Abgasskandal:BGH entscheidet über bessere Chancen für Dieselfahrer

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VW-Konzernzentrale in Wolfsburg: Auf das Unternehmen könnten weitere Schadenersatzklagen zukommen, die mit dem sogenannten Thermofenster in Dieselmotoren zusammenhängen. (Foto: Jan Huebner/Voigt/imago images)

Sind Thermofenster in Dieselmotoren als illegale Abschalteinrichtung einzustufen? Sollte der Bundesgerichtshof so entscheiden, könnten viele Dieselkunden ihre Rechte leichter durchsetzen. Es geht um viel Geld.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

An diesem Montag ist Dieseltag in Karlsruhe, beileibe nicht der erste, aber womöglich der bisher wichtigste. Der Bundesgerichtshof (BGH) verkündet seine Urteile über drei ausgewählte Klagen gegen die Hersteller Audi, VW und Mercedes, über die er Anfang Mai ungewöhnlich ausführlich verhandelt hatte. Und wenn die Signale aus der Anhörung nicht trügen, könnte das Verfahren einen entscheidenden Durchbruch in der juristischen Aufarbeitung des Dieselskandals bringen: einen Anspruch auf Schadenersatz für zahllose Dieselfahrer, deren Autos mithilfe von sogenannten Thermofenstern, die bei bestimmten Außentemperaturen die Abgasreinigung ausschalten, den Schadstoffausstoß manipulieren.

Es wäre dies eine Kehrtwende in der bisher sehr restriktiven Rechtsprechung des BGH. Allerdings keine freiwillige, denn erst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom März zwang das oberste deutsche Zivilgericht auf eine verbraucherfreundlichere Linie.

Im Frühjahr 2020, in der Frühphase der Dieselurteile, hatte der BGH zwar VW-Käufern Schadenersatz zuerkannt, wenn es um den Skandalmotor EA189 ging. Der war mit einer speziellen Betrugssoftware ausgestattet, die in einen Sauberkeitsmodus schaltete, sobald der Wagen auf dem behördlichen Prüfstand auf die Wirksamkeit seiner Abgasreinigung getestet wurde. Auf der Straße hingegen schmutzte der Motor wieder. Eine derart gezielte Manipulation wertete der BGH als "vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung" und erkannte auf Schadenersatz. In einem Vergleich zahlte VW rund 620 Millionen Euro an mehr als 200 000 Dieselfahrer.

Doch für die Vielzahl der Dieselfälle erwies sich der juristische Ansatz über Vorsatz und Sittenwidrigkeit, niedergelegt in Paragraf 826 Bürgerliches Gesetzbuch, als untauglich. Denn ein Thermofenster, also eine Steuerung der Abgasrückführung je nach Temperatur, war in der Lesart des BGH nicht automatisch eine Schummelsoftware wie beim EA189. Sie sei nicht speziell auf den Prüfstand ausgerichtet gewesen. Außerdem wurde argumentiert, die Abregelung diene dem Schutz der Motoren. Eine eher uneindeutige Motivlage also, fand der BGH - von Vorsatz und Sittenwidrigkeit könne man da nicht sprechen. Also kein Fall von Paragraf 826.

Mit seinem Urteil vom Frühjahr hat der EuGH den Karlsruher Kollegen nun aber einen anderen Paragrafen ans Herz gelegt, 823 Absatz 2. Die Vorschrift kommt zum Einsatz, wenn ein Gesetz verletzt wurde, das zum Schutz der Autofahrer gedacht war - und nach dem EuGH-Urteil sind die EU-Regeln zur Typengenehmigung ein solches Schutzgesetz.

Thermofenster sind in Millionen Dieselfahrzeugen verbaut

Juristisch begibt man sich damit auf ein Terrain, auf dem sich Schadenersatz sehr viel einfacher erstreiten lässt. Denn erstens erachtet der EuGH - Motorschutz hin oder her - Thermofenster nur in sehr engen Grenzen als zulässig; er signalisiert damit, dass sie in den meisten Fällen eher als illegale Abschalteinrichtung einzustufen sind. Und zweitens: Nach dem neuen Paragrafen genügt es, dass der Autohersteller bei der Verwendung der Thermofenster fahrlässig gehandelt hat. Das ist eine leicht zu nehmende Hürde.

Wenn der BGH in diesem Sinne entscheidet, dann wird Schadenersatz für viele Käufer leichter durchzusetzen sein. Aber damit sind längst noch nicht alle Fragen geklärt. Denn nach einer solchen Grundsatzentscheidung dürfte vor den unteren Instanzen der Streit darüber beginnen, wann ein Thermofenster nun wirklich als illegale Abschalteinrichtung einzustufen ist und wann es womöglich doch vorwiegend dem Motorschutz dient. Thermofenster sind in Millionen Dieselfahrzeugen verbaut, in ganz verschiedenen Motortypen und mit unterschiedlicher Temperaturbreite. Also tausend technische Fragen, die zu klären sind, ein Fest für Motor-Sachverständige.

Nicht ganz klar ist zudem, wie hoch die jeweilige Entschädigung ausfallen könnte. In der Verhandlung hatte der BGH signalisiert, dass es wohl nicht auf einen "großen Schadensersatz" hinauslaufen würde, also eine Rückabwicklung des Kaufs gegen Anrechnung der gefahrenen Kilometer. Dem Dieselsenat schwebt vielmehr eine neue Form eines "mittleren" Schadenersatzes vor, eine Kompensation für das Vertrauen, das durch den Verkauf eines unsauberen Diesels enttäuscht worden ist. Es dürfte also um einen Ausgleich für den Wertverlust des Wagens gehen. Für die genauen Berechnungsmodalitäten wird man ins Urteil schauen müssen, aber einen eindrucksvollen juristischen Begriff hat die Vorsitzende Richterin schon mal gefunden: "Differenzhypothesen-Vertrauensschadenersatz".

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