Wenn die Realität klingt wie ein Roman von T. C. Boyle, dann hat der Mensch ein gewaltiges Problem. In seinem aktuellen Buch "Blue Skies" treten alle Horrorszenarien des Klimawandels gleichzeitig ein, und es passieren die schlimmsten Dinge, die man sich vorstellen kann - sowie noch ein paar, die man sich lieber gar nicht vorstellen will. Das, was gerade im Bundesstaat Florida los ist, würde zu einem düsteren Kapitel taugen; es kommen vor: Frost, Hurrikane, die Gelbe Drachenkrankheit und der Hinweis auf die Great Depression - der in den USA immer dann verwendet wird, wenn sie sagen wollen, dass es schlimmer kaum noch gehe. Der T. C. Boyle der Vergleiche also.
Es ist so: Die Orangenernte in Florida fällt in diesem Jahr noch viel schlimmer aus als erwartet. Die Behörde für Zitrusfrüchte hatte bereits mit einem Rückgang um 51 Prozent gerechnet; nun heißt es, dass es in diesem Jahr wohl 60 Prozent weniger Orangen geben werde. Bis Mai hat der Bundesstaat nur 16 statt der prognostizierten 20 Millionen Kisten Orangen produziert. Eine Box enthält 40,8 Kilo Früchte, also in etwa 170 Orangen. Gewiss, 2,72 Milliarden Orangen sind immer noch sehr viel; aber sehr wenig im Vergleich zu den Vorjahren: Um die Jahrtausendwende herum waren es regelmäßig mehr als 250 Millionen Kisten pro Jahr, der Bundesstaat vermarktete den Saft, auch mit Hinweis auf die Umsätze als "flüssiges Gold". Der andere große Orangen-Bundesstaat Kalifornien (von Boyle im Roman ebenfalls von Plagen heimgesucht) stagniert bei 5,5 Milliarden Orangen und kann die Orangen-Not nicht lindern.
Vor fast 100 Jahren hat ein Orangen-Notstand "eine Welle der Hysterie" ausgelöst
Die Krise begann bereits Anfang 2022 mit Frost in Florida; sie ging weiter damit, dass ein Großteil der Zitrusfrüchte von der Gelben Drachenkrankheit befallen war - was auch in den kommenden Jahren ein gewaltiges Problem sein dürfte. Dann folgten die Hurrikane Ian im September und Nicole im November, und es endete mit einer weiteren Kältewelle im Dezember. All das führte zu einer Ernte in dieser Saison, die so miserabel sein soll wie seit 1928 nicht mehr: Damals waren die Bäume von der Mittelmeerfruchtfliege befallen, im Magazin Science hieß es damals, der Notstand habe "eine Welle der Hysterie" ausgelöst - bei Bauern wie bei Konsumenten. Warum? Nun, Orangensaft ist am amerikanischen Frühstücksbuffet das, was Leberwurst und Vollkornbrot in Deutschland sind: Ohne ist es nicht komplett. Jetzt sind die Preise pro Gallone (3,78 Liter) auf mehr als zehn Dollar gestiegen; es heißt nun, dass manche Hotels den Saft nur gegen Aufpreis anbieten werden. Es ist die große Orangen-Depression im US-Bundesstaat an der Atlantik-Küste.
Florida nennt sich seit mehr als 50 Jahren "The Sunshine State", auf Auto-Kennzeichen sind blühende Orangen zu sehen; der Verkauf von Zitrusfrüchten trägt knapp sieben Milliarden Dollar zur Volkswirtschaft des Bundesstaates bei. "Wir müssen was für unsere Bauern tun", sagt Marisa Zansler, Direktorin der Zitrusfrucht-Behörde in Florida. Nur was tun in einem Bundesstaat, der nun genauso für Wirbelstürme bekannt ist wie für Sonnenschein und in dem es immer weniger Orangen gibt? Es heißt, dass man sich auf dem Weg zur Null befände. Ein Vorschlag: Umstieg von Zitrusfrüchten auf Hanf. Das wäre freilich direkte Konkurrenz für die Hanfbauern in Kalifornien und eine Pointe, die sich nicht mal T. C. Boyle hätte ausdenken können.