Inflation:EZB erhöht Leitzins deutlich

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EZB-Zentrale in Frankfurt (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Im Kampf gegen die Rekordinflation setzen die Währungshüter die Zinsen gleich um 0,75 Prozentpunkte nach oben.

Von Markus Zydra

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins zum zweiten Mal hintereinander um 0,75 Prozentpunkte auf jetzt zwei Prozent angehoben. Das ist der höchste Stand seit 2009. "Wir werden die Zinsen in den nächsten Sitzungen weiter erhöhen. Bis zu welchem Wert, das kann ich nicht sagen", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Entscheidung der Währungshüter am Donnerstag. "Das war es noch nicht mit der Normalisierung der Geldpolitik", so Lagarde weiter. Mit dieser Entscheidung unterstreichen die Währungshüter ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die starken Preissteigerungen. Die Inflation im Euro-Raum lag im September mit 9,9 Prozent so hoch wie nie zuvor in der Geschichte der Währungsunion.

Das Ende der lockeren Geldpolitik ist umstritten. Viele Experten erwarten, dass die Euro-Zone nächstes Jahr in eine Rezession rutscht, die Wirtschaftsleistung also dauerhaft sinkt. Manche befürchten: Wenn die EZB durch ihre Zinspolitik die Haushalte und Firmen mit höheren Kreditkosten belastet, könnte sich der Abschwung noch verstärken. Zuletzt warnten Italiens neue Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der französische Präsident Emmanuel Macron angesichts der schwächelnden Konjunktur vor zu großen Zinsschritten. "Wir müssen alles tun, um unser Mandat zu erfüllen - und das bedeutet: für stabile Preise zu sorgen", sagte Lagarde zu dieser Kritik. "Wir sind gegenüber der Rezessionsgefahr nicht blind. Aber hohe Inflation ist besonders für einkommensschwache Haushalte eine Belastung. Daher ist unsere heutige Entscheidung angemessen."

Die sozialen Konsequenzen der steigenden Preise sind gravierend. Haushalte mit geringen Einkommen müssen angesichts der massiv steigenden Lebenshaltungskosten noch mehr sparen, obwohl das kaum geht. Inflation wirkt zudem wie eine Vermögensteuer auf kleine und große Spareinlagen, die jeden Tag real an Wert verlieren. Die nun höheren Zinsen auf Sparkonten reichen bei Weitem nicht aus, um die Inflation auszugleichen. Dahingegen haben viele reiche Menschen ihre Vermögen in lukrative Aktien und Immobilien investiert.

Geldpolitik wirkt erst mit Verzögerung

Aber auch im EZB-Rat gibt es Differenzen, wie stark die Leitzinsen noch steigen sollen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel warnt davor, die geldpolitische Straffung zu früh zu stoppen. "Eine zu frühe Beendigung könnte dazu führen, dass sich die Phase hoher Inflationsraten in die Länge zieht, mit der Konsequenz, dass später eine noch restriktivere Geldpolitik vonnöten sein wird, die dann wiederum in eine umso schwerere Rezession münden könnte", sagt Nagel. Droht da ein Streit im obersten Notenbankgremium? "Die wirklich kontroversen Debatten dürften dem Gremium erst im nächsten Jahr bevorstehen", sagt Friedrich Heinemann, Ökonom am Mannheimer ZEW. "Die hohe Inflation und noch mehr die gestiegenen Inflationserwartungen sprechen für Zinsanhebungen auf Werte in Richtung von vier Prozent im Jahresverlauf 2023."

Klassische Geldpolitik wirkt erst mit Verzögerung. Es dauert erfahrungsgemäß neun bis zwölf Monate, bevor höhere Zinsen den Konsum und die Investitionen in allen Wirtschaftssektoren preisdämpfend bremsen. "Wir wissen, dass die Zinsanhebung keinen unmittelbaren Effekt auf die Inflation hat", sagte Lagarde. Vielmehr wollen die Notenbanker verhindern, dass sich die Rekordinflation in den Köpfen der Menschen festsetzt. Je stärker die Verbraucher daran zweifeln, dass die Inflation mittelfristig wieder auf das normale Maß zurückgeht, desto mehr könnte sich der Preisanstieg verfestigen. Der Folge: Unternehmen verlangen auf Basis ihrer Inflationserwartungen höhere Preise für ihre Produkte - und Arbeitnehmer höhere Löhne. Es droht eine Inflationsspirale. Mit ihrer rigorosen Zinserhöhung möchte die EZB die Bürger überzeugen, dass man den Preisschub bald abdämpfen kann. Das ist eine schwere Aufgabe, denn die EZB selbst erwartet für 2023 eine Inflation von knapp sechs Prozent. Das ist drei Mal so viel, wie die Notenbank als Ziel abstrebt.

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Viele Bundesbürger sind in Untergangsstimmung, obwohl nur eine leichte Rezession vorhergesagt wird. Verzichten sie unnötig auf Konsum, schaffen sie erst die Krise, vor der sie sich fürchten.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Die Leitzinserhöhung könnte indes den Euro-Kurs stabilisieren. Europas Gemeinschaftswährung hat an den Devisenmärkten seit Jahresbeginn etwa zehn Prozent an Wert verloren. Der Euro notiert inzwischen pari zum Dollar. Die Euro-Schwäche verstärkt den Inflationsdruck in Europa zusätzlich: Weil die sowieso teuren Rohstoffe wie Öl in Dollar abgerechnet werden, erhöhen sich die Einfuhrkosten entsprechend.

Die Währungshüter haben darüber hinaus beschlossen, die De-facto-Subventionen für Europas Großbanken zu kappen. Als Reaktion auf die Covid-Krise erhielt der Sektor 2020 günstige Kredite in Höhe von 2,2 Billionen Euro. Damals übersahen die EZB-Experten, dass die Kreditwirtschaft von der jetzt eingeschlagenen Zinswende enorm profitieren könnte: Banken parken die Kreditmittel inzwischen bei der EZB zu höheren Zinsen, als sie selbst zahlen müssen. Das bedeutet Erträge von zig Milliarden Euro, ohne irgendein Risiko einzugehen. Die Notenbank möchte diesen Vorteil nun einkassieren. Die Bedingungen werden ab Mitte November entsprechend geändert.

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