Die Chancen von Bundesbank-Chef Jens Weidmann, die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi anzutreten, sind gesunken. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), so heißt es in Regierungskreisen, sei nicht bereit, Weidmann im anstehenden Verhandlungspoker um jeden Preis durchzusetzen. In der EU werden nämlich viele Chefposten frei, und es könnte auch einen deutschen EU-Kommissionspräsidenten geben. Nun haben andere Kandidaten eine Chance, den Italiener im November 2019 zu beerben. Die Herkunft ist ein Kriterium, das Geschlecht und, ach ja, auch die Qualifikation. Die SZ stellt einige der gehandelten Kandidaten vor:
Ardo Hansson, 60, Estland Der allseits respektierte Akademiker (Harvard-Abschluss) ist ein angenehm ruhiger und nachdenklicher Zeitgenosse. Hansson, in Chicago geboren, ist seit sechs Jahren Chef der estnischen Zentralbank. Vorher arbeitete er lange als Ökonom bei der Weltbank. Nach der Unabhängigkeit Estlands 1990 hat Hansson den Plan zur Koppelung der Estnischen Krone an die D-Mark entwickelt. Sein Vorteil: Er kommt aus einem Euro-Staat, der noch nie einen EZB-Präsidenten stellte.
Olli Rehn, 56, Finnland Der frühere Politiker übernahm im Juli den Gouverneursposten der finnischen Zentralbank. Ihm fehlt die Erfahrung als Geldpolitiker, doch er hatte als EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Euro-Krise. Rehn ist daher bekannt in Brüssel, vielleicht nützt ihm das. Guter Kompromisskandidat, weil er aus einem kleinen Land kommt.
François Villeroy de Galhau, 59, Frankreich Der Mann ist ein Charmeur auf Reisen. Ständig in Deutschland unterwegs, er spricht fließend Deutsch, was ihm die Frankfurter Finanzkreise hoch anrechnen. Der amtierende Präsident der Banque de France findet die lockere Geldpolitik von Draghi richtig, was ihn auch bei italienischen Politikern vermittelbar macht. Villeroy de Galhau hat früher bei der Großbank BNP Paribas gearbeitet. Er kennt also die Finanzmärkte, was nicht von Schaden ist. Für den in Straßburg geborenen Absolventen der Eliteschule ENA gilt jedoch, was für alle französischen Aspiranten gilt: Weil mit Jean-Claude Trichet bereits ein Franzose das EZB-Spitzenamt besetzen durfte, wären eigentlich Kandidaten aus anderen Euro-Staaten dran.
Benoît Cœuré, 49, Frankreich Der Ökonom sitzt seit 2012 im EZB-Direktorium und ist ein enger Vertrauter von Draghi. Coeuré kennt die Notenbank also sehr gut und bräuchte keine Einarbeitungszeit. Die Kontinuität der Institution wäre gewährleistet. Allerdings wäre seine Berufung juristisch umstritten. Eigentlich gilt die Regel, dass EZB-Direktoren nur für eine achtjährige Mandatsperiode eingesetzt werden. Der Vertrag von Coeuré endet 2020. Doch es gibt einen juristischen Kniff, den die europäischen Rechtsgelehrten für anwendbar halten. Coeuré würde kurz vor Draghis Vertragsende zurücktreten und seine Mandatszeit damit unterbrechen. Dadurch könnte er, so die Juristen, noch einmal acht Jahre im Direktorium wirken - dieses Mal als EZB-Präsident.
Christine Lagarde, 62, Frankreich Die Chefin des Internationalen Währungsfonds wird für alle möglichen EU-Spitzenposten gehandelt, etwa als Kommissionspräsidentin, aber auch als Spitzenfrau für die EZB. Lagarde, Juristin und ehemalige Finanzministerin in Frankreich, ist keine ausgewiesene Expertin für Geldpolitik. Dafür kennt sie sich aus in der globalen Finanzwelt und saß als IWF-Chefin stets mit am Tisch, wenn Rettungsmaßnahmen für Griechenland beschlossen wurden. Für sie spricht auch ihr Geschlecht. Die EZB möchte die Frauenquote in der obersten Führungsetage erhöhen, auch in der EU gibt es entsprechenden politischen Druck. Ein zweiter Franzose an der EZB-Spitze nach Trichet scheint unwahrscheinlich zu sein, bei einer Französin könnte das anders aussehen.
Klaas Knot, 51, Niederlande Für den Präsidenten der niederländischen Zentralbank spricht: Er ist ein erfahrener Geldpolitiker, der sein Berufsleben in der Notenbank, in der Finanzaufsicht und beim IWF verbrachte. Ihm fehlt aber politische Erfahrung. Knot stand der Rettungspolitik von Draghi manchmal kritisch gegenüber, so wie Weidmann. Für Knot ist das ein Wettbewerbsnachteil, denn Frankreich und Italien wollen einen EZB-Präsidenten, der nicht lange zögert, die Geldmaschine der Notenbank anzuwerfen. Für Knot gilt, was für die männlichen französischen Kandidaten gilt: Er kommt aus einem Land, das den EZB-Präsidenten schon einmal gestellt hat - Wim Duisenberg.