EU-Kartellverfahren:BMW und VW müssen 875 Millionen Euro Strafe zahlen

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Besprochen wurde in der Runde etwa, dass Käufer teurer Autos nicht mit Adblue behelligt werden sollen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Daimler hatte die geheimen Gesprächsrunden offengelegt - und wird als Kronzeuge nicht bestraft. Interne Unterlagen aus dem VW-Konzern dokumentieren, wie umfangreich die geheime Kooperation war.

Von Max Hägler und Klaus Ott

Es waren gewaltige Vorwürfe, die die deutsche Industrie erzittern ließen: Im Juli 2017 wurde bekannt, dass die EU-Kommission ein Kartell der deutschen Autobauer vermutet. Es ging unter anderem um Abgasreinigungsanlagen: Gemeinsam hätten die deutschen Autobauer Volkswagen inklusive der Töchter Audi und Porsche sowie Daimler und BMW Partikelfilter für Benzinmotoren verhindert, aber auch dem Dieselskandal den Weg bereitet. Mitarbeiter der EU durchkämmten in der Folge gewaltige Datenmengen aus den Konzernen auf der Suche nach Indizien und Beweisen.

Nun hat die EU-Kommission das Verfahren mit einem teuren Vergleich beendet - aber auch die Vorwürfe deutlich zurückgeschraubt. Die Automobilhersteller hätten eigentlich über Technologien verfügt, um Diesel-Abgase über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus zu reduzieren, erklärte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, doch hätten sie die Einführung in gemeinsamer Absprache vermieden. "Bei der heutigen Entscheidung geht es also darum, wie die legitime technische Zusammenarbeit schiefgelaufen ist", sagte Vestager. "Und wir tolerieren es nicht, wenn Unternehmen Absprachen treffen."

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BMW müsse deshalb ein Bußgeld in Höhe von 373 Millionen Euro zahlen, der VW-Konzern, der sich als zweiter Kronzeuge selbst angezeigt hatte, bekommt einen Rabatt und zahlt 502 Millionen Euro. Daimler muss nichts zahlen, da der Konzern erster Tippgeber war in dem Verfahren. Die Hersteller verweisen indes darauf, dass die besprochenen Verfahren niemals umgesetzt worden seien - was aber nicht vollständig hilft, weil allein die entsprechende Diskussion als illegale Verabredung gilt.

Aus Sicht von BMW hat die EU die Vorwürfe dennoch "weitgehend" fallengelassen. Tatsächlich stand zwischenzeitlich eine Strafzahlung in Höhe von 1,4 Milliarden Euro im Raum. Die Reduzierung der Bußgeldhöhe sieht man in München als eine späte, wenn auch immer noch teure Genugtuung. Die Münchner weigerten sich stets, eine Selbstanzeige abzugeben. Sie waren nach umfangreichen internen Ermittlungen bald überzeugt, frei von Schuld zu sein. Man akzeptiere den Bußgeldbescheid, weil man womöglich zu offen gesprochen habe, erklärt der Münchner Autobauer, der aber auch Wert auf eines legt: "Eine verminderte und gesetzeswidrige Abgasreinigung wurde von der BMW Group im Unterschied zu Wettbewerbern zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen."

In einer Adblue-Folie stand: "Gemeinsames Verständnis 'Kleiner Tank' abgestimmt"

Seinen Lauf nahm das alles in sogenannten "Strategiekreisen", die zwischen Mitte der 1990er Jahre bis zum Jahr 2014 veranstaltet wurden. Interne Unterlagen aus dem VW-Konzern dokumentieren, wie umfangreich diese geheime Kooperation war, die auch "Fünferkreis" genannt wurde und wie sehr das ins Detail ging. Als über den sogenannten SCR-Katalysator für Dieselautos beraten wurde, saßen in mehreren Arbeitsgruppen mehr als 100 Vertreter der fünf Unternehmen zusammen. Der SCR-Kat funktioniert mit einem Zusatzstoff namens Adblue, der im Abgasskandal eine große Rolle spielt. Das Mittel reinigt Abgase von gesundheits- und umweltschädlichen Stickoxid-Emissionen.

Was in den vertraulichen Runden besprochen wurde, war teilweise alles andere als harmlos. In einem der Strategiepapiere steht, ein Nachtanken der Adblue-Behälter sei "besonders für das Premium-Fahrzeugsegment nicht opportun", denn dort hätten die Leute einen "Komfortanspruch". Im Klartext: Wer teure Autos kaufte, sollte nicht mit Adblue behelligt werden, mit dieser klebrigen Mischung aus Wasser und synthetischem Harnstoff. Insbesondere im VW-Konzern waren große Kofferräume und raumnehmende Soundanlagen für gut zahlende Kunden wichtiger als große Tanks für Adblue und eine wirkungsvolle Abgasreinigung. Auch darüber wurde in den Strategiekreisen gesprochen. In einer Folie heißt es: "Gemeinsames Verständnis 'Kleiner Tank' abgestimmt".

Diskutiert wurden solche Themen nicht nur in schnöden Besprechungszimmern in den Konzernzentralen, sondern auch am Rande von luxuriösen Automessen. Zum Beispiel Anfang Oktober 2010 in Paris. Dort ging es um neue Abgasnormen und die Vorbereitung einer Präsidiumssitzung des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Aufschlussreich auch, was in einem Papier zu dem Pariser Treffen vermerkt ist: "Keine Protokollierung und Dokumentierung der Details!" Das sprach nicht für hehre Absichten. Die EU urteilt jetzt eben: So etwa ist illegal.

Zur Wahrheit gehören allerdings auch zwei weitere Aspekte: BMW hat auch nach Erkenntnis der Behörden bei den Abgasbetrügereien nicht mitgemacht. Ein wichtiges und nachvollziehbares Anliegen der Autohersteller war es zudem, die Mineralölindustrie zum Aufbau eines flächendeckenden Adblue-Tanknetzes zu bewegen. Die Autokonzerne sprachen mit Exxon, Aral/BP und Shell, die Reaktionen sollen teilweise ernüchternd gewesen sein. Ein Mineralölunternehmen soll geäußert haben, damit sei "kein Geld zu verdienen". Auch das steht in den Unterlagen aus dem VW-Konzern.

Nachdem der Dieselskandal aufflog, kippte das Miteinander ins Gegenteil

Die Geheimrunden waren kein Abgasbetrugskartell, wie die Folgen des Dieselskandals zeigen. Der VW-Konzern musste in der Abgasaffäre einschließlich seiner Töchter Audi und Porsche in Deutschland mehr als 2,3 Milliarden Euro Bußgeld für manipulierte Fahrzeuge zahlen. Weltweit sind es mehr als 30 Milliarden Euro an Strafen und Schadenersatz. Auch für Daimler wurde es teuer: 870 Millionen Euro Bußgeld in Deutschland und mehr als zwei Milliarden Dollar in den USA an Strafen und Schadenersatz. Gegen beide laufen auch noch etliche Schadenersatzklagen von Kunden in Deutschland. Ganz anders BMW: Wegen fehlerhafter Abgasreinigungssysteme bei mehreren Tausend Fahrzeugen musste der Münchner Autobauer in Deutschland 8,5 Millionen Euro Bußgeld zahlen. Die Staatsanwaltschaft München I war auf Schlamperei gestoßen, nicht aber auf Betrug. Und in den USA fanden die Behörden bei BMW gar nichts, was sie hätten bestrafen können. Bei den Münchnern gab es also keinen Abgasskandal; im Gegensatz vor allem zu Volkswagen, aber auch zu Daimler.

Auch deshalb kippte das Miteinander ins Gegenteil, nachdem die Vorwürfe bekannt geworden waren: BMW fühlte sich vor allem von Daimler hintergangen. Eigentlich pflegte man eine Einkaufspartnerschaft bei Standardteilen, um Geld zu sparen, auch gemeinsame Entwicklungen wurden immer wieder diskutiert. Das war allerdings schlagartig vorbei im Juli 2017. "Das Vertrauen ist total beschädigt", beschieden BMW-Manager. Die Rede war davon, dass man sich "mitten in einem Tsunami" befinde. Die Einkaufskooperation wurde sofort auf Eis gelegt und auch die damals bereits geplante Zusammenarbeit bei Carsharing-Diensten. Erst nach etlichen Monaten war wieder ein halbwegs normale Gesprächsebene gefunden.

Fraglich ist indes, wie die Unternehmen bei neuen Technologieprojekten verfahren sollen. Erstmals hat die EU-Kommission Bußgelder wegen technischer Absprachen verhängt - bislang ging es stets um Märkte und Preise. Doch eigentlich steigt der Bedarf an Abstimmung: Ob das autonome Fahren oder Zellfabriken für Batterieautos - die Technologie schreitet derart schnell voran, dass kein Unternehmen allein erfolgreich in die Zukunft gehen kann.

Aus Industriekreisen heißt es, es wäre nötig, einen klaren Rechtsrahmen zu schaffen, inwieweit Gespräche zwischen Wettbewerbern künftig möglich sind. "Statt eines Bußgeldes wäre für die Automobilindustrie der Erlass klarer Richtlinien zielführender gewesen, wie Kooperationen im Rahmen der Forschung und Entwicklung aus Sicht der Europäischen Kommission kartellrechtskonform ausgestaltet werden können", teilte der VW-Konzern mit, der sich noch Rechtsmittel vorbehält. Denn die bestehenden Rechtsunsicherheiten könnten sonst zu einem Hemmschuh für Innovationen in Europa werden. Tatsächlich wünscht sich die EU in vielen Feldern eigentlich eine intensive Zusammenarbeit der Industrie, um gegen die Konkurrenz aus China und den USA bestehen zu können.

Die jetzigen Geldbußen fallen insgesamt niedriger als aus in zwei anderen Fällen aus der Autobranche. 2016 hatte die EU gegen Lkw-Hersteller wegen illegaler Preisabsprachen eine Rekordstrafe in Höhe von fast drei Milliarden Euro verhängt. Am meisten musste Daimler zahlen, mehr als eine Milliarde Euro. Die VW-Tochter MAN kam als Kronzeuge ohne Bußgeld davon; so wie jetzt Daimler bei den Geheimtreffen der Autokonzerne. Die waren übrigens zusammen mit den Verbrauchern auch schon mal Opfer eines Kartells: Vier Hersteller von Autoglas mussten 2008 insgesamt 1,4 Milliarden Euro zahlen, weil sie jahrelang heimlich über Preise sowie die Aufteilung von Märkten und Abnehmern verhandelt hatten. Die Autoglas-Hersteller hätten die Automobilindustrie und die Fahrzeugkäufer hintergangen, befand die EU.

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