Pharmaindustrie:Das schmutzige Geschäft mit dem Blut ungeborener Kälber

Pharmaindustrie: Kühe stehen in einem Rinderzuchtbetrieb. Wenn trächtige Tiere geschlachtet werden, wird das Blut der noch lebenden Föten abgepumpt.

Kühe stehen in einem Rinderzuchtbetrieb. Wenn trächtige Tiere geschlachtet werden, wird das Blut der noch lebenden Föten abgepumpt.

(Foto: imago stock&people)
  • Mehrere Unternehmen werden verdächtigt, über mehrere Jahre Blutserum von ungeborenen Kälbern mit falschen Herkunftsbezeichnungen vertrieben zu haben, unter anderem auch in Deutschland.
  • Fötales Kälberserum ist der heimliche Treibstoff der Pharmabranche, der als Nährlösung und in der Medikamentenentwicklung eingesetzt wird.
  • Durch verunreinigte Sera könnte auch eine Gefahr für Patienten bestehen.

Von Markus Balser, Christina Berndt und Uwe Ritzer

Fälschungen und Manipulationen im Milliardengeschäft mit Blutserum von ungeborenen Kälbern alarmieren nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und NDR Behörden in Deutschland und Frankreich. Bei Geschäften mit fötalem Kälberserum ist es deutschen und französischen Ermittlern zufolge zu Panschereien, Manipulationen und Fälschungen im großen Stil gekommen. Über mehrere Jahre sollen Unternehmen demnach Serum mit falschen Herkunftsnachweisen auf den Markt gebracht haben. Auch in Deutschland sollen größere Mengen des gepanschten Serums vertrieben worden sein.

Die Vorgänge rücken die erschütternden Produktionsbedingungen eines wichtigen Pharma-Grundstoffs in den Fokus, der direkt aus den noch schlagenden Herzen ungeborener und nicht betäubter Kälber gewonnen wird. Wenn sich die Vorwürfe gegen die Serumhändler bewahrheiten, müssen zudem Wissenschaftler fürchten, dass ihre Arbeiten wertlos sind - vor allem solche aus der milliardenschweren Krebs- und Gesundheitsforschung. Und weil auch Medikamente und Impfstoffe mit dem Kälberserum gezüchtet werden, setzen die skrupellosen Geschäftemacher zudem die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel.

Der heimliche Treibstoff der Branche

Der Verdacht dürfte vor allem in der Pharmaindustrie für Unruhe sorgen. Denn Blutserum aus ungeborenen Kälbern ist der heimliche Treibstoff der Branche. Jedes Jahr wird zwei Millionen Rinderföten in Schlachthöfen weltweit Blut abgezapft. Das Serum, das daraus gewonnen wird, ist ein essentieller Zusatz für Nährlösungen, wie sie in modernen Laboren tagtäglich verwendet werden. Das Serum hält Zellen, Stammzellen, Organe und Gewebe am Leben. Mit dem Blut der ungeborenen Kälbchen werden auch Impfstoffe etwa gegen Kinderlähmung, Masern oder Mumps sowie moderne Medikamente für den Menschen hergestellt - die sogenannten Biologicals, zu denen Antikörper, Botenstoffe und Zelltherapien etwa gegen Krebs oder Multiple Sklerose gehören.

Nun sind gleich mehrere Serumhändler ins Visier von Strafverfolgern geraten. Den Stein ins Rollen brachte in Deutschland der französische Hersteller Biowest, der in einer beim Landgericht Baden-Baden eingereichten Klage Konkurrenten Manipulationen vorwirft. In dem Papier erheben Anwälte von Biowest einen schweren Vorwurf: Die Konkurrenten Serum Technologies aus Bietigheim und Life Technologies aus Darmstadt sollen gefälschtes Serum möglicherweise gar wissentlich auf den Markt gebracht haben.

Beliefert wurden die Firmen demnach über viele Jahre mittel- und unmittelbar von D.A.P aus Frankreich. Zwischen 2003 und 2009 soll D.A.P 110 000 Liter fötales Kälberserum ausgeliefert haben, dessen Herkunft zum großen Teil falsch deklariert war. Die deutschen Abnehmer sollen das gewusst oder billigend in Kauf genommen haben. Schließlich können die möglichen Gewinnspannen in einem solchen Fall gewaltig sein, weil sich seuchengefährdetes Serum aus Südamerika mit falschen französischen Papieren zum mehr als fünffachen Preis verkaufen lässt. Serum Technologies weist zurück, davon gewusst zu haben. Die Vorwürfe "sind haltlos", erklärt das Unternehmen. Der Life-Technologies-Eigentümer Thermo Fisher Scientific wollte die Vorwürfe nicht kommentieren und verwies auf seine stets hohen Qualitätsstandards.

Es ist nicht der erste Fall dieser Art. In den vergangenen Jahren hatten immer wieder Fälschungsvorwürfe für Unruhe gesorgt. Die französische Firma war auch bereits ins Visier dortiger Behörden geraten.

Verunreinigte Sera könnten Krankheiten übertragen

Die Folgen der Affäre könnten für Patienten und Forschungslabors immens sein. "Manipulationen an Kälberserum können zu Verunreinigungen führen, sodass auch Krankheiten und Tierseuchenerreger übertragen werden können", warnt etwa das saarländische Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Auch der Zellbiologe Toni Lindl vom Münchner Institut für Angewandte Zellkultur, einer der renommiertesten Experten für Sera, sieht "eine potenzielle Gefahr" für Patienten. Denn die Bestandteile, die mit einem virenverseuchten Serum in die Medikamentenproduktion gelangen, lassen sich nur schwer wieder herausholen.

"Aus gutem Grund steht im Beipackzettel mancher Impfstoffe als Hinweis für Allergiker, dass Reste von Fremdprotein drin sein können", sagt Lindl. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das die Sicherheit von Impfstoffen und Blutprodukten überwacht, wurde nach eigenen Angaben von Anwälten über den Fälschungsverdacht informiert. Das PEI habe "keine Kenntnis darüber, dass das betroffene Kälberserum bei der Herstellung humaner Arzneimittel verwendet wurde", schreibt das Institut. "In diesem Fall wäre zu prüfen, ob damit Risiken verbunden waren."

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