Schuldenkrise in Griechenland:Warum Tsipras griechisches Roulette spielt

Schuldenkrise in Griechenland: Zocken bis zuletzt: Athen setzt offenbar auf weiteres Entgegenkommen der anderen Euro-Länder.

Zocken bis zuletzt: Athen setzt offenbar auf weiteres Entgegenkommen der anderen Euro-Länder.

(Foto: AFP)
  • Die Gespräche zwischen Griechenland und seinen Gläubigern kommen nicht entscheidend voran. Die Vorschläge zu Kürzungen und Reformen liegen weit voneinander entfernt.
  • Am Donnerstag nun treffen sich die Finanzminister der Euro-Zone in Luxemburg. Sollten sie keine Fortschritte erzielen, ist ein Treffen der Staats- und Regierungschefs noch am Freitag geplant.
  • Griechenlands Regierung spielt auf Zeit und setzt auf einen Schuldenschnitt.

Analyse von Alexander Mühlauer

Leicht ist es nicht, die Geduld zu bewahren, schon gar nicht, wenn man das Gefühl hat, dass es wirklich genug ist. Und genau dieses Gefühl ist am Wochenanfang überall zu spüren in Brüssel, wenn es um die Verhandlungen mit Griechenland geht. Am Sonntagabend hatten sie wieder miteinander gesprochen, die Gläubiger und Vertreter der Regierung in Athen. Papiere hatten sie ausgetauscht, Forderungen, Versprechen; in Zahlen gegossene Hoffnungswerte. Doch nach 45 Minuten war Schluss, Jean-Claude Juncker hatte die Geduld verloren. Der Präsident der Europäischen Kommission brach die Verhandlungen ab.

Am Tag danach sagte Alexis Tsipras, der griechische Ministerpräsident, in Athen: "Wir werden geduldig warten, bis die Institutionen in der Realität ankommen." Die Institutionen, das sind die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF), früher mal bekannt als Troika. Diesen warf er "fünf Jahre Plünderei" vor. Teile der Gläubiger hatten den griechischen Unterhändlern am Samstag eine klare Botschaft mit auf den Weg gegeben: Bis die Börsen am Montag öffnen, müsst ihr neue Reformvorschläge machen, bis dahin brauchen wir eine Einigung. Sonst spielen die Finanzmärkte verrückt. Nun, ganz so verrückt reagierten die Börsen nicht; die Anleger hatten ein Scheitern der Griechenland-Verhandlungen schon "eingepreist", wie man an der Börse behauptet.

Die neuen Sparvorschläge aus Athen kamen nur nach und nach in Brüssel an

Und es ist auch nicht so, dass die Griechen keine Vorschläge gemacht hätten. Acht DIN-A4-Seiten haben sie geschickt. Darauf stehen viele Zahlen und Tabellen, die nur ein Ziel haben: die Gläubiger endlich davon zu überzeugen, die 7,2 Milliarden Euro des laufenden Rettungspakets an Athen auszuzahlen. Geld, welches das Land dringend braucht. Auf den acht Seiten steht auch, dass Athen den Gläubigern beim Wachstumsziel entgegenkommt. Die Geldgeber fordern schon lange ein Primärüberschuss-Ziel (Überschuss vor Abzug des Schuldendienstes) von einem Prozent. Nun gab es Griechenland den Gläubigern schriftlich: Ein Prozent geht in Ordnung. Auch bei anderen Forderungen gab es Fortschritte. So finden sich auf den acht Seiten aus Athen sogar neue Vorschläge, etwa Kürzungen beim Militärhaushalt, die Teile der Gläubiger gefordert hatten. 200 Millionen Euro sollen diese an Einsparungen pro Jahr bringen. Die Gläubiger sehen aber mehr Potenzial, nämlich 400 Millionen Euro.

Nun könnte man sagen, die acht Seiten seien so schlecht nicht. Das Problem ist nur: Ehe die acht Seiten den Gläubigern am Sonntagabend um 18.20 Uhr im Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Kommission in Brüssel, vorlagen, hatte es einen guten Tag gedauert. Am Samstag um 17 Uhr war die erste Seite gekommen, um 23 Uhr die nächste. Und am Ende unterschieden sich die Vorschläge der Griechen, von den genannten Ausnahmen abgesehen, nicht groß von dem, was sie schon vorgelegt hatten. Unterm Strich also reichte es den Gläubigern einfach nicht. Zwei Milliarden Euro pro Jahr - so weit liegen die Einsparforderungen immer noch auseinander.

Der Kommissionschef ließ über seine Sprecher mitteilen: "Präsident Juncker bleibt überzeugt, dass mit verstärkten Reformanstrengungen auf der griechischen Seite und politischem Willen auf allen Seiten eine Lösung bis Monatsende gefunden werden kann." Was man so sagt, wenn man die Hoffnung nicht aufgibt. Und Hoffnung ist ja eine Grundvoraussetzung für das, was man Geduld nennt.

Wie es aussieht, kommt es jetzt auf die Finanzminister der Euro-Zone an. Sie treffen sich an diesem Donnerstag in Luxemburg. Eigentlich bräuchten die Minister schon vorher eine Einigung, ein sogenanntes Staff-Level Agreement, das sie dann beschließen könnten. Das wäre der Normalfall. Aber was ist schon normal in diesem griechischen Schuldendrama?

Fest steht eines: Griechenland wird weiterhin viel Geld brauchen

Am Tag vor dem Treffen in Luxemburg wird die Europäische Zentralbank erneut über Nothilfen für griechische Banken entscheiden. Es geht dabei um drei Buchstaben: ELA. Diese stehen für "Emergency Liquidity Assistance", und die hält bislang das griechische Finanzsystem am Laufen. Noch will die EZB, als Teil der Griechenland-Gläubiger, den Druck auf Athen nicht erhöhen, sie wird weiter großzügig Geld zuschießen.

Aber wie lange noch? Sollte es beim Treffen der Finanzminister eine Einigung geben, müssen in vielen Euro-Staaten noch die nationalen Parlamente darüber abstimmen. Darunter der Deutsche Bundestag, die Griechen, aber auch die finnische Abgeordneten, die als besonders Griechenland-kritisch gelten. Erst dann kann der Gouverneursrat des Euro-Rettungsfonds ESM die Hilfszahlung an Athen freigeben.

Kommen die Finanzminister nicht zu einer Einigung, dann soll es am Freitag einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel geben. Es ginge um das, was die Gläubiger "Plan B" nennen. Ein Notfallplan, wenn alles scheitern sollte. Das es so weit kommt, will keiner. Weder die Griechen noch die Gläubiger. Aber ausschließen kann es niemand.

Fest steht, dass Griechenland - egal wie ein Kompromiss aussieht - Geld braucht. Und zwar mehr Geld als die 7,2 Milliarden Euro, die Athen aus dem laufenden Rettungspaket bekäme. Spätestens nach dem 30. Juni, dem letztmöglichen Tag einer Einigung, geht es um die Frage, wie Griechenland überleben kann. Und deshalb ist es kein Zufall, dass die Regierung in Athen schon jetzt auf einen Schuldenschnitt drängt. Oder zumindest auf eine Streckung der Schuldenlast.

Das Kalkül der griechischen Regierung ist klar: Sie setzt darauf, dass die anderen Euro-Länder alles dafür tun werden, um die Währungsunion zu erhalten. Wer würde schon wegen ein paar Prozentpunkten oder zwei Milliarden Euro Europas Zukunft aufs Spiel setzen? Es sieht also ganz so aus, als ob Athen die Geduld der europäischen Partner noch ein bisschen in Anspruch nehmen wird. Und es ist denkbar, dass zu guter Letzt wieder die höchste politische Ebene entscheiden muss. Athens Finanzminister Yanis Varoufakis sagte bereits, wer am Ende mit am Tisch sitzen müsse: Angela Merkel.

Dabei ist es noch gar nicht lange her, da saß die Bundeskanzlerin mit Alexis Tsipras an einem Tisch. Vergangenen Mittwoch war das, um 22 Uhr, am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels in Brüssel. Die Kanzlerin sagte: "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg." Die Institutionen sollten weiter verhandeln. Das tat die Delegation unter Juncker dann auch - bis Sonntagabend.

Doch bereits vergangene Woche hatte Juncker einen wichtigen Satz gesagt: "Die Menschen werden langsam ungeduldig." Daran hat sich nichts geändert.

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