ist trotzdem schon in Planung. (Foto: Rolf Schulten/imago images/imagebroker)

Ein fast 10 000 Kilometer langes System soll künftig Wasserstoff durch Deutschland verteilen. Viele der Leitungen transportierten bisher Gas, andere werden neu gebaut.

Von Michael Bauchmüller

Zuletzt haben sich Bürgermeister und Firmenchefs die Finger wund geschrieben, Briefkästen quollen über. Wer will schon gerne abseits liegen, wenn die Zukunft kommt? An das neue "Wasserstoff-Kernnetz" wollten sie alle angeschlossen sein. Seit Dienstag ist klar, wie dieses Netz aussehen soll: Es lässt keines der 16 Bundesländer aus, ist aber im Nordwesten dichter als anderswo im Land - hier könnte ein Großteil der begehrten Wasserstoffmoleküle irgendwann ankommen. Die Industrie an Rhein und Ruhr wird gut bedient, aber auch jene in Bayern und Baden-Württemberg. Über Italien könnte ebenfalls Wasserstoff eingespeist werden. Und vor allem: Das Netz soll erst der Anfang sein. "Wir lösen das Henne-Ei-Problem", sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Dieses Problem besteht bisher darin, dass zwar alle Welt auf grünen Wasserstoff setzen will - entweder um "grünen" Stahl damit zu produzieren, ihn in der Chemie einzusetzen oder daraus klimafreundliche Treibstoffe herzustellen. Bisher macht das aber niemand. Das wiederum liegt daran, dass Wasserstoff noch nirgends in industriellem Maßstab verfügbar ist. Was wiederum daran liegt, dass er nirgends in industriellem Maßstab eingesetzt wird. Ohne Nachfrage kein Angebot, ohne Angebot keine Nachfrage. "Wir müssen jetzt ein Netz aufbauen für einen Energieträger, der noch nicht da ist", sagt Habeck, als er die Pläne vorstellt.

Erst vorige Woche hatte der Bundestag eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes verabschiedet, die auch die Finanzierung eines solchen Pipelinesystems regelt. Ähnlich wie Strom- und Gasleitungen sollen auch die für Wasserstoff letztlich von den Nutzern finanziert werden. Zunächst aber soll der Bund in Vorleistung treten - mit der genauen Finanzierung will sich das Bundeskabinett am Mittwoch befassen. Die Gesamtkosten taxiert FNB Gas, der Zusammenschluss der deutschen Gasnetzbetreiber, auf 19,8 Milliarden Euro.

Die Energiewirtschaft pocht auf solche Verteilsysteme

Die Betreiber der Ferngasleitungen haben auch den Plan erarbeitet. Von ursprünglich geplanten 11 700 Kilometern Leitungen sind 9700 Kilometer geblieben. Bis 2032 soll das Kernnetz stehen. "Damit stellt sich Deutschland an die Spitze in Europa", sagt Thomas Gößmann, Chef der FNB Gas. Der Umbau der Industrie hin zu Erneuerbaren ist bei dem Projekt greifbar: Denn 60 Prozent der Leitungen transportierten bisher Erdgas. Der Rest wird neu gebaut. Es handele sich, sagt Habeck, um so etwas wie ein neues Autobahnnetz. Jenseits davon werde es, bildlich gesprochen, auch Bundes- und Landstraßen geben, die davon abzweigen und weitere Abnehmer erreichen. Alle zwei Jahre, auch dies soll das Kabinett am Mittwoch festlegen, werde der Netzplan überprüft und im Zweifel angepasst.

Die Energiewirtschaft pocht auf solche Verteilsysteme. Schließlich seien derzeit 1,8 Millionen potenzielle Wasserstoffkunden an das Gasverteilnetz angeschlossen, heißt es beim Energieverband BDEW. "Um den Industriestandort Deutschland klimaneutral und zukunftsfest zu machen, müssen jetzt dringend die Rahmenbedingungen für die Verbindungsleitungen zum Kunden geschaffen werden", sagt Verbandschefin Kerstin Andreae.

Auch müsse sichergestellt werden, dass genügend Wasserstoff erzeugt und eingespeist wird. So lässt sich grüner Wasserstoff per Elektrolyse aus überschüssigem Windstrom erzeugen. Er kann aber auch per Schiff importiert werden, etwa in Form von grünem Ammoniak. Länder wie Norwegen spekulieren darauf, auch "blauen Wasserstoff" zu verkaufen. Der wird aus Erdgas hergestellt, dabei anfallendes Kohlendioxid wird unterirdisch gespeichert.

Für alle Fälle wird das Kernnetz größer geplant als nötig. Es soll in der Lage sein, jährlich 270 Terawattstunden Wasserstoff-Energie auszuspeisen - obwohl für das Jahr 2030 erst eine Nachfrage von 100 Terawattstunden erwartet wird. "Wir planen für die Zukunft", sagt Habeck.

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