Pixel 6 und 6 Pro:Hey Google, endlich ein Premium-Handy

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Google hat die neuen Pixel-Smartphones erstmals nicht zusammen mit einem Partner, sondern selbst entwickelt. (Foto: Franziska Gabbert/dpa)

Überzeugende Software, biedere Hardware: So baut Google seit fünf Jahren Smartphones. Im Pixel 6 stecken erstmals moderne Kameratechnik und ein eigener Chip - mit beeindruckenden Ergebnissen.

Von Simon Hurtz

Die gute Nachricht für Google: Das Pixel 6 Pro ist ausverkauft. Die schlechte Nachricht für Google: Das Pixel 6 Pro ist ausverkauft. Zumindest in Googles eigenem Online-Shop kann man sich im Moment nur auf eine Warteliste setzen lassen. Seit fünf Jahren baut Google Smartphones, die in Testberichten gut abschneiden und trotzdem nur auf einen Marktanteil im Promillebereich kommen. Mit der sechsten Generation soll sich das ändern - und das könnte funktionieren.

Zum ersten Mal kooperiert Google nicht mit anderen Smartphone-Herstellern oder Chip-Lieferanten. Das neue Pixel ist fast 100 Prozent Google, vom Betriebssystem über die Kamera bis zum Prozessor. Nach zwei Wochen mit Pixel 6 und Pixel 6 Pro lässt sich sagen: Google baut nicht nur die beste Suchmaschine, sondern auch zwei der besten Android-Handys. In der Klasse bis 650 Euro gibt es kaum ein Smartphone, das mit dem Pixel 6 mithalten kann. Der große Bruder, das 6 Pro, kostet 900 Euro und ist, wie Google es selbst ausdrückt, das "erste echte Flaggschiff-Handy" der Pixel-Reihe.

Die Vorgänger waren gute Smartphones mit faszinierender Software und mittelmäßiger Hardware, bei denen man sich immer wieder fragte: Was wäre, wenn Google seine Fähigkeiten beim maschinellen Lernen nicht nur nutzte, um einen veralteten Kamerasensor konkurrenzfähig zu machen - sondern die beeindruckende Bildverarbeitung mit einem modernen Kamerasystem kombinierte?

Die Antwort lautet: Es entstehen tolle Fotos, die mit den Spitzenmodellen von Apple und Samsung mithalten können. Anders als das erste Pixel, das sich aus dem Nicht die Kamerakrone aufsetzte, ist die sechste Auflage aber nicht die Revolution, die man auf den ersten Blick erwarten könnte. Bei beiden Modellen hebt sich die Kameraleiste nämlich optisch markant auf der Rückseite ab, als wolle Google nicht kaschieren, sondern zusätzlich betonen, wie viel Platz die neue Hardware braucht. Im Pixel 6 ist dort neben der normalen noch eine Ultraweitwinkel-Kamera untergebracht, beim 6 Pro verbaut Google zusätzlich eine Telekamera.

Beim Zoom hat das Pro deutlich die Nase vorn, bis zur vierfachen Vergrößerung wird optisch gezoomt, selbst der 20-fach-Digitalzoom sieht überraschend gut aus. Auch die Frontkamera des Pro löst etwas höher auf und bietet ein größeres Blickfeld. Wer nicht ständig scheue Tiere fotografiert und regelmäßig Gruppen-Selfies knipst, merkt im Alltag aber keinen Unterschied zwischen den Handys. Beide machen auch bei schwierigen Lichtverhältnissen scharfe und nahezu rauschfreie Bilder. Der Nachtmodus ist hervorragend, die Farben wirken fast immer natürlich, und endlich hält auch die Videoqualität mit den Fotos mit.

Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass noch mehr möglich wäre. Das unverarbeitete Ausgangsmaterial im RAW-Format sieht dank des neuen Sensors um Welten besser aus als bei Pixel 2 bis 5, die allesamt die gleiche Hardware nutzten. Einige der fertigen JPG-Fotos wirken dann aber so, als habe Google noch nicht gelernt, damit umzugehen. Die Algorithmen polieren das Bild fast zu stark auf, etwas weniger HDR, Licht und künstliche Schärfe wären manchmal mehr. Das ist ein Problem, das sich nachträglich lösen ließe: Vielleicht passt Google die Software mit einem Update noch besser an die Stärken der Hardware an.

Die zweite große Neuerung heißt Tensor. Googles erster eigener Chip spielt im Labor ungefähr in der Liga des schnellsten Snapdragon, Apple ist weit enteilt. Benchmark-Ergebnisse sind bei modernen Smartphones aber ähnlich bedeutsam wie die Maximalgeschwindigkeit bei einem Auto: Man reizt sie ohnehin fast nie aus, das Handling im Alltag ist viel wichtiger. Hier überzeugt der Google-Chip rundum: Apps öffnen in Sekundenbruchteilen, beim Scrollen gibt es keine Verzögerung, Fotos und Videos werden schnell verarbeitet. Auf keinem Gerät fühlt sich Android 12 so flüssig und natürlich an wie auf dem Pixel 6.

Vor allem ermöglicht der Tensor-Chip im Zusammenspiel mit maschinellem Lernen eine Reihe an praktischen Zusatzfunktionen. Der "Magische Radierer" entfernt unerwünschte Objekte aus Fotos, etwa fremde Personen im Hintergrund. Die Diktierfunktion der Rekorder-App verwandelt Sprachaufnahmen in Transkripte, die bei klarer Tonqualität und geringem Hintergrundlärm viel lästige Tipparbeit abnehmen können - darüber freuen sich nicht nur Journalisten, sondern alle Menschen, die regelmäßig Meetings, Vorträge oder Lehrveranstaltungen aufnehmen.

Der Akku beider Modelle hält bei normaler Nutzung mindestens einen Tag, oft ist am Abend noch die Hälfte der Kapazität übrig. Geladen wird nicht ganz so flott wie bei manchem Konkurrenten, 30 Watt per USB-C und 23 Watt auf einer kabellosen Ladestation reichen für die meisten aber völlig. Beide Displays überzeugen mit satten Farben und ausreichender Helligkeit, das Pro hat leicht die Nase vorn. Der 6,7-Zoll-Bildschirm ist 0,3 Zoll größer und liefert auch schmalere Ränder, höhere Auflösung sowie mit 120 statt 90 Hertz die bessere Bildwiederholfrequenz.

Dafür liegt das Pixel 6 besser in der Hand. Es ist kleiner, und das Material bietet mehr Grip als die rutschige Rückseite des Pro. Sobald man eine Hülle verwendet, verschwindet nicht nur die wuchtige Kameraleiste, sondern auch dieser Unterschied. Die Differenz beim Preis lässt sich aber nicht verstecken. Das Pixel 6 kostet 250 Euro weniger, hat bis auf die fehlende Telekamera aber nur wenige echte Nachteile. Das kompaktere Format und das geringere Gewicht könnten sogar Argumente für das günstigere Modell sein. Das Herz mag für das Pro schlagen, der Kopf sagt: Das Pixel 6 ist die vernünftigere Wahl.

Zwei Ärgernisse haben beide Smartphones gemein. Der Fingerabdrucksensor auf der Vorderseite reagiert träger als der kapazitive Sensor, den Google beim Vorgänger auf der Rückseite verbaute. Leider kommt auch die Gesichtserkennung des Pixel 4 nicht zurück, die im Winter eine echte Erleichterung war: Wer zieht schon gern bei Minusgraden die Handschuhe aus, um das Handy zu entsperren? Die zweite Inkonsequenz leistet sich Google ausgerechnet bei der Software. Fünf statt wie bislang drei Jahre Sicherheitsupdates sind ein Fortschritt, fünf Jahre Funktionsupdates wären eine echte Kampfansage an Apple gewesen. Doch diese Garantie gibt es nur bis 2024, während das iPhone 13 mindestens bis 2026 neue iOS-Versionen erhält.

Wenn die Kritikpunkte in einen Absatz am Schluss passen, heißt das: Google hat jede Menge richtig gemacht. Im Jahr 2021 muss man aber auch sagen: Smartphone-Entwicklung vollzieht sich nicht mehr in großen Sprüngen, sondern in Trippelschritten. Das Pixel 6 kann nichts, was seine Vorgänger nicht können - nur alles etwas besser. Von wenigen Ausnahmen wie dem Fairphone abgesehen verbraucht jedes neue Gerät massig CO₂ und seltene Erden. Vielleicht tut es ja das alte Handy noch eine Weile?

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