Die größte Plattform der Welt erfindet sich neu, und kaum jemanden juckt's - angeblich nicht mal Mark Zuckerberg. So könnte man zusammenfassen, was gerade bei Facebook los ist. Vier Sätze hatte Zuckerberg am Donnerstag für den radikalen Umbau übrig, den das Netzwerk vollziehen möchte. Sonst schreibt er gern lange Essays über seine Visionen, diesmal beließ er es bei einem knappen Posting.
Dabei werden sich die knapp drei Milliarden Menschen, die Facebook mindestens einmal pro Monat öffnen, bald in einer ungewohnten App zurechtfinden müssen. Auf Android- und iOS-Geräten werden Inhalte künftig an zwei unterschiedlichen Orten sortiert. Zum einen gibt es den sogenannten Feeds-Tab. Dort sehen Nutzerinnen und Nutzer die Beiträge ihrer Facebook-Freunde sowie der Seiten und Gruppen, denen sie folgen.
Alle Inhalte laufen chronologisch ein. Facebook verzichtet auf Algorithmen, die Beiträge auf Grundlage der vermuteten Interessen auswählen und anordnen. Um trotzdem den Überblick zu behalten, kann man eine Liste mit Menschen oder Seiten anlegen, die einem wichtig sind. Deren Postings landen dann in einem separaten Favoriten-Tab. Die chronologische Timeline bietet Facebook schon immer an, versteckt sie aber so gut, dass sie fast niemand nutzt. Sobald die Ankündigungen in den kommenden Wochen weltweit umgesetzt werden, wird es deutlich leichter, diese Ansicht zu finden.
Mehr Tiktok wagen
Zum anderen führt Facebook eine neue Standard-Oberfläche für die App ein. Der Tab heißt schlicht Home und bricht mit einem zentralen Erfolgsfaktor der Plattform. Bislang basieren die Empfehlungen stark auf dem sogenannten Social Graph, also dem Netzwerk aus Freundinnen und Bekannten, das man auf Facebook gebildet hat. Der Home-Tab wird dagegen auch Beiträge von Fremden enthalten. Wer sich etwa für Rennräder interessiert, könnte das Video eines Fans bei der Tour de France sehen, obwohl sonst überhaupt keine Verbindung zu dieser Person besteht. Wenn eine Influencerin ein Foto teilt, das in kurzer Zeit viele Menschen kommentieren, taucht es womöglich auch in der eigenen Timeline auf.
Facebook erklärt die Änderungen in einem Blogeintrag, in dem ein entscheidendes Wort fehlt: Tiktok. Die Video-App des chinesischen Entwicklers Bytedance dürfte maßgeblich zu Facebooks Entscheidung beigetragen haben. Bereits im Mai beschrieb Zuckerberg ausführlich, wie sich die Plattform neu aufstellen müsse. Wenig später tauchte ein internes Konzeptpapier auf. Die Konkurrenz wird zwar nicht namentlich erwähnt, die Botschaft ist aber eindeutig: Wir müssen mehr wie Tiktok werden.
Tiktok versteht sich nicht als soziales Netzwerk, sondern als Unterhaltungsplattform. Die App setzt einem ständig neue Inhalte vor, die gerade viral gehen. Direkte Verbindungen zwischen Nutzerinnen und Nutzern spielen für die Empfehlungen fast keine Rolle. Diese "Entdeckungsmaschine", wie Zuckerberg es nennt, will Facebook nun nachbauen. Und nicht nur das: Auch Instagram, das ebenso zum Mutterkonzern Meta gehört, erinnert immer stärker an Tiktok. Vor zwei Jahren kopierte Instagram Tiktoks Kurzvideo-Format, mittlerweile werden einem die sogenannten Reels förmlich aufgedrängt. Was früher eine Foto-Plattform war, die sich durch ihre Einfachheit auszeichnete, quillt nun über mit Videos. Außerdem gibt es ein prominent platziertes Reels-Tab, in dem man sich durch einen endlosen Strom aus Hochkant-Videos wischen kann.
Zwei Metamorphosen auf einmal
Das Gefühl, einen Tiktok-Klon zu nutzen, wird sich bald verstärken: Fast gleichzeitig mit dem Facebook-Umbau verkündete Meta auch Neuigkeiten bei Instagram. Alle neu hochgeladenen Videos, die kürzer sind als 15 Minuten, werden automatisch als Reels geteilt. Zudem kann man Fotos und Videos anderer Nutzer für eigene Beiträge verwenden, darauf reagieren oder Remixe erstellen. Wer Tiktok nutzt, kennt den Großteil dieser Funktionen bereits.
Während Zuckerberg versucht, Facebook und Instagram relevant zu halten, arbeitet er parallel an einem viel tiefer greifenden Strategiewechsel. Langfristig möchte Meta kein Social-Media-Konzern sein, sondern das Metaverse gestalten. Zuckerberg ist überzeugt, dass sich in zehn bis 15 Jahren Milliarden Menschen in dieser virtuellen Welt vernetzen, gemeinsam arbeiten und ihre Freizeit verbringen werden.
Kurzfristig muss sich Meta der größten Bedrohung seiner Unternehmensgeschichte erwehren. Tiktok wächst schneller als jeder Konkurrent zuvor, vor allem Jüngere wandern in Scharen ab oder melden sich erst gar nicht mehr bei Facebook und Instagram an. Langfristig muss Zuckerberg eine Metamorphose meistern, wie sie selten einem Konzern gelungen ist. Diesen Druck gibt er an seine Angestellten weiter: Es gebe "eine Gruppe von Leuten, die nicht hier sein sollte", sagte er kürzlich. Man werde ihnen die Hölle heißmachen. Es gab schon angenehmere Zeiten, um für Meta zu arbeiten.