Eigentlich sollte im Januar das Jahr der Bahn beginnen. Ein Aufbruch in eine ganz neue Zeit: Mehr Passagiere, mehr Pünktlichkeit, mehr Güterverkehr. Die Fahrgäste sollen 2021 in neue Züge und die gesamte Bahn in ein neues Taktsystem einsteigen. So hatten es sich der Bahnvorstand und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mal gedacht. Im Wahljahr sollte es eine Art Feuerwerk der guten Nachrichten geben.
Doch die Realität sieht bislang anders aus. Denn die Züge der Bahn fahren in der Pandemie gerade ziemlich leer durchs Land. ICEs und Intercity-Züge waren zuletzt nur zu 20 Prozent ausgelastet. Anstatt über den Ausbau der eigenen Kapazitäten wird in der Chefetage der Bahn derzeit vor allem über einen strengeren Sparkurs diskutiert. Zehn Milliarden Euro fehlen dem größten deutschen Staatskonzern bis 2024. Die Verschuldung könnte in diesem Jahr auf den Rekordwert von 35 Milliarden Euro steigen.
Touristik:Schnell, günstig, ungewiss
Der Reiseanbieter FTI ist bekannt für Billigangebote. Probleme hatte er schon vor der Pandemie, doch nun steht er vor der Frage, ob das eigene Konzept überhaupt noch eine Zukunft hat.
Zwar hofft Bahnchef Richard Lutz auf eine Rückkehr zur Normalität bis Jahresende. Bis dahin könnte eine weit verbreitete Impfung die Züge wieder voller werden lassen. Doch aktuelle Zahlen der Bundesregierung zeigen, dass das Virus auf einen angeschlagenen Patienten trifft. Nicht nur Corona, auch kostspielige Altlasten drohen, den Aufbruch der Bahn in eine neue Ära zu erschweren. Denn die verschleppte Erneuerung von Infrastruktur, etwa Tunneln oder Gleisen, wird in den nächsten Jahren teuer.
Ein Fünftel der Eisenbahnbrücken sollte so langsam ersetzt werden
Die Dimension des Problems macht eine einzige Zahl klar. Der "kritische Nachholbedarf" liege bei 29 Milliarden Euro, rechnet Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) in einem aktuellen Schreiben des Bundesverkehrsministeriums an mehrere Grünen-Bundestagsabgeordnete vor. Ferlemann zufolge geht es um "Gleise, Weichen, Eisenbahnbrücken, Tunnel, Durchlässe, Signalanlagen sowie Personenunterführungen". Und das nicht nur im kleinen Stil. Bei Brücken hätten 21 Prozent ihren "optimalen Ersatzzeitpunkt" erreicht, bei Gleisen 29 Prozent, bei Weichen und Kreuzungen knapp 20 Prozent.
Es müsste also viel Geld speziell in den Abbau der Altlasten fließen, damit die Bahn weiter zuverlässig durchs Land fahren kann. Doch für den Zeitraum von 2020 bis 2029 stehen dem Papier zufolge für den Abbau des Nachholbedarfs jährlich 451 Millionen Euro zur Verfügung, insgesamt also 4,5 Milliarden Euro. Damit ließe sich nur ein Teil abarbeiten. Ferlemann verweist zudem auf die übrigen Töpfe, die der Bund der Bahn zur Verfügung stellt. Doch reichen die für solche Summen aus?
Der Konzern bekomme vom Bund seit dem vergangenen Jahr tatsächlich deutlich mehr Mittel, sagt eine Bahn-Sprecherin, und könne deshalb so viel in die Infrastruktur investieren wie noch nie. "Die Gelder ermöglichen uns, den Rückstau im Netz mit aller Kraft anzugehen", so der Konzern. Wie stark sich die Altlasten allerdings tatsächlich reduzieren lassen, bleibt aber offen. Das hänge auch von den Baupreisen ab, erläutert die Bahn, die zudem darauf verweist, dass auch alternde Gleise, Brücken und Tunnel sicher seien. Sie würden regelmäßig überprüft.
Dennoch wird deutlich, welche Folgen es hat, dass die Bahn in der Verkehrspolitik viele Jahre nur an zweiter Stelle stand. Auch beim Aus- und Neubau des Netzes hinkte die Schiene eine ganze Dekade den Autobahnen und Bundesstraßen hinterher. Von 2009 bis 2020 hat der Bund demnach 21,5 Milliarden Euro in neue und erweiterte Schienenwege investiert. In neue und ausgebaute Bundesstraßen- und Autobahnabschnitte flossen im gleichen Zeitraum dagegen immerhin fast 26 Milliarden Euro. Zwar wurde der Abstand in den vergangenen Jahren kleiner. Die Priorität Straße blieb unter den seit 2009 amtierenden CSU-Verkehrsministern Peter Ramsauer, Alexander Dobrindt und Andreas Scheuer unverändert. Die Minister hätten die Infrastruktur der Bahn über mehr als zehn Jahre "fahrlässig auf Verschleiß gefahren", urteilen die finanz- und bahnpolitischen Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler und Matthias Gastel.
Selbst das klamme Italien steckt pro Einwohner mehr Geld in das Schienennetz als Deutschland
Den eigenen Zielen der Bundesregierung läuft das eigentlich entgegen. Denn deren Klimaziele fordern gerade im Verkehr ein radikales Umsteuern. Bis 2030 soll der Sektor seine Emissionen um 40 Prozent senken. Das heißt weniger Autoverkehr und mehr Bahn. Der klimafreundlichere Schienenverkehr soll die Passagierzahlen im Fernverkehr auf 260 Millionen Fahrgäste pro Jahr verdoppeln.
Die Daten aus dem Verkehrsministerium machen auch klar, dass der Verkehrssektor vom Umsteuern noch weit entfernt ist. Denn die Emissionen sind im Verkehr von 2009 bis 2019 um etwa zwölf Millionen auf 165,5 Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen. Dabei nahm der Anteil des Straßenverkehrs an den gesamten Verkehrsemissionen bis 2018 auf 96 Prozent sogar leicht zu. Die anhaltend hohen Emissionen im Verkehr tragen maßgeblich dazu bei, dass Deutschland seine Vorgaben aus dem Klimaabkommen von Paris verfehlt.
Dass es bei den Investitionen in die Bahn auch anders geht, macht ein internationaler Vergleich deutlich. Denn Deutschland rangiert im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld. Nach Berechnungen des Verbands Allianz pro Schiene gab der Bund 2019 pro Kopf der Bevölkerung 76 Euro für das Schienennetz aus. Frankreich mit 42 Euro und Spanien mit 29 Euro investierten zwar noch weniger. Doch der Abstand zu den Spitzenreitern ist gewaltig. Auf den vorderen Plätzen liegen die Schweiz mit 404 Euro, gefolgt von Österreich mit 226 Euro. Selbst das chronisch klamme Italien steckt mit 93 Euro pro Kopf noch deutlich mehr ins Schienennetz als Deutschland.