Energiekrise:Warum "Frieren für den Frieden" nicht die eine Lösung ist

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Längst nicht nur für den Herd: Gas ist Deutschlands wichtigster Energieträger zum Heizen, auch in Industrie und Kraftwerken wird er verbrannt. (Foto: Marijan Murat/picture alliance/dpa)

Eon warnt vor Engpässen im nächsten Winter, sollte Deutschland kein Gas mehr aus Russland kaufen. Notfalls müssten erst Fabriken und dann erst Privatleute verzichten. Und Heizen würde wohl noch teurer.

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Die Idee, die viele Menschen hierzulande während des Kriegs in der Ukraine umtreibt, heißt "Freeze for Peace", Frieren für den Frieden: Wenn Deutschland so abhängig von Gas aus Russland ist, dann heizt man eben weniger als sonst. Ein Grad weniger Raumtemperatur spart etwa sechs Prozent der Heizenergie, rechnen Fachleute vor. Soll Putin doch schauen, wem er sein Gas verkauft, so der Gedanke.

Doch Leonhard Birnbaum, 55, schüttelt den Kopf. "Das ist ein Beitrag, das ist aber nicht die Lösung", sagt der Chef des größten deutschen Energieversorgers Eon. Selbstverständlich können Privatleute Geld sparen und das Klima schützen, wenn sie weniger heizen. Nur zu, möchte man sagen. Dennoch vermittele "Freeze Peace" den falschen Eindruck, man könnte mit einem Pullover die Energiekrise lösen, konstatiert Birnbaum. Mit dieser Mahnung ist der Herr über 14 Millionen Strom- und Gaskunden in Deutschland nicht allein, das zeigt ein Blick in die Politik.

Noch sind Erdgas und Erdöl die wichtigsten Energieträger in Deutschland. Gas befeuert Heizungen und Kraftwerke - und dient auch als Roh- und Brennstoff in der Industrie. Zuletzt importierte Deutschland mehr als die Hälfte seines Gases aus Russland. Mit dem Krieg werden nun Forderungen nach einem Embargo lauter. Auch Russland droht zuweilen, künftig kein Gas mehr durch eine Pipeline wie Nord Stream 1 nach Europa zu leiten.

Eon-Chef Leonhard Birnbaum bei der Bilanzpressekonferenz. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Doch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verweist auf drohende Engpässe im nächsten Winter, wenn Deutschland kurzfristig keine Energie mehr aus Russland importieren würde. Die Folgen eines möglichen Boykotts prägten auch die Jahresbilanz von Eon.

Notfallpläne für eine Zeit ohne russische Energie-Importe

"Langfristig müssen und werden wir die Energieabhängigkeit von Russland grundlegend beenden", sagt Vorstandschef Birnbaum: Europa importiert ja schon mehr Flüssiggas (LNG) als Alternative, ganz allmählich heizen auch mehr Häuser mit strombetriebenen Wärmepumpen statt mit Gas. Branchen wie die Chemieindustrie hoffen auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. "Aber das ist eben alles langfristig", konstatiert Birnbaum. "Das wird uns im nächsten Winter und in den nächsten zwei, vielleicht drei Jahren nicht helfen."

Der Eon-Chef lobt daher - wie andere Wirtschaftsvertreter - die Bundesregierung. Doch zugleich kramt die Branche Notfallpläne aus der Schublade: für den eventuellen Tag, an dem tatsächlich kein Gas mehr aus Russland in hiesigen Netzen und Speichern landen könnte.

Während der noch laufenden Heizsaison 2021/22 wäre die Versorgung dann gesichert, sagt Birnbaum. "Doch für den nächsten Winter kann ich das nicht mehr versprechen." Notfalls würde der Staat zunächst Fabriken zwingen, ihren Gasverbrauch zu senken. "Die Endkunden werden als letztes abgeschaltet", sagt Birnbaum - genau deshalb trage "Frieren für den Frieden" kurzfristig so wenig zur Lösung bei.

Viele Kunden der Stadtwerke mussten monatelang auf ihre Abrechnung warten. (Foto: Stephan Jansen/dpa)

Der Eon-Chef befürchtet zudem, dass die Großhandelspreise für Gas nach einem Import-Stopp weiter steigen dürften. Je länger diese Phase andauern würde, desto wahrscheinlicher wären dann auch weitere Tariferhöhungen für Privatleute. Wobei der Gaspreis ja nicht nur aus Beschaffungskosten der Versorger besteht, sondern etwa auch aus Steuern und Netzentgelten.

Die Essener gehen auf Distanz zum Gazprom

Stadtwerke und Versorger wie Eon kaufen Energie in aller Regel in langfristigen Lieferverträgen ein - und schnüren daraus Tarife für Privatleute. Dabei sind Strom und Gas an den Energiebörsen bereits in den vergangenen Monaten teurer geworden. Dies trifft vor allem Versorger, die Mengen für neue Kunden ordern müssen. In der Folge bieten manche Versorger zeitweise keine neuen Verträge mit fixen Laufzeiten mehr an. Wenn doch, müssen Neukunden deutlich mehr bezahlen als noch vor einem Jahr.

Marktführer Eon unterhält nach eigenem Bekunden zwar keine langfristigen Gas-Lieferverträge mit Russland. Stattdessen kauft das Unternehmen Gas über Zwischenhändler wie etwa Gasunie aus den Niederlanden oder die frühere Eon-Tochter Uniper aus Düsseldorf ein. Zu den Verkäufern zählten bislang aber auch europäische Handelstöchter des russischen Gazprom-Konzerns. Damit sei nun Schluss, sagt Birnbaum: "Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs haben wir den Einkauf neuer Mengen von diesen Gesellschaften gestoppt."

Dass Eon in der Unternehmensgeschichte - mit Vorgängerfirmen wie Ruhrgas - durchaus verwoben mit Russland ist, davon zeugt eine etwas ältere Beteiligung: Die Essener hatten vor mehr als 15 Jahren die erste Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee mitfinanziert, wie auch der Partner Wintershall Dea aus Kassel. An dieser Minderheitsbeteiligung im Wert von gut einer Milliarde Euro will Eon nun zunächst festhalten. "Es gibt keinen Markt dafür", sagt Birnbaum, man könnte die Beteiligung derzeit wohl allenfalls dem Mehrheitseigner Gazprom schenken. "Aber was wäre damit gewonnen und was wäre das für eine Strafe?", fragt Birnbaum rhetorisch.

Empfangsstation von Nord Stream 1 in Mecklenburg-Vorpommern: Durch die Ostsee-Pipeline strömt seit gut zehn Jahren Gas aus Russland nach Europa. (Foto: Stefan Sauer/dpa)

Bleibt nun angesichts des Krieges, all der Abhängigkeiten und Unsicherheiten noch irgendetwas Erbauliches aus der Welt der Energie? Im Fall von Eon ist es vielleicht diese Zahl: 125 000 neue Solaranlagen und Batteriespeicher hat der Konzern allein 2021 neu installiert, ein Viertel mehr als im Vorjahr. In Zeiten hoher Strom- und Gaspreise werde der energetische Umbau von Häusern nun noch wirtschaftlicher, wirbt Birnbaum: "Die Energiewende wird an Dynamik gewinnen."

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