Börse:Indexanbieter will Aktien mit Hilfe von Twitter auswählen

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Der Indexanbieter S&P Dow Jones will Twitter scannen und so die beliebtesten Aktien auswählen. (Foto: Kacper Rempel/Reuters)

Immer mehr Nutzer twittern über die Börse. Jetzt will S&P Dow Jones die Weisheit der Masse nutzen und einen neuen Index aus Aktien zusammenstellen, die im Netz besonders beliebt sind.

Von Victor Gojdka, Frankfurt

Vielleicht sagt nichts besser als das Scrabble-Säckchen von Dave Portnoy, wie sehr sich die Börsenwelt in den vergangenen Monaten gewandelt hat. Ein kleiner Beutel mit lauter Plastikbuchstaben, aus dem der bekannte US-Moderator drei Spielsteine ziehen will. "T", ruft der vollbärtige Mittvierziger und lässt das Säckchen rascheln. "R", sagt Portnoy, als er den nächsten Buchstaben aus dem Beutel kramt. Schnell hat er im Internet nachgeschaut: Damit lässt sich das Kürzel RTX legen, die Kurzvariante des börsennotierten Waffenherstellers Raytheon. "Das kaufen wir", ruft Portnoy - und viele Anleger im Netz machen mit. Wohlgemerkt: Portnoy hat vorher noch nie von dieser Aktie gehört.

Auch der Indexgigant S&P Dow Jones will nun besser verstehen, was in dieser neuen Online-Aktienwelt abgeht - in der oft nicht mehr Analystenempfehlungen und Bilanzreports entscheidend sind, sondern Stimmungen. Deswegen hat der wegweisende US-Leitindex S&P 500 einen Indexbruder bekommen: In dem alternativen S&P-Index sind all jene Aktien vertreten, über die sich Nutzer auf Twitter besonders oft und besonders positiv auslassen. Der Traditionsindex, so erscheint es, wird digital.

Das neue Börsenbarometer "S&P 500 Twitter Sentiment Index" zapft sozusagen die Weisheit der Masse an. In einem ersten Schritt analysiert S&P alle Tweets, in denen Aktiennamen auftauchen. Das ist inzwischen ganz einfach, denn wer zu Aktien twittert, verwendet oft sogenannte Cashtags. Schreibt jemand über Apple, tippt er $AAPL - erst ein Dollarzeichen, dann das Unternehmenskürzel.

Da sich der Indexanbieter einen direkten Anschluss an die Twitter-Daten gesichert hat, kann es die rund 500 Millionen täglichen Tweets in Echtzeit filtern. In einem zweiten Schritt bewertet eine künstliche Intelligenz, ob der Tweet eher positiv ausfällt ("toll", "umwerfend", "beste Produkte") oder negativ ("ärgerlich", "kaputt gegangen", "Verlust"). Die 200 Aktien mit den meisten positiven Erwähnungen schaffen es in den neuen S&P-Verschnitt, der einmal im Monat neu zusammengesetzt wird.

Besonders gewichtig im neuen Index sind übrigens die Aktien von Amazon, der Google-Mutter Alphabet und dem Chipmacher Nvidia. Tesla ist in den Top-Positionen nicht vertreten, vermutlich weil es auf Twitter neben Fans auch viele Tesla-Hasser gibt.

Der Schritt des Indexanbieters S&P zeigt, welche Macht einstmals verlachte Privatanleger inzwischen in der professionellen Finanzwelt haben. Auch Hedgefonds durchkämmen beliebte Aktienforen seit Monaten nach Kaufideen. Und selbst die etablierte Investmentbank Goldman Sachs musste schon mehrfach konstatieren, dass die Privatanlegerdepots mit ihrer Aktienauswahl Trends gesetzt haben. Jedenfalls bislang.

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