US-Wahl:Wie sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen verändern werden

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Der Bau der Nord Stream 2 ruht. Ein russisches Verlegeschiff wartet vor Rügen auf seinen Einsatz. (Foto: Jens Koehler/imago images)

Mit Joe Biden als US-Präsident dürfte für die deutsche Wirtschaft vieles besser werden - selbst wenn die großen Reformen ausbleiben. "America first" ist jedoch auch ihm nicht fremd.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller, Cerstin Gammelin und Henrike Roßbach, Berlin

Dieter Kempf wollte "in aller diplomatischen Vorsicht" sprechen, doch es gelang ihm nicht. "Mich hat nicht gewundert, dass derjenige, der den Ausspruch getätigt hat, ihn getätigt hat", sagte der Präsident des Industrieverbands BDI einige Stunden nachdem US-Präsident Donald Trump sich selbst zum Sieger erklärt hatte und die weitere Auszählung von Stimmen beenden wollte. Alle diplomatische Zurückhaltung ist dahin, so zerrüttet ist das Verhältnis zwischen der deutschen Industrie und der Trump-Regierung: Daraus wird keine Freundschaft mehr.

Muss es auch nicht, denn seit Samstag ist klar: Joe Biden ist der neue gewählte Präsident der USA. Für die deutsche Wirtschaft geht es nun um eine Art Wiederaufbau der Beziehungen. Immerhin sind die USA Deutschlands größter Exportpartner, vergangenes Jahr hat Amerika den deutschen Unternehmen Waren im Wert von 119 Milliarden Euro abgenommen, knapp ein Viertel davon Autos.

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Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, erwartet von einer Regierung Biden eine neue Kooperationsbereitschaft "und mehr Respekt vor heimischen und internationalen Institutionen". Für Biden sei Wirtschaftswachstum nicht so zentral wie für Trump. "Er gibt Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit, besserer öffentlicher Infrastruktur höhere Priorität." Kurzfristig könne das auf Kosten der Wachstumsdynamik gehen. Langfristig aber könne die Eindämmung der wirtschaftlichen Ungleichheit in den USA die Wachstumsdynamik sogar stärken.

Doch Illusionen gibt sich keiner hin in der deutschen Wirtschaft - trotz Biden. "Ein neues kommunikatives Miteinander", sagt einer der führenden Strategen, "das wäre schon einiges." Auch der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Sebastian Dullien, dämpft die Erwartungen: "Die knappen Mehrheitsverhältnisse im Senat und die konservative Dominanz am obersten Gericht werden weitreichende Reformen und die von Biden im Wahlkampf angekündigten gewaltigen Ausgaben in Höhe von fast zehn Billionen Dollar für die nächsten zehn Jahre wohl verhindern." Für die deutsche Wirtschaft sieht er nur moderate Nachfrageeffekte durch US-Investitionsprogramme.

Der Handelsstreit

Die USA haben unter Trump Strafzölle verhängt, die EU hielt dagegen - und mühte sich gleichzeitig, den Streit zu deeskalieren. Ob das mit Biden besser gelingt? Als Präsident eines zutiefst gespaltenen Landes dürfte er radikale Kurskorrekturen meiden. Zumal er deutlich gemacht hat, dass auch für ihn die Amerikaner im Vordergrund stehen und nicht das Verhältnis zum Rest der Welt. "America first" ist auch Biden nicht fremd. Er werde, verkündete er im Wahlkampf, erst dann neue Handelsabkommen abschließen, wenn die Amerikaner für den globalen Wettbewerb gerüstet seien.

Die Rest-Hoffnungen der deutschen Wirtschaft auf ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, ähnlich dem gescheiterten TTIP-Abkommen, dürften damit schwinden. Auch wenn die Chemieindustrie am Wochenende auf einen Schwenk der USA hin zu einer konstruktiven Strategie in der Handels- und Klimapolitik hoffte und die Elektroindustrie schnelle Gespräche über die Wiederbelebung der Welthandelsorganisation "sowie ein neues Handelsabkommen" forderte.

Klar ist: Vorbehalte gegen China gibt es auch in den Reihen der US-Demokraten. Ein transatlantisches Bündnis gegen die chinesische Macht aber können sich die Europäer nicht leisten - dafür ist China als Absatzmarkt zu wichtig. Und die Sanktionen gegen Iran und Russland, die mit ihrer extraterritorialen Wirkung jeden bedrohen, der in diesen Ländern und in den USA Geschäfte macht, gehen auf einen großen Konsens zwischen Demokraten und Republikanern zurück. Die deutsche Wirtschaft braucht sich gar nicht erst Hoffnungen auf eine Lockerung zu machen.

Nord Stream 2

Gleiches gilt für das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Trump hatte mit aller Macht gegen die Fertigstellung der Ostsee-Pipeline gekämpft; allerdings auch dies mit tatkräftiger Hilfe der Demokraten. Ausgerechnet die brachialen Ansagen aus dem Weißen Haus hatten dazu beigetragen, die Reihen unter den Europäern zu schließen - obwohl viele EU-Partner von den Gasröhren zwischen Russland und Deutschland ähnlich wenig halten wie Washington. Denkbar wäre allenfalls eine stille Duldung: Schließlich sind nur noch knapp 160 der insgesamt 2360 Pipeline-Kilometer zu bauen. Die russischen Verlegeschiffe könnten ausrücken und das Interregnum ausnutzen. Dass das unter einem Präsidenten Biden ohne Konsequenzen bliebe, ist allerdings unwahrscheinlich: Was Sanktionen gegen Russland angeht, waren die Demokraten in der jüngeren Vergangenheit noch kompromissloser als Trump. Biden selbst bezeichnete Russland im Wahlkampf als "Bedrohung".

Die Autoindustrie

Für kaum eine Branche war die US-Wahl bedeutsamer als für die Autoindustrie. Trump hatte der EU immer wieder mit Strafzöllen auf Autos gedroht, was die exportorientierten deutschen Hersteller hart getroffen hätte. Die Präsidentin des Lobby-Verbands VDA, Hildegard Müller, stellt sich weiter auf schwierige Gespräche ein. Europa werde sich damit auseinandersetzen müssen, sagt sie, dass Amerika seine Interessen formulieren werde - egal, wer dort regiere. Drei von vier Pkw, die in Deutschland vom Band laufen, gehen in den Export, ein Großteil davon in die USA.

Als erster Autohersteller machte VW nach der Wahl deutlich, dass mit Biden dennoch einige Hoffnungen verbunden sind. Zwar habe VW auch mit der Trump-Administration "vertrauensvolle Beziehungen" aufgebaut. Konzernchef Herbert Diess aber sagte auf einer Online-Konferenz der Nachrichtenagentur Bloomberg: "Ein Demokraten-Programm würde wahrscheinlich mehr mit unserer weltweiten Strategie übereinstimmen, nämlich den Klimawandel zu bekämpfen und elektrisch zu werden." VW konzentriert sich stark auf den Bau von Elektroautos, und Biden hatte angekündigt, den Ausstieg Trumps aus dem Pariser Klimaabkommen wieder rückgängig zu machen. Das wäre ein Lichtblick für die deutsche Wirtschaft, weil die Rückkehr der Amerikaner zu dem Abkommen die Investitionen in klimafreundliche Technologien vorantreiben dürfte - sehr zum Nutzen vieler deutscher Unternehmen, allen voran der Autobauer.

Internationale Besteuerung

Das Coronavirus hat die Welt ins digitale Zeitalter katapultiert, und auch viele deutsche Bürger nutzen dafür die Dienste amerikanischer Digitalkonzerne. Was allerdings immer noch fehlt, sind internationale Regeln für deren Besteuerung. Trump ließ nie einen Zweifel daran, dass er jedes Land, das es wagen sollte, digitale Dienste mit einer nationalen Steuer zu belegen, als Gegner betrachten und sich Gegenmaßnahmen vorbehalten würde. Die Bundesregierung nahm Trumps Drohungen stets sehr ernst und verzichtete auf eine Digitalsteuer. Stattdessen versuchte sie, auf Ebene der OECD, also der Industriestaaten, eine Mindeststeuer für Konzerne und eine Digitalsteuer zu verhandeln. Frankreich stellte sich an die Seite Berlins, setzte allerdings eine Frist: Sollte es bis Ende 2020 kein Ergebnis geben, werde man in Europa eine Digitalsteuer einführen.

Zuletzt waren die USA aus den Gesprächen ausgestiegen; bis zur US-Wahl sollte nichts entschieden werden. Man habe keine Kontakte in Bidens Team aufgenommen, heißt es im Bundesfinanzministerium. Zu "digitaler Besteuerung und Mindeststeuern" stehe das Ministerium "mit verschiedenen Gesprächspartnern in den USA in einem regelmäßigen Austausch", sagte eine Sprecherin von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Man rede insbesondere über "die Verteilung von Besteuerungsrechten zwischen den Staaten und die Einführung einer globalen effektiven Mindestbesteuerung".

Neben all dieser Großbaustellen plagen viele deutsche Unternehmen im Umgang mit den USA aber auch noch ganz andere, handfeste Alltagsprobleme. Als der Deutsche Industrie- und Handelskammertag die Betriebe kürzlich nach ihren größten Schwierigkeiten im US-Geschäft fragte, antworteten 90 Prozent: Reiseeinschränkungen durch die Corona-Pandemie.

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