Autoindustrie:Warten auf das wegweisende Diesel-Urteil

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Ein neuer Prüfzyklus sollte eigentlich realistischere Werte liefern, wie viel CO₂ ein Auto ausstößt. Doch das funktioniert offenbar immer weniger gut. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich erneut mit dreckigen Diesel-Motoren. Das Urteil könnte eine neue Klagewelle auslösen, wird aber erst im Juni fallen. Doch es gibt bereits eine Tendenz, wie der BGH entscheiden wird.

Von Christina Kunkel

Für viele Dieselfahrer schien der Kampf um Entschädigung bisher aussichtslos. Seit Jahren beschäftigen sich Gerichte damit, welche Motoren so manipuliert wurden, dass Autokäufer über deren wahren Schadstoffausstoß getäuscht wurden. Viele Tausend Gerichtsverfahren gab es bislang dazu. Doch nur im Fall bestimmter VW-Motoren entschied der Bundesgerichtshof (BGH) eindeutig im Sinne der Kläger. VW zahlte deshalb an mehr als 200 000 Dieselfahrer insgesamt rund 620 Millionen Euro im Rahmen eines Vergleichs.

Für viele andere Autofahrer gab es bislang keine Entschädigung. Vor Gericht gewannen in den ersten beiden Instanzen meist die Hersteller. Das könnte sich bald ändern. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) verfolgt eine wesentlich käuferfreundlichere Linie als der BGH bislang. Die Karlsruher Richter beschäftigen sich daher von Montag an erneut mit dem Diesel-Thema. Orientiert sich der Bundesgerichtshof an der Rechtsprechung aus Luxemburg - wovon viele Experten ausgehen - könnte es für viele Autohersteller teuer werden. Denn dann dürften Gerichte zukünftig viel häufiger im Sinne der Dieselfahrer entscheiden. Nach vier Stunden wurde die Sitzung am Montag unterbrochen und ein Urteil für den 26. Juni angekündigt - doch es gibt bereits eine erste Tendenz, wie neue Leitlinien für Diesel-Prozesse aussehen könnten.

Wer hat im Abgasskandal bisher Anspruch auf Schadenersatz?

Seit dem ersten und wichtigsten Urteil des BGH vom Mai 2020 gilt der Grundsatz: Ansprüche hat nur, wer vom Autobauer über den Schadstoffausstoß auf sittenwidrige Weise getäuscht wurde. Beim VW-Skandalmotor EA189 war das der Fall. Hier wurde eine Betrugssoftware so programmiert, dass die Autos in Behördentests in einen speziellen Modus wechselten - und dann weniger giftige Abgase freisetzten als tatsächlich im Straßenverkehr. Wer ein Auto mit diesem Motor gekauft hatte, konnte also Schadenersatz von VW verlangen. Mit mehr als 200 000 Betroffenen hatte sich der Autokonzern im Frühjahr 2020 auf einen Vergleich geeinigt. VW zahlte den Autobesitzern je nach Auto und Laufleistung eine bestimmte Summe, im Gegenzug verzichteten die Dieselfahrer darauf, weiter gegen den Autobauer gerichtlich vorzugehen. Für sehr viele Dieselfahrer war dies das Ende des Abgasskandals.

Wie sieht es bei anderen Herstellern aus?

Nicht nur gegen VW gingen viele Dieselfahrer gerichtlich vor. Auch gegen Mercedes läuft eine Musterfeststellungsklage, Auftakt war vergangenen Sommer, der nächste Verhandlungstermin ist erst für den 13. Juni 2023 angesetzt - unter anderem deshalb, weil das Oberlandesgericht Stuttgart noch die Einschätzung des EuGH abwarten wollte. Allerdings geht es auch dabei nur um einen bestimmten Motorentyp, nur rund 3000 Menschen haben sich der Klage angeschlossen - betroffen wären laut Verbraucherzentrale rund 50 000 Autos. Neben diesem Verfahren gibt es jedoch zahlreiche weitere Motoren verschiedenster Hersteller, bei denen die Abgasreinigung auch nicht immer gleich gut arbeitet. Wer ein solches Auto fährt, hatte es vor Gericht bislang schwer. Ein Beispiel ist die Drosselung je nach Außentemperatur. Die Abgasreinigung funktioniert dann etwa nicht mehr richtig, wenn es besonders kalt ist. Kritiker werfen den Herstellern vor, die dafür verantwortlichen Funktionen so ausgestaltet zu haben, dass die Autos die Grenzwerte vor allem unter den Bedingungen einhalten, die in der typischen Testsituation herrschen, im Alltag stoßen die Fahrzeuge jedoch viel mehr Schadstoffe aus als erlaubt. Es handele sich also auch dabei um unzulässige Abschalteinrichtungen. Die Autobauer argumentieren, diese sogenannten Thermofenster dienten nur dem Schutz des Motors und seien demnach erlaubt. Auch der BGH sah bisher keine Grundlage für Schadenersatz, solange kein Schummel-Modus aktiviert wird.

Warum verhandelt der BGH jetzt erneut?

Es gilt als wahrscheinlich, dass der Bundesgerichtshof seine bisherige Einschätzung in seinem neuen Urteil korrigieren wird. Grund ist, dass der EuGH kürzlich die Hürden für Entschädigungen in einem Mercedes-Fall aus Deutschland deutlich niedriger angesetzt hatte. Schadenersatzansprüche könnten demnach schon bei einfacher Fahrlässigkeit entstehen. Das heißt, es könnten noch weitere Abschalteinrichtungen unzulässig sein. Auch wenn die Abgastrickserei zwar nicht beabsichtigt, aber vorhersehbar war, wäre man bei Fahrlässigkeit. Zur Begründung heißt es in dem Urteil vom 21. März: Der Hersteller sichere jedem einzelnen Kunden beim Kauf zu, dass sein neues Auto allen EU-Vorgaben entspricht. Bei einem Auto mit unzulässiger Abschalteinrichtung werde diese Zusage aber nicht eingelöst. Entsteht dem Käufer durch so eine Abschalteinrichtung ein Schaden, hat er daher laut EuGH Anspruch auf "angemessenen Ersatz". Verhandelt werden vom BGH drei Musterklagen gegen VW, Audi und Mercedes. Ein Auto war von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen, die anderen beiden nicht.

Wie wird der BGH entscheiden?

Die Vorgaben aus Luxemburg müssen in Deutschland umgesetzt werden. Dabei hat der BGH aber einen gewissen Spielraum. Die Vorsitzende Richterin Eva Menges deutete am Montag an, es komme als "mittlere Lösung" ein so genannter kleiner Schadenersatz in Betracht. Käufer würden demnach ihre Diesel-Autos mit unzureichender Abgasreinigung behalten, bekämen aber deren Minderwert im Vergleich zum einwandfreien Auto zum Kaufzeitpunkt erstattet. Kläger hatten dagegen einen "großen Schadenersatz" eingefordert - sie wollten ihre Wagen gegen Erstattung des Kaufpreises abzüglich eines Nutzungsvorteils zurückgeben.

Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, rechnet vor, dass 8,4 Millionen Pkws und 1,5 Millionen leichte Nutzfahrzeuge betroffen sein könnten, sollte der Bundesgerichtshof die Ansichten des EuGH übernehmen, "und davon gehe ich fest aus." Die Hersteller müssten laut Resch dann entweder die betroffenen Wagen stilllegen oder so nachrüsten, dass sie auch ohne Abschalteinrichtungen die Abgasregeln einhalten. Das wird vermutlich nur mit einer Hardware-Nachrüstung funktionieren, ein Software-Update dürfte dafür nicht ausreichend sein.

Was sagen die Autohersteller?

Die Anwälte der Autohersteller argumentierten am Montag damit, dass es - wie im Fall von VW etwa - eine uneingeschränkte Typ-Genehmigung durch das Kraftfahrbundesamt gegeben habe und sich die Hersteller darauf verlassen hatten. Ob das aber Schadenersatzansprüche aushebelt? Der so genannte "Diesel-Senat" ließ daran Zweifel erkennen. Außerdem machten die Anwälte der Autobauer geltend, dass den Käufern nicht unbedingt ein "echter" Schaden entstanden sei: Das Auto habe ja funktioniert.

Wie geht es jetzt weiter?

Viele Fragen sind nun weiter offen: Welche Formen der Abgastechnik sind überhaupt unzulässig? Ist dem Käufer durch deren Einsatz ein Schaden entstanden? Und wenn ja: Was für ein Schadenersatz wäre hier angemessen? Schon im VW-Abgasskandal war es so, dass Betroffene zwar berechtigt waren, den Kauf rückabzuwickeln. Auf den Preis des Autos mussten sie sich aber dessen Nutzung anrechnen lassen. Wer viel gefahren ist, bekam wenig oder gar nichts mehr. Dafür ist das Auto weg, ein neues unter Umständen teuer. Zu klagen war also nicht für jeden attraktiv. Die meisten Gerichtsverfahren endeten deshalb mit einem Vergleich.

Die Einschätzungen aus Karlsruhe werden dringend erwartet, denn wegen der unklaren Rechtslage liegen bundesweit seit Monaten massenhaft Diesel-Verfahren auf Eis. Vermutlich um möglichst viele Konstellationen abdecken zu können, hatte die Vorsitzende Richterin Eva Menges und ihr Senat die drei sehr unterschiedlichen Fälle ausgewählt.

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