Euro-Gruppe:Dreikampf um die Spitze

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Nadia Calviño (links) könnte Mário Centeno (rechts) kommende Woche an der Spitze der mächtigen Euro-Gruppe ablösen. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Erstmals könnten die Euro-Finanzminister eine Frau zu ihrer Chefin wählen. Doch die Spanierin Nadia Calviño hat sich Feinde gemacht.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Kreis der Stimmberechtigten ist sehr exklusiv: Am Donnerstagnachmittag werden die 19 Finanzminister jener Staaten, die den Euro eingeführt haben, ihr Votum abgeben. Die Politiker bestimmen gewissermaßen den ersten unter Gleichen, jene Kollegin oder jenen Kollegen also, der die Euro-Gruppe leiten wird. Dieses Gremium kommt meist einmal im Monat zusammen, unmittelbar vor dem Treffen aller 27 EU-Finanzminister, wobei die Konferenzen wegen der Pandemie im Moment per Videoschaltung stattfinden. Favoritin für den Posten ist die Spanierin Nadia Calviño - es wäre das erste Mal, dass eine Frau Präsidentin der mächtigen Gruppe wird.

Allerdings wird ein enges Rennen erwartet. Es gibt drei Kandidaten und bis zu zwei Wahlgänge. Sieger ist, wer zuerst zehn der 19 Stimmen auf sich vereint. "Die Mehrheitsmeinung in Brüssel ist, dass Calviño es schafft, es aber knapp wird", sagt ein EU-Diplomat. Kanzlerin Angela Merkel würde ein Erfolg freuen: Es sei kein Geheimnis, dass die Spanierin "auch Unterstützung in der deutschen Regierung hat", sagte Merkel in einem SZ-Interview. Frankreich ist ebenfalls auf Seiten der 51-Jährigen.

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Viele fürchten jedoch nach wie vor um ihren Job, inbesondere bei den sechs Millionen Kurzarbeitern. Zusätzliche Ausgaben tätigen oder diese vorziehen will - trotz Mehrwertsteuersenkung - kaum jemand.

Von Alexander Hagelüken

Das Amt existiert seit 2005 - für den ersten Inhaber Jean-Claude Juncker war es das Sprungbrett, um Präsident der EU-Kommission zu werden. Der Chef der Euro-Gruppe kann jedoch seinen 18 Ministerkollegen keine Weisungen erteilen. Seine Macht beschränkt sich darauf, über die Tagesordnung zu bestimmen und zwischen zerstrittenen Lagern Konsens zu suchen. Ist er ein geschickter Verhandler, kann er einiges bewegen - ansonsten werden ihn störrische Amtskollegen ausbremsen.

Und zu diskutieren gibt es gerade einiges: So tauschen sich die Minister über Aspekte des Corona-Hilfspakets aus. Außerdem wird der neue Präsident versuchen müssen, endlich Fortschritte bei der Banken- und Kapitalmarktunion zu erzielen, also den sehr zähen Vorhaben, in der Euro-Zone gemeinsame Märkte für Banken und Börsen zu schaffen. Hierzu gehört etwa die in Deutschland heftig umstrittene Idee einer gemeinschaftlichen Einlagensicherung für Sparguthaben in Europa.

Der Präsident wird für zweieinhalb Jahre gewählt. Die Amtszeit des bisherigen Euro-Gruppen-Chefs Mário Centeno endet am Sonntag, für eine zweite steht er nicht zur Verfügung, da er kürzlich als Finanzminister Portugals zurückgetreten ist. Der Volkswirt wird nun Gouverneur der Notenbank seines Landes.

In Brüssel war oft Kritik zu hören, dem 53-Jährigen mangele es im Kreise der Minister an Verhandlungsgeschick. Doch Centeno musste sich auch mit undankbareren Themen herumschlagen als seine beiden Vorgänger - neben Juncker der Niederländer Jeroen Dijsselbloem. Zu deren Zeiten erschütterte die Staatsschuldenkrise Europa; die Euro-Gruppe traf enorm wichtige Entscheidungen, teilweise in dramatischen Sitzungen. Der Zerfall der Euro-Zone wurde abgewendet, die Staaten gaben sich neue Regeln für solides Haushalten.

Eine gewählte Calviño würde die Machtbalance nicht verändern

Heute dagegen besteht die Aufgabe vor allem darin, die Euro-Zone weiter zu stärken, etwa durch einen einheitlichen Bankenmarkt. Da hier nationale Widerstände groß sind und der Handlungsdruck eher klein, geht es nur langsam voran. Genau wie Centeno gehört die Favoritin Calviño einer sozialdemokratischen Regierung in Südeuropa an - die Machtbalance bliebe also unverändert. Anders wäre es bei einem Sieg ihrer zwei Rivalen: Der irische Finanzminister Paschal Donohoe ist Christdemokrat, Luxemburgs Kassenwart Pierre Gramegna Liberaler. Gramegna ist einer der am längsten gedienten Minister im Gremium und bewarb sich bereits 2017 erfolglos für den Präsidentenposten. Die Kandidatur des 62-Jährigen wird von der belgischen und niederländischen Regierung unterstützt, er gilt aber als Außenseiter, dessen Stimmen sich in einem womöglich nötigen zweiten Wahlgang verteilen würden.

Donohoe kann im Prinzip auf die Unterstützung christdemokratischer Regierungen zählen. Das Beispiel Deutschland zeigt allerdings die Schwierigkeit solcher Kalkulationen, denn die schwarz-rote Bundesregierung wirbt ja für Calviño. Und Griechenland wird christdemokratisch regiert, könnte jedoch für Calviño stimmen, weil parteipolitische Erwägungen vielleicht weniger wichtig sind als das Zusammengehörigkeitsgefühl unter hoch verschuldeten südeuropäischen Staaten. Gegen Donohoe wird auch ins Feld geführt, dass seine Regierung stets Vorstöße blockiert, der EU mehr Macht in der Steuerpolitik zu geben. So warnte der 45-Jährige jüngst, die EU solle besser nicht im Alleingang eine Steuer für Digitalkonzerne einführen.

Für Calviño spricht unter anderem, dass sie als frühere Leiterin der Generaldirektion Haushalt der EU-Kommission den Brüsseler Politikbetrieb bestens kennt. Außerdem leitet mit dem Finnen Tuomas Saarenheimo ein Nordeuropäer die Euro-Arbeitsgruppe - das Gremium, das die Sitzungen der Minister vorbereitet. Das legt nahe, den Vorsitz der Euro-Gruppe selbst wieder an jemanden aus dem Süden zu vergeben. Ein Argument gegen eine Spanierin an der Spitze wäre allerdings, dass das Land mit Josep Borrell bereits den obersten Außenpolitiker der Kommission stellt.

Die Ökonomin und Juristin zog zudem vor zwei Jahren den Zorn der Hanse-Gruppe auf sich, einem losen Bündnis von EU-Staaten wie den Niederlanden, baltischer und nordeuropäischer Staaten. Das seien bloß "kleine Länder mit kleinem Gewicht", sagte die Spanierin damals. Jetzt könnte Calviño auf die ein oder andere Stimme dieser kleinen Länder angewiesen sein.

© SZ vom 07.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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