Verkehr:Massive Streiks bei der Bahn und an Flughäfen

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Bereits im März hat ein großer Streik den Bahnverkehr in Deutschland weitgehend lahmgelegt. (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Im Tarifstreit mit der Bahn erhöht die Gewerkschaft EVG den Druck. Am Freitag werden stundenlang Züge stillstehen. Und die EVG droht bereits mit weiteren Streiks. Auch an Flughäfen kommt es zu Ausfällen.

Von Alexander Hagelüken

Die Deutschen erleben neue massive Verkehrsstreiks. Die Bahngewerkschaft EVG kündigte an, an diesem Freitag den Zugverkehr im ganzen Land zum zweiten Mal weitgehend lahmzulegen, um höhere Löhne durchzusetzen. Die Streiks sollen um drei Uhr nachts beginnen und bis elf Uhr vormittags dauern. "Am Freitag wird erst mal kein einziger Zug in dieser Republik fahren", sagte EVG-Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay. Ab Mittag würden sich die Beschäftigten voll dafür einsetzen, dass Reisende ihre Ziele erreichen.

Die Deutsche Bahn erklärte, sie stelle den Fernverkehr bis 13 Uhr ein. Danach würden die Züge schrittweise gestartet. "Ich kann deutlich sagen, dass insbesondere im Fernverkehr der Tag mehr oder weniger gelaufen ist", warnte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. Der Regionalverkehr falle vormittags weitgehend aus. Seiler kündigte an, Reisenden "wie in der Vergangenheit" beim Umbuchen oder Stornieren von Zügen kulant entgegenzukommen.

Zum Arbeitskampf aufgerufen sind alle Gewerkschaftsmitglieder bei der Deutschen Bahn und in weiteren 50 Bus- und Bahn-Unternehmen, wo derzeit verhandelt wird. Die Gewerkschaft macht die Arbeitgeber für die Warnstreiks verantwortlich. "Zuerst ist die Bahn beim Lohn mit gar nichts gekommen, dann mit zu wenig", sagte Verhandlungsführer Kristian Loroch. Weitere Zugausfälle sind bereits greifbar nahe. "Wir sind bereit, die Streiks massiv auszubauen, wenn wir nicht kriegen, was wir brauchen", kündigte Ingenschay an. Im Moment halte man mehrtägige Streiks noch nicht für verhältnismäßig. Aber das könne sich ändern, je nachdem, wie die Verhandlungen laufen. "Wenn ein Arbeitgeber sich verweigert, müssen wir irgendwann eskalieren", so Loroch.

Die Deutsche Bahn bezeichnete den neuen EVG-Streik am Freitag als reine Mitgliederwerbeaktion. "Was soll das? Dieser Streik ist völlig unnütz und unnötig", sagte Personalvorstand Martin Seiler. "Am Freitag, dem reisestärksten Tag der Woche, trifft er viele Pendler und Pendlerinnen besonders hart. Die EVG hat Maß und Mitte komplett verloren und setzt nur auf Krawall". Hunderttausende Wochenendpendler würden in Mitleidenschaft gezogen.

Auch an mehreren Flughäfen ist von Mittwochnacht an bis zur Nacht auf Samstag mit großen Ausfällen zu rechnen. Die Gewerkschaft Verdi kündigte an, mit Streiks des Luftsicherheitspersonals die Flughäfen Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart und Köln/Bonn weitgehend lahmzulegen. Laut Airportverband ADV sind knapp 100000 Passagiere betroffen. Es ist mit längeren Wartezeiten bis hin zu Flugausfällen oder Streichungen zu rechnen. Streiken werden Beschäftigte, die in der Fluggast- und Warenkontrolle und in Servicebereichen tätig sind.

Der Streik beginnt in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag und endet in der Nacht von Freitag auf Samstag. Verdi verhandelt, um Bezahlung von Überstunden und die Zeitzuschläge für Nacht- und Wochenendarbeit zu verbessern. Die Bahngewerkschaft EVG erklärte, man habe keine gemeinsame Aktion mit Verdi abgestimmt.

Schon vor der Verkündung der neuen Streikaktionen bei den Zügen waren besonders Gewerkschaft und Deutsche Bahn hart aufeinandergeprallt. Dort arbeiten mit 180 000 Beschäftigten die meisten der 230 000 Mitarbeiter, für die die EVG verhandelt. Die übrigen Beschäftigten sind in meist lokalen Verkehrsbetrieben tätig. Die Bahn stieß sich bereits an dem Warnstreik, mit dem die EVG zusammen mit Verdi Ende März den Nah- und Fernverkehr in der Bundesrepublik ziemlich lahmlegte - vor einer mehrwöchigen Verhandlungspause.

Die Vorstellungen von Arbeitnehmervertretern und Bahn liegen weit auseinander. Die Gewerkschaft verlangt für ein Jahr zwölf Prozent mehr Lohn; mindestens aber soll es 650 Euro brutto mehr im Monat geben. Damit würden Beschäftigte, die weniger verdienen, einen überproportionalen Aufschlag erhalten. Die Gewerkschaften argumentieren, dass diese Mitarbeiter besonders stark unter der Inflation litten. Sicherheits- oder Reinigungskräfte bekämen auf diese Weise eine Lohnerhöhung von mehr als 25 Prozent.

Die Bahn offerierte dagegen zunächst nur eine Inflationsprämie von 2500 Euro und fünf Prozent mehr Lohn. Allerdings sollte der Tarifvertrag dafür zwei Jahre und drei Monate laufen. Die Gewerkschaft wies das zurück.

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Diese Woche schlug Bahn-Personalvorstand Martin Seiler vor, dass sich die Tarifpartner am Schlichtungsvorschlag für den öffentlichen Dienst orientieren. Danach sollen die 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen für zwei Jahre 200 Euro plus mindestens 5,5 Prozent mehr Lohn plus Inflationsprämie von 3000 Euro erhalten. Am Wochenende verhandeln Arbeitgeber und Gewerkschaften im öffentlichen Dienst über diesen Vorschlag.

Die Verhandlungsführer der EVG lehnen es jedoch geradezu empört ab, sich am öffentlichen Dienst zu orientieren. Cosima Ingenschay und Kristian Loroch kritisieren unter anderem, dass der Schlichtervorschlag eine Inflationsprämie enthält, die nicht dauerhaft gezahlt wird. Am Mittwoch sagte Loroch: "Die Bahn hätte jederzeit verhandlungsfähige Angebote unterbreiten können. Sie hat die Osterferien nicht genutzt." Auch eine lange Laufzeit lehnt die EVG bisher ab.

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Bahn-Personalvorstand Seiler verteidigt dagegen seinen Vorstoß, sich am öffentlichen Dienst zu orientieren. "Warum sollte das, was für die 2,5 Millionen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes gut ist, nicht auch für 180000 Eisenbahner und Eisenbahnerinnen gut sein? Die EVG muss sich endlich ihrer Verantwortung für die Mitarbeitenden jetzt stellen. Eine Lösung ist möglich, aber die gibt es nur am Tisch."

Die nächsten Verhandlungen der EVG mit der Bahn finden am 25. April statt. Die Gewerkschaft steht in dieser Tarifrunde gleich mehrfach unter Druck. Zum einen haben die Eisenbahner durch die Teuerungsrate von acht Prozent im vergangenen Jahr real deutlich weniger Gehalt zur Verfügung gehabt. Auch in diesem Jahr dürfte die Inflation bei etwa sechs Prozent liegen.

Zum anderen hat die EVG niedrigen Lohnabschlüssen zugestimmt, als das Geschäft der Bahnbetriebe in der Corona-Pandemie zusammenbrach und sie hohe Verluste anhäuften. Für diese Zugeständnisse war die EVG von der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) verspottet worden. Die GDL drängte auch in der Krise auf hohe Lohnsteigerungen und versucht zunehmend, Mitglieder in Bereichen zu werben, die bisher die EVG dominierte.

Beobachter gehen daher davon aus, dass die EVG diesmal nur einem Abschluss zustimmen wird, der über dem liegt, was derzeit im öffentlichen Dienst im Gespräch ist. Schon die erste Forderung war mit zwölf Prozent höher als die ohnehin offensiven 10,5 Prozent, die Verdi ursprünglich für den öffentlichen Dienst verlangt. Im Herbst stehen auch neue Tarifverhandlungen der GDL an, so dass die EVG dieses Jahr im direkten Vergleich mit ihrer Konkurrenz steht.

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