Auch wenn der Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Mittwoch in Berlin konstatierte, dass "wir nicht bereit sind, uns an Diskussionen über irgendwelche Deadlines zu beteiligen", rückt eine solche Frist spürbar näher. Am 30. Juni um Mitternacht endet das zweite griechische Rettungsprogramm. Im Jahr 2012 war es von Griechenland und seinen Gläubigern beschlossen und zweimal verlängert worden, um der jeweiligen Regierung mehr Zeit einzuräumen, Auflagen zur Modernisierung des Landes zu erfüllen. Sie waren gedacht als Sicherheiten für die Kreditgeber (Euro-Länder, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds), dass Griechenland wieder souverän wirtschaften, haushalten - und Kredite bedienen kann.
Zwei Wochen vor dem Ablauf der Frist sind die Erwartungen geschwunden, dass sich Athen und die Kreditgeber auf Konditionen einigen, unter denen das laufende Programm ordnungsgemäß beendet und die noch verbliebenen Finanzhilfen von 19 Milliarden Euro angewiesen werden können. Die Waage zwischen dem angestrebten clean exit und einem dirty exit, dem unvollendeten Programmende, hat sich zu letzterem geneigt. Es stellt sich die Frage: Was wird dann passieren?
Die Beteiligten im Überblick
An den vertraglichen Beziehungen zwischen Griechenland und der Europäischen Union sowie der Währungsunion änderte sich nichts. Das Land bliebe gleichberechtigtes Mitglied. An den Beziehungen kann nur Athen selbst etwas ändern - wenn die Regierung einen Antrag auf Austritt stellt und dazu einen Vertrag unter souveränen Staaten aushandelt.
In Griechenlan d stünde die Regierung - jenseits möglicher politischer Entscheidungen über Neuwahlen oder einer Koalitionsumbildung - vor der Entscheidung, ob sie fällige Kreditraten an IWF und EZB bedienen oder das Geld für staatliche Aufgaben zurückhalten will. Sollte sie die Kreditverpflichtungen nicht bedienen, dürfte sie nicht automatisch als zahlungsunfähig erklärt werden. Allerdings hätte das Auswirkungen auf die Kreditgeber.
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Der Internationale Währungsfonds müsste ein förmliches Mahnverfahren einleiten, das im schlimmsten Fall - falls Athen dauerhaft seine Schulden nicht begleicht - nach ungefähr zwei Jahren damit endet, dass der Fonds das Land rauswirft.
In Deutschland wären keine unmittelbaren Auswirkungen wie etwa Kreditausfälle zu spüren. Sowohl die bilateralen Kredite, die Deutschland gewährt hat, als auch die Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF sind erst ab 2022 zur Tilgung fällig. Bundesfinanzminister Schäuble stünde nicht in der Pflicht, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Womöglich müssten die Euro-Länder fällige Zinsen vorstrecken. Der Anteil für Deutschland wäre gering, weil sich die Summe auf die 18 verbleibenden Euro-Länder verteilt.
Die Europäische Zentralbank spielt die entscheidende Rolle. Sie hält das griechische Bankensystem mit Notfallkrediten (Emergency Liquidity Assistance) aufrecht, inzwischen hat sie mehr als 80 Milliarden Euro genehmigt. Diese Genehmigungen sind technische Entscheidungen mit weitreichenden politischen Folgen: Sie sorgen dafür, dass der Zahlungsverkehr in Griechenland weitgehend normal läuft - und damit der Alltag der Bürger.
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Spätestens am 20. Juli muss die EZB eine schwierige Entscheidung treffen: An diesem Tag wird eine Staatsanleihe fällig, Athen muss 3,5 Milliarden Euro überweisen. Geht das Geld nicht ein, wäre dies ein Zahlungsausfall, der den EZB-Rat dazu bewegen könnte, keine weiteren Notfallhilfen zu genehmigen. Einen Automatismus dafür gibt es nicht, die Regeln bieten Spielraum für Interpretationen.
Hintergrund ist, dass der EZB-Rat diese Nothilfen billigen kann, solange die Banken solvent sind und über Wertpapiere als Sicherheit verfügen. Der Großteil dieser Sicherheiten besteht jedoch aus griechischen Staats-Schuldscheinen. Wenn Athen eine solche Staatsanleihe nicht auslöst, können auch die anderen Hellas-Anleihen nicht mehr als sicher gelten. Das ist noch nicht alles: Der Bankensektor insgesamt wäre gefährdet, denn in der Bilanz der Institute liegen viele griechische Staatsanleihen, die dann abgewertet würden.
Das eine sind die Regeln, das andere ist die politische Realität in der Euro-Zone. Die EZB will die Euro-Zone zusammenhalten, nicht nur wegen drohender finanzieller Verluste bei einem Ausscheiden Griechenlands. Präsident Mario Draghi will nicht als derjenige dastehen, der verantwortlich gemacht wird für eine Pleite Griechenlands - was passieren würde, wenn die EZB die Nothilfen untersagte. Draghi wird also juristisch alles ausloten lassen, um Nothilfen unter bestimmten Umständen weiter zu genehmigen. Den Verlust der geplatzten Anleihe könnten die Banker umlegen. Die Bundesbank muss 27 Prozent der 3,5 Milliarden tragen.
Ermessensspielraum gibt es auch für die griechische Notenbank. Sie hat das Recht, souveräne Entscheidungen zu treffen. Sollte die EZB doch beschließen, keine Notfallkredite mehr zu genehmigen, kann die griechische Notenbank darüber entscheiden, ob sie auf eigene Verantwortung weiter Euros ausreicht - oder eine parallele Währung einführt. Mit letzterem wäre die Versorgung mit frischem Bargeld in Euro gekappt. In beiden Fällen blieben die vorhandenen Euro-Noten weiter in Griechenland im Umlauf.
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Die Euro-Länder müssten auch über weitere Finanzhilfen entscheiden, um das griechische Bankensystem zu stützen. Ob sie die Banken finanziell stützen, hängt davon ab, ob die Institute ein "systemisches Risiko" darstellen - und damit bei einer Pleite das Bankensystem der Euro-Zone insgesamt gefährden könnten.
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