Supermarkt-Mitarbeiter:Warum wir ohne Kassierer jetzt ein Problem hätten

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Leere Regale, gestresste Kunden, besondere Zeiten für Verkäuferinnen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Kassierer und Verkäufer sind essenziell, damit alle Menschen in Deutschland weiterhin mit Lebensmitteln versorgt werden können. Das zeigt sich in den Tagen der Krise.

Von Michael Kläsgen

Doch, da hat man tatsächlich mal an sie gedacht, an die Kassiererinnen und Verkäuferinnen. Sonst sind sie in der Vergangenheit nicht so sehr dadurch aufgefallen, dass sie eine besonders große Lobby hätten. Schlecker ging pleite, Tausende Verkäuferinnen standen auf der Straße, und was erhielten sie? Meist nicht viel mehr als warme Mitleidsbekundungen. Bei Real könnte es bald nicht viel besser laufen, wenn die Supermarktkette erst einmal verkauft ist. Aber diesmal ist alles anders.

Diesmal wollen die Menschen weiterhin was zu essen haben (was außer Frage steht, weil eigentlich genug da ist). Leider spielt da vielen aber die Psychologie einen Streich, sie kaufen die Supermärkte leer, und plötzlich ist sie ganz wichtig, ja, sogar irgendwie überlebenswichtig, die Frau an der Kasse. Man braucht sie, und deswegen taucht sie auf in der, Achtung: "Allgemeinverfügung zum Vollzug des Infektionsschutzgesetzes", zumindest in der bayerischen Variante, und Bayern hat bei der Seuchenbekämpfung ja im Moment so etwas wie eine, nun ja, Leitfunktion.

Okay, wortwörtlich steht da nichts von "Kassiererinnen" oder "Verkäuferinnen" geschrieben. Aber gemeint sind sie schon, wenn von der "kritischen Infrastruktur" die Rede ist, die es unbedingt aufrechtzuerhalten gilt, und dazu zählen auch die "Infrastrukturen der Lebensmittelversorgung". Klingt technisch, aber freuen dürfen sich eigentlich alle darüber, die dafür sorgen, dass Nahrungsmittel weiterhin bei den Menschen zu Hause landen, und zwar vom Anfang bis zum Ende der Nahrungskette, und genau dort sitzt sie, die Kassiererin.

An der praktischen Umsetzung hakt es noch

Genau genommen genießt sie im Beamtendeutsch nicht genau den gleichen Status wie Ärzte, Feuerwehrleute oder Krankenpfleger, die als "systemrelevant" eingestuft werden, aber "systemkritisch" ist sie schon. Am Ende läuft das faktisch aufs Gleich heraus, und das versetzt die Verkäuferin in einen privilegierten und eigentlich selbstverständlichen Status. Wenn sie Kinder hat, kann sie diese in den Wochen bis voraussichtlich zum 20. April, solange kein Unterricht stattfindet, von den Schulen, Kindergärten und Kitas betreuen lassen.

Bei der praktischen Umsetzung hakt es freilich noch. Erst mal muss diese Notbetreuung überhaupt aufgebaut und dann festgelegt werden, wer daran teilnehmen darf. Und dann findet die Betreuung natürlich nur zu den üblichen Zeiten statt, wovon die Verkäuferin wie viele andere Berufsgruppen im Zweifel wenig hat, wenn sie abends arbeiten soll. Viele tun das längst regelmäßig, weil Supermärkte lange geöffnet haben. In Bayern, wo sie relativ früh schließen, hat die Staatsregierung angeordnet, die Öffnungszeiten im Zuge der Corona-Krise vorübergehend zu verlängern, zudem sollen sie sonntags öffnen.

Das erhöht für die Betroffenen den Stress, der ohnehin in diesen Tagen so groß ist wie nie zuvor: Die gesamte Branche arbeitet derzeit bis zum Anschlag. Den Verkäuferinnen wird eine übermenschliche Gelassenheit abverlangt, weil viele Kunden vergleichsweise gestresst und gereizt in den Laden marschieren. Gleichzeitig sind sie der Ansteckungsgefahr in einem besonderen Maße ausgesetzt. Etwa 50 Millionen Kundenkontakte haben sie zusammengerechnet in normalen Zeiten- pro Tag.

Sie suchen Personal

Zu ihren Schutz fordern deswegen viele, dass Kunden verpflichtend einen Mindestabstand einhalten sollten. Und dass die Kassiererinnen ihr Immunsystem stärken sollten, durch regelmäßige Pausen und Erholung. Im Moment läuft aber alles in die genau gegengesetzte Richtung. Weil Kolleginnen in Quarantäne geschickt werden, nimmt die Arbeitsbelastung eher weiter zu, und zwar bei allen in der Lieferkette.

Das ist der Grund, warum Rewe und Edeka offensiv nach Personal suchen. "Wer in unseren Märkten jetzt als Aushilfe tätig werden möchte, kann sich unkompliziert bewerben", sagt Rewe-Chef Lionel Souque. Bei Edeka und Netto sollen sich Interessenten direkt in der nächsten Filialen melden. Amazon in den USA will gleich 100 000 Leute einstellen, vor allem Fahrer und Logistik-Mitarbeiter, Verkäuferinnen hat der US-Händler ja nicht so viele.

In Deutschland richten sich die Angebote auch an Mitarbeiter anderer Händler. Denn das Bild ist widersprüchlich. Im Supermarkt herrscht Dauerstress, andere Händler müssen ihre Läden schließen. Da böte es sich an, dort auszuhelfen, wo die Not am größten ist, etwa an der Kasse.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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