Die Blutentnahme dauert etwa zehn Minuten. Dann zieht ein Arbeiter die Nadel und den Ablaufschlauch aus dem Hals der Pferde. Es sieht nicht aus, als ob es ihm ein Anliegen wäre, dass alles möglichst schmerzfrei zugeht. Eine Stute mit schwarz-weißem Fell wankt aus einer Fixierbox, offenbar entkräftet vom hohen Blutverlust. Sie bricht zusammen. Niemand scheint sich um sie zu kümmern. Die Stute steht wenig später wieder auf, aber sie ist zu schwach, um ihren Kopf zu halten und stützt ihn auf dem Zaun der Stallbox ab. Jetzt kommt ein Arbeiter und versucht das zitternde Tier zu verscheuchen. Der Arbeiter steigt auf das Geländer und tritt der Stute drei Mal mit dem Fuß ins Gesicht. Sie bricht erneut zusammen. Der Arbeiter läuft aus dem Bild.
Diese Szene hat ein Team der Tierschutzorganisation "Animal Welfare Foundation" mit versteckter Kamera gefilmt. Sie ereignete sich am Morgen des 16. April 2015 auf einer Pferdefarm der argentinisch-uruguayischen Firma Syntex nahe der Stadt Ayacucho, gut 300 Kilometer südlich von Buenos Aires. Nach allem, was man weiß, war der 16. April dort ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, an dem südamerikanische Tiere misshandelt wurden - im Namen der europäischen Fleischindustrie. Denn aus dem Blut der Stuten wird ein wertvolles Hormon gewonnen, das in Deutschland und anderen EU-Ländern die Schweineproduktion am Laufen hält.
Dabei gelten Argentinier und Uruguayer als Pferdefreunde. Die Kultur der berittenen Gauchos mag zwar romantisch verklärt sein, Pferde haben in diesen Ländern aber immer noch einen besonderen Stellenwert. Als Symbole der Freiheit oder im Sport. Polo und Galopprennen sind dort fernsehtauglich. Was sich jedoch im Hinterland, versteckt vor neugierigen Blicken, abspielt, passt ganz und gar nicht in diese heile Pferdewelt.
Ein Hormon als Rohstoff
Die Firma Syntex S.A. verdient ihr Geld mit dem Export von Pferdblut-Produkten und bezeichnet sich auf diesem Gebiet als einer der Weltmarktführer. Auf ihren Farmen in Uruguay und Argentinien werden Tausende von Stuten allein zu dem Zweck gehalten, sie möglichst oft zu befruchten und dann ihr Blutserum abzuzapfen. Daraus wird dann das Hormon "Pregnant Mare Serum Gonadotropin", kurz PMSG, gewonnen. Ein wertvoller Rohstoff, den, wie der Name schon nahe legt, nur trächtige Stuten in sich tragen.
Abnehmer sind Pharmafirmen in 25 Ländern auf fünf Kontinenten, die mit PMSG unter anderem Hormonpräparate für die Ferkelzucht herstellen. Ein erheblicher Teil wird in Länder der Europäischen Union geliefert, auch nach Deutschland. Das zeigen Recherchen der Süddeutschen Zeitung. Ein Millionengeschäft, das weitgehend im Verborgenen abläuft und kaum kontrollierbar ist - auch weil Gesetze fehlen. Und ein Fall, der erneut ein Schlaglicht auf die Fleischindustrie wirft. Ende August hatten Berichte über gepanschtes Blutserum von ungeborenen Kälbern Aufsehen erregt. Recherchen von SZ und NDR hatten die grausamen Bedingungen in Schlachthöfen und die Verflechtungen mit der Pharmaindustrie offengelegt.
Die Firma Syntex teilt auf Anfrage mit: "Wir produzieren PMSG schon seit vielen Jahren und folgen dabei strengen Kontrollauflagen und Tierschutzbestimmungen." Auf der Website des Unternehmens heißt es zudem: "Wir sind zertifiziert von der Europäischen Union und erfüllen ihre sehr anspruchsvollen Standards." Davon ist auf jenen Aufnahmen, die der SZ vorliegen, allerdings wenig zu erkennen. Im Gegenteil. Für die Produktion des Blutserums werden tragende Stuten offenbar systematisch gequält. Die Aktivisten der "Animal Welfare Foundation" haben fünf Stunden lang auf der Syntex-Farm bei Ayacucho gefilmt und dabei etwa 100 Prügelszenen aufgezeichnet. Um die offenbar traumatisierten Tiere in die Blutentnahme-Box zu treiben, wird ihnen mit Holzscheiten und Elektro-Peitschen auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen. Ähnliches Beweismaterial haben die Tierschützer in Uruguay zusammengetragen, etwa von den Blutfarmen "El Yatay" und "Loma Azul", die auch zur Firma Syntex gehören, oder von den ebenfalls EU-lizensierten Höfen "Las Marquesas" und "La Paloma".