Die ersten elf Monate des Jahres haben die analoge Welt gründlich durcheinandergewirbelt. Im Netz hat die Corona-Pandemie dagegen wenig Spuren hinterlassen. Zoom ist das neue Skype, und Telegram bietet neben Nazis und Rassisten nun auch Corona-Leugnern und Verschwörungsgläubigen eine neue Heimat. Im Großen und Ganzen funktioniert die Plattformwelt aber genauso wie 2019: Menschen googeln und verschicken Whatsapp-Nachrichten, die Jüngeren inszenieren sich auf Instagram und Tiktok, die Älteren vernetzen sich über Facebook.
Der Dezember könnte die Macht im Netz grundlegend neu verteilen. Binnen weniger Tage wurde auf der ganzen Welt eine Flut an Gesetzen vorgelegt und Klagen eingereicht, die das Potenzial haben, digitale Großkonzerne ins Wanken zu bringen. Damit kulminiert eine Entwicklung, die sich schon länger abgezeichnet hatte: Parlamente wollen den Plattformkapitalismus mitgestalten.
Noch nie wurde das so deutlich wie in der vergangenen Woche. Die USA eröffneten den Regulierungsreigen mit zwei Klagen gegen Facebook. Wenige Stunden später leitete das Bundeskartellamt ein Ermittlungsverfahren gegen Facebook ein. Dann stellte die EU-Kommission eine Art digitales Grundgesetz vor, bevor in den USA schließlich zwei weitere Kartellklagen gegen Google eingereicht wurden.
Google drohen nun drei Kartellprozesse
Bei all dem Durcheinander geht fast unter, dass Australien Facebook verklagte, Google Down Under in die Lobbyschlacht gegen ein geplantes Mediengesetz zieht, Großbritannien jugendgefährdende Inhalte mit einem drastischen Gesetz aus dem Netz tilgen will und die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein ein Verfahren gegen Google einleitet.
Im Zentrum der Klagewelle stehen zwei der mächtigsten Konzerne der Welt. Zählt man die Monopolklage dazu, die das US-Justizministerium im Oktober einleitete, drohen Google nun drei Kartellprozesse. Die ursprüngliche Klage wirft Google vor, seine Dominanz ausgenutzt zu haben, um Konkurrenten wettbewerbswidrig zu behindern. Dabei geht es insbesondere um Taktiken, mit denen Google versucht haben soll, seine Suchmaschine zum Standard auf Android- und iOS-Geräten zu machen.
Diese Vorwürfe finden sich auch in einer der beiden neuen Klagen wieder. Die Generalstaatsanwälte von Colorado und Nebraska bezichtigen Google gemeinsam mit 36 weiteren Staaten, eigene Dienste in den Suchergebnissen bevorzugt und damit Rivalen wie Yelp oder Tripadvisor geschadet zu haben. Die Klage könnte mit der des US-Justizministeriums zusammengeführt werden. Vergleichbare Verfahren in der EU kosteten Google zwar Milliarden, erzwangen aber keine grundlegenden Änderungen der Suchmaschine selbst. Genau darauf zielen die USA ab: Geldstrafen seien ähnlich wirksam, wie einem Gorilla vors Schienbein zu treten, sagt Nebraskas Beschwerdeführer Doug Peterson.
Hinter der dritten Klage steckt Ken Paxton, der Generalstaatsanwalt von Texas. Zusammen mit neun weiteren republikanisch geführten Bundesstaaten nimmt sich Paxton vor allem Googles Anzeigengeschäft vor. Ein Teil der Vorwürfe ist genauso schräg wie das breitbeinige Video, mit dem Paxton die Klage auf Twitter verkündete und dabei in erster Linie daran interessiert zu sein scheint, sich als Retter der texanischen Marktfreiheit darzustellen.
Unter anderem soll Google von Facebook Zugriff auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte WhatsApp-Nachrichten erhalten haben. Vermutlich ist damit die Möglichkeit gemeint, seine Nachrichten in Google Drive zu sichern, was praktisch ist, wenn man das Gerät wechselt. Dieses Backup ist freiwillig, und Whatsapp weist sogar darauf hin, dass die Inhalte unverschlüsselt gespeichert werden. Ob Paxton weitere Belege für seine Anschuldigungen hat, ist unklar, da große Teile der Klageschrift geschwärzt sind. Zumindest in diesem Punkt scheint die Beweislast aber sehr dünn zu sein.
Facebook soll Wettbewerber bewusst behindert haben
Deutlich durchdachter sind die Klagen, die fast 50 US-Bundesstaaten und die US-Handelskommission FTC gegen Facebook eingereicht haben. Im Kern geht es um die Frage, ob die Übernahmen von Instagram und Whatsapp gegen das Kartellrecht verstoßen. Außerdem soll Facebook Wettbewerber bewusst behindert haben, indem Datenschnittstellen abgedreht wurden. Einige der Vorwürfe dürften vor Gericht keinen Bestand haben, teils argumentieren die Klagen auch widersprüchlich. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Facebook zerschlagen und in drei einzelne Unternehmen aufgespalten wird, wie es die FTC fordert.
Dennoch muss und wird Facebook die juristische Auseinandersetzung ernst nehmen. Schließlich wollen Demokraten und Republikaner ausnahmsweise das Gleiche und ziehen gemeinsam in den Lobbykrieg mit den Tech-Giganten. Auch der neue US-Präsident Joe Biden steht hinter den Verfahren. Noch-Amtsinhaber Donald Trump wütete zwar gegen das Silicon Valley, handelte aber nur selten. "Ich war noch nie ein großer Zuckerberg-Fan", sagte Biden Anfang des Jahres. "Ich glaube, er ist ein echtes Problem." Unter anderem will er die chronisch unterfinanzierte FTC besser ausstatten. Die Tech-Konzerne werden zwar immer die teureren Anwälte haben, doch wenn Bundesstaaten und FTC ihre Klagen wie erwartet bündeln, droht Facebook ein unangenehmer Gegner.
Was in einer Dezemberwoche seinen Anfang nahm, wird Jahre brauchen, bis es Wirkung entfacht. Google und Facebook werden sich in zähen Gerichtsprozessen wehren. Die beiden Digitalgesetze der EU-Kommission haben noch einen langen Weg durch die Institutionen vor sich, und Lobbyvertreter werden versuchen, Einfluss zu nehmen.
Jahrelang haben Regierungen dabei zugesehen, wie demokratisch legitimierte Institutionen ihren Einfluss ans Silicon Valley verloren. Die Politik war schlicht zu langsam und schwerfällig, um mit den Folgen der Digitalisierung Schritt zu halten. Ob Parlamente und Staatsanwälte den Kampf mit den Tech-Konzernen gewinnen können, ist unklar. Aber 2020 haben sie zumindest die Arena betreten.