Fleischproduktion in Deutschland:Was Sie über Massentierhaltung wissen sollten

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Hühner leiden besonders: In etwa 70 Prozent der Mastställe leben mehr als 50 000 Tiere. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Wie viele Nutztiere werden in Deutschland wie gezüchtet? Welche Folgen hat die Massentierhaltung für Mensch und Umwelt? Welche Medikamente kommen zum Einsatz? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Maja Beckers und Charlotte Dietz

Massentierhaltung - was ist das überhaupt?

"Massentierhaltung gibt es in Deutschland nicht". Dieser Satz von Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied erregte im Januar öffentliche Aufmerksamkeit. Er möchte stattdessen den Begriff "Intensivtierhaltung" verbreiten. Tatsächlich ist es mit der Definition des Begriffs gar nicht so einfach - eine offiziell gültige gibt es nämlich nicht. Dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zufolge ist es "die technisierte Viehhaltung meist nur einer Tierart in Großbetrieben zur Gewinnung möglichst vieler tierischer Produkte".

Die Haltung vieler Tiere meist einer Art auf engem Raum taucht bei fast allen gängigen Definitionen auf. Genaue Bestandszahlen, ab denen man von Massentierhaltung sprechen kann, sind jedoch nicht festgelegt. Als Richtlinien gelten für Geflügel 40 000, für Mastschweine 2500, für Sauen 750 und für Rinder 600 Plätze. Die subjektive Wahrnehmung weicht davon jedoch stark ab ab: Einer Studie der Georg-August-Universität Göttingen zufolge empfinden die Befragten beispielsweise einen Bestand von 5000 Masthühnern als Masse, der tatsächliche Bestand liegt im Schnitt jedoch bei 35 000 Tieren.

Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau führt außerdem mechanische Einrichtungen und den erhöhten Einsatz von Technik an. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen definiert das Phänomen auch über die Futterzufuhr: Wenn weniger als zehn Prozent der Futtertrockenmasse aus dem eigenen Betrieb stammen, handelt es sich um Massentierhaltung.

Tierschutzorganisationen beziehen außerdem das Schicksal der Tiere in die Definition ein: "Wenn der Halter seine Tiere als reine 'Produktionsfaktoren' zur Erwirtschaftung eines Deckungsbeitrages sieht, statt als Lebewesen mit arteigenen Bedürfnissen und angeborenen Verhaltensweisen", schreibt etwa ProVieh über die Massentierhaltung.

Von welcher Masse reden wir?

In Deutschland leben dem Bundesamt für Statistik zufolge derzeit etwa 12,7 Millionen Rinder, davon 4,3 Millionen als Milchkühe, 28 Millionen Schweine und 67,5 Millionen Masthühner. Dazu kommen 36,6 Millionen Lege­hennen. Diese Zahl hat seit 2011 deutlich zugenommen, um 7,5 Prozent. Nimmt man Schafe, Puten und andere Nutztiere hinzu, leben insgesamt fast doppelt so viele Nutztiere wie Menschen in Deutschland.

Medien bezeichnen Deutschland immer wieder als "Schlachthaus Europas": Das Land steht bei der Schweineschlachtung mit mehr als 58 Millionen getöteten Tieren pro Jahr auf Platz 1 der europäischen Spitzenproduzenten, beim Rindfleisch auf Platz 2 hinter Frankreich, wie der Fleischatlas 2014 des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigt. Auf dem größten Geflügelschlachthof Europas im niedersächsischen Wietze schlachtet eine Maschine 450 Tiere pro Minute.

Knapp 8,1 Millionen Tonnen Fleisch wurden im Jahr 2013 in den gewerblichen Schlachtbetrieben Deutschlands produziert. Das geht weit über den Bedarf auf dem deutschen Markt hinaus: Deutschland exportiert derzeit 4,14 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr. Zwischen 2000 und 2010 ist der Fleischexport um fast 250 Prozent gestiegen.

Warum gibt es immer weniger und immer größere Betriebe?

Die Zahl der Betriebe ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gesunken, während ihre Größe zunahm. Das veranschaulicht beispielsweise die Sauenhaltung: Zwischen 2003 und 2013 sank die Zahl der Sauenhalter von 39 000 auf 15 000. Gleichzeitig stieg die Zahl der Sauen pro Halter erheblich: 2003 waren es noch 66, 2013 mit 141 mehr als doppelt so viele.

Bei den Legehennen sind selbst 100 000 pro Betrieb keine Seltenheit mehr. Das liegt zum einen an der fortschreitenden Technik, die für immer mehr Tiere immer weniger Personal erfordert. Aber auch der wirtschaftliche Druck spielt eine Rolle: Fleisch und tierische Produkte werden zu Billigpreisen verkauft.

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Was genau bedeutet das für die Tiere?

Je nach Tierart sind die Bedingungen und Folgen der Massentierhaltung unterschiedlich. Jedoch gibt es einige typische Merkmale für sämtliche Tierarten:

  • Viele Tiere auf wenig Raum: So leben beispielsweise in etwa 70 Prozent der Masthühnerbetriebe mehr als 50 000 Tiere. Pro Quadratmeter sind 33 Kilogramm Gesamtgewicht erlaubt - das sind ungefähr 20 Hühner.
  • Möglichst schnell ein möglichst hohes Gewicht: Mastschweine etwa setzen in sechs Monaten 100 Kilogramm Fleisch an. Dabei wenden die Betreiber unnatürliche Methoden an: In Putenställen beispielsweise brennt Tag und Nacht das Licht, weil die Tiere dann auch nachts die Futterstellen aufsuchen und schneller zulegen.
  • Unnatürlich hohe Leistungen: Hennen legen fast jeden Tag ein Ei, Kühe produzieren viel mehr Milch als früher. 2013 gab eine Kuh 8200 Liter pro Jahr, mehr als doppelt so viel wie noch 1950.
  • Stress und Frust: Bei der Massentierhaltung können Tiere ihre natürlichen Bedürfnisse nicht oder kaum ausleben - ihnen fehlen ausreichend Bewegung, Ruhemöglichkeiten, natürliche Futtersuche. Außerdem beeinflusst die Haltung auf engstem Raum das Sozialverhalten. Bei den Tieren führt das zu Stress und Frustrationen.
  • Körperliche Eingriffe: Damit die Tiere sich in der Folge nicht gegenseitig angreifen, kommt es zu körperlichen Eingriffen: Man kupiert bei Ferkeln die Ringelschwänze und kürzt ihnen die Zähne, schneidet Legehennen und Puten die Schnabelspitzen ab oder entfernt Rindern die Hörner.
  • Häufige Erkrankungen: Besonders verbreitet sind Herz-Kreislauf-Störungen, Verformungen der Knochen durch schnelle Gewichtszunahme, Geschwüre oder Verhaltensstörungen.

Welche Medikamente kommen zum Einsatz?

Die Haltung in Masse hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere - auf diese reagiert man mit einer Reihe von Arzneimitteln: Aspirin etwa gegen die Schmerzen, wenn Hühnern unter ihrem Mastgewicht die Beine brechen, oder Cortison gegen Stresszustände bei Schweinen. Am problematischsten aber ist der massenhafte Einsatz von Antibiotika. Ein Masthuhn zum Beispiel lebt durchschnittlich 32 Tage und wird in dieser Zeit rein statistisch 2,3 Mal mit Antibiotika behandelt.

So kam im Jahr 2012 eine Menge von 1619 Tonnen Antibiotika zusammen, die dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zufolge an tierärztliche Hausapotheken abgegeben wurden. Das Amt geht davon aus, dass der größte Anteil davon im Nutztierbereich eingesetzt wird. Zum Vergleich: Für den humanmedizinischen Bereich wird von 250 bis 300 Tonnen pro Jahr ausgegangen.

Ein großes Feld, das gerade erst in den Fokus rückt, sind Hormone, die den Tieren verabreicht werden. In Deutschland sind in der Tierhaltung nur Sexualhormone erlaubt. Der BUND hat den Hormoneinsatz in der Schweinezucht untersucht. Demnach würden "systematisch und routinemäßig" Hormone eingesetzt, um den Zyklus der Sauen gleichzuschalten und mehr Ferkel pro Wurf zu bekommen, heißt es in der Studie. Durch die enorme Steigerung der Ferkelzahl pro Wurf kommen außerdem immer mehr Ferkel tot zur Welt oder sterben direkt nach der Geburt. Zudem landen die Hormone auch im Grundwasser.

Welche Folgen hat das für die Gesundheit der Menschen?

Der massenhafte Einsatz von Antibiotika in den Ställen fördert die Entstehung von antibiotikaresistenten Keimen, die auch für Menschen gefährlich sein können. Eine Studie des BUND entdeckte auf mehr als der Hälfte des Hähnchenfleisches im Supermarkt antibiotikaresistente Keime.

Das Robert-Koch-Institut rät mittlerweile sogar, bei der Zubereitung von Geflügelfleisch Einmalhandschuhe zu tragen. Abgekocht sind die Keime zwar nicht mehr gefährlich, aber wer das rohe Fleisch berührt, verteilt die Bakterien leicht über die ganze Küche. Auch der Verzicht auf Fleisch schützt nicht: Über die Gülle und die Abluft der Ställe gelangen die Bakterien auf die umliegenden Felder und somit auch auf Gemüse, wie die Geschichte des EHEC-Erregers zeigte. Mehr zum Risiko beim Verzehr von Geflügelfleisch finden Sie hier.

In Deutschland sterben etwa 20 000 Menschen jährlich an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen. Oft sind die Keime aus den Tierställen selbst harmlos, aber sie tragen dazu bei, Resistenzen aufzubauen. Der Mensch kann dann bei der nächsten Infektion nicht mehr behandelt werden. Deshalb warnt die Weltgesundheitsorganisation vor einer drohenden medizinischen Katastrophe.

Welche Folgen hat Massentierhaltung für die Umwelt?

  • Hoher Wasserverbrauch: Ein Mastschwein verbraucht fast eine Million Liter Trinkwasser. Nicht, weil es so durstig ist, der Großteil wird dazu gebraucht, sein Futter anzubauen. Sollte der Fleischkonsum weiter so rasant wachsen, dann würde sich dem Worldwatch Institut zufolge der Wasserbedarf für Tierfutter bis zur Jahrhundertmitte verdoppeln.
  • Anbauflächen für Futter: Die Tiere werden meist mit Soja gefüttert, das zum größten Teil aus Südamerika importiert wird. Vor allem wegen des gestiegenen Fleischkonsums hat sich die Sojaproduktion seit 1960 verzehnfacht, drei Viertel davon sind gentechnisch verändert. Die Anbauflächen sind auf das Vierfache angestiegen, nach Angaben der Tropenwaldstiftung Oroverde mussten dafür allein in Brasilien bereits 21 Millionen Hektar Regenwald weichen.
  • Verschmutzung des Grundwassers mit Nitrat: Grundwasserproben zeigen, dass die Nitrat-Grenzwerte für Trinkwasser von 50 Milligramm pro Liter besonders oft in Regionen mit hoher Viehdichte überschritten werden. 36 Prozent der Messstellen bundesweit wiesen deutlich bis stark erhöhte Nitratwerte auf. Nitrat gilt als krebserregend.
  • Wohin mit der Gülle? Große Betriebe haben meist Gülleüberschuss und nicht so viele Felder, auf denen sie diese ausbringen könnten. So entsteht häufig Überdüngung, große Mengen von Stickstoff lagern sich im Boden an und lassen Tier- und Pflanzenarten sterben, die an stickstoffärmere Umgebungen angepasst sind.
  • Klimawandel: Methan entsteht in den Mägen von Wiederkäuern und ist als Klimagas etwa 25 Mal klimaschädlicher als CO2. Die Landwirtschaft ist aktuell mit mehr als 54 Prozent die größte Emissionsquelle für Methan in Deutschland, das ist fast ausschließlich auf die Rinderhaltung zurückzuführen.

Wer engagiert sich in Deutschland gegen Massentierhaltung?

Es gibt so viele Organisationen und Bürgerinitiativen, dass man schnell den Überblick verliert. Der Deutsche Tierschutzbund ist Dachverband von mehr als 700 örtlichen Tierschutzorganisationen und 16 Landesverbänden. Einen Überblick über die Verbände mit Suchfunktion nach Organisationen in Ihrer Nähe finden Sie hier.

Viele Organisationen und Verbände gehören deutschlandweiten Netzwerken wie " Bauernhöfe statt Agrarfabriken" oder " Allianz für Tiere in der Landwirtschaft" an, die insbesondere Massentierhaltung bekämpfen. Auch bei internationalen Tier- und Umweltschutzorganisationen wie Peta oder Greenpeace steht Massentierhaltung auf der Themenliste.

Bevor Sie einen Verein unterstützen, sollten Sie prüfen, ob er transparent macht, wofür er wie viel Spendengeld einsetzt. Ende 2013 hat die Stiftung Warentest 44 Organisationen geprüft - nur sechs von ihnen bescheinigte sie eine wirtschaftliche, transparente und solide organisierte Arbeitsweise.

Was könnte man ändern?

Die Forderungen der Tierschutzorganisationen ähneln sich: Die Haltungsbedingungen in der Landwirtschaft sollen tiergerecht werden. Angemessene Gruppengrößen, ausreichend Bewegungsmöglichkeiten und Tageslicht in den Ställen sind dabei zentrale Punkte. Ein gesetzliches Verbot von Eingriffen wie dem Schwanzkupieren fordert beispielsweise ProVieh. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ist diesen Schritt kürzlich gegangen und setzte Ende Februar ein solches Verbot durch.

Bisher müssen Hersteller - außer bei Hühnereiern - nicht kennzeichnen, wie und unter welchen Bedingungen Fleisch oder Milch produziert wurden. Bei den Eiern zeigt dies jedoch Wirkung: Seit die Hersteller kennzeichnen müssen, wie die Legehennen gehalten wurden, gingen die Käufe von Eiern aus Käfighaltung stark zurück. Allein seit 2010 haben sie sich mehr als halbiert. Seit 2013 gibt es für Hühner- und Schweinefleisch eine freiwillige Kennzeichnung nach Richtlinien des Deutschen Tierschutzbunds.

Grundsätzlich kann auch ein bewussterer Konsum zur Verbesserung beitragen. Für ein halbes Kilogramm Hackfleisch muss man in Discountern kaum mehr als drei Euro hinblättern. Wer Fleisch zu solchen Preisen kaufen wolle, müsse sich darüber im Klaren sein, dass dieses nur in Massentierhaltung erzeugt werden konnte, schrieb ein Landwirt aus Baden-Württemberg an Süddeutsche.de.

Mehr zum Thema Fleischkonsum und Einkauf lesen Sie im Laufe dieser Woche und in diesem SZ-Ratgeber.

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