An Pfingsten feiern Christen, dass der Heilige Geist auf die Jünger Jesu herabkam. Plötzlich konnten sie fremde Sprachen verstehen und sprechen. Nichts weniger als die Überwindung des Traumas des Turmbaus von Babel sei dies, so interpretieren Theologen dieses Ereignis aus dem Neuen Testament. Hatte der alttestamentarische Gott noch den Turmbau verhindert, indem er die Sprache der Menschen verwirrte, "sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht", sie also voneinander trennte, brachte das Pfingstwunder die Jünger Gott näher.
Nichts Geringeres als ein technisches Pfingsten verspreche nun die neue Netztechnik, schreibt die evangelische Theologin Johanna Haberer in ihrem Buch "Digitale Theologie, Gott und die Medienrevolution der Gegenwart". Die Autorin ist Professorin für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen. Der Tag werde kommen, an dem mittels Glasfaserkabeln und Übersetzungssoftware die Menschheit sich vernetzen, verständigen und ins Göttliche erweitern könne.
Reformatorisches Gedankengut
Ist das nun gefährlich oder nicht doch großartig, fragt Haberer. Und was macht es mit uns, wenn Gott zugeschriebene Eigenschaften wie Allwissenheit und Allgegenwart nun Suchmaschinen wie Google und mächtigen Netzwerken wie Facebook zugerechnet werden? Haberer antwortet, dass es reformatorisches Gedankengut brauche, um die Allmachtsfantasien der Unternehmen aufzudecken. Denn was wir jetzt im Netz erleben, habe durchaus mit dem zu tun, was vor 500 Jahren passiert sei.
Luther habe weder Demokratie noch Pluralismus im Kopf gehabt, als er seine 95 Thesen entwarf, schreibt Haberer, die eine Zeit lang das Wort zum Sonntag gesprochen und ihre Thesen kürzlich auch auf der Berliner Netzkonferenz Republica vorgestellt hat. Aber Luther habe die Denkmuster einer Welt gesprengt, in der Gesellschaft und Individuum einem Alleindeutungsanspruch unterlagen: dem der katholischen Kirche. Vom evangelischen "Priestertum aller Gläubigen" bis zur Übernahme von Verantwortung des Einzelnen in Staat und Gesellschaft sei es kein allzu weiter Weg.
Mit Luther begann auch der Aufschwung des Buchdrucks, die Reformation habe nur in Ländern mit einer Druckerei geklappt. Dank der medialen Verbreitung habe sich das neue Gedankengut, die Idee der gleichberechtigten Auseinandersetzung auf Augenhöhe, nicht mehr unterdrücken lassen. Was vor 500 Jahren Buchdruck und Flugblätter waren, seien heute das Internet und die sozialen Medien.
Nur Gott, nicht Facebook, dürfe den Menschen wirklich kennen
Heute sei es aber wieder so, dass Internetmonopolisten wie Google und Facebook wie die mittelalterliche katholische Kirche agieren. Aufgrund ihrer Alleinherrschaft über Daten und Kommunikationsprozesse wüssten sie alles über ihre Nutzer, nun zwar nicht wegen der Beichten der Gläubigen, sondern durch exzessives Datensammeln. Zudem seien die Konzerne ähnlich intransparent wie die Kirche. Dabei dürfe doch nur Gott - nach Psalm 139 - die intimsten Geheimnisse der Gläubigen kennen.
Was passiert aber, wenn Experten wie Informatiker als Priester von heute mit ihren Algorithmen den Lauf der Welt bestimmen? Das sei gefährlich, schreibt Haberer, denn dahinter stehe ein problematisches Menschenbild. Vorgehensweisen wie die Berechnung zukünftigen Verhaltens mithilfe Big Data und gezieltes Werbe-Targeting widersprächen der christlichen Idee des freien und selbstbestimmten Menschen, der jeden Tag neu anfangen könne. Hier müsse aus Kirchen und Religionen Widerstand kommen.
Als Anleitung für den Widerstand hat Johanna Haberer in ihrem Buch zehn Gebote für die digitale Welt entwickelt. Das erste lautet: "Du brauchst dich nicht vereinnahmen zu lassen." Das zehnte: "Du gestaltest die Gesellschaft, wenn du dich im Netz bewegst." Humane und zivilisierte Kommunikation sei Grundlage eines gelungenen Miteinanders. Nicht nur für Christen und nicht nur im Netz.