Verkehr:Warum der große Bahnstreik später noch droht

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Viele Züge werden am Montag nicht auf die Strecke gehen - obwohl der große Streik erst einmal abgewendet wurde. (Foto: Michael Probst/AP)

Nach dem Vergleich vor Gericht verhandeln Gewerkschaft und Konzern jetzt erst mal. Doch der Frieden ist brüchig - und neue Arbeitskämpfe weiter möglich.

Von Alexander Hagelüken und Benedikt Peters

Millionen Reisende in Deutschland können zunächst aufatmen. Der geplante 50-Stunden-Großstreik an diesem Montag und Dienstag wurde in letzter Minute abgewendet. Die Arbeitsniederlegungen zur Durchsetzung höherer Löhne hätten zu mehr Zugausfällen und Verspätungen geführt als die bisherigen Warnstreiks. Bahn und Gewerkschaft EVG verhandeln nun erst mal. Allerdings können die Reisenden keineswegs beruhigt sein. Massive Aktionen sind weiterhin möglich. Die EVG erklärte bereits, sie werde unter bestimmten Umständen erneut den Zugverkehr lahmlegen.

Und trotz der Absage des 50-Stunden-Arbeitskampfs ist zu Wochenbeginn mit weniger Verbindungen zu rechnen. Am Montag führen rund zwei Drittel der geplanten Züge im Fernverkehr, teilte die Bahn am Sonntag mit. Reisende berichteten schon am Sonntag von ausgefallenen oder überfüllten Fernzügen. "Ab Dienstag werden alle ICE- und IC-Züge wieder wie geplant unterwegs sein", kündigte die Deutsche Bahn an.

Außerdem ist der Streik nur für die Deutsche Bahn abgesagt und für kleinere Zugbetriebe, bei denen die Verhandlungen vorankommen. Für andere kleinere Zugfirmen gilt der Streikaufruf weiterhin, erklärte die EVG. So etwa in Bayern für die Bayerische Oberlandbahn (BOB), die Bayerische Regiobahn (BRB) und den Meridian.

Der abgesagte 50-Stunden-Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn wäre der längste Warnstreik seit der Reform des Unternehmens 1994 geworden, sagt der Arbeitsforscher Alexander Gallas von der Universität Kassel. Die Bahn versuchte, den Arbeitskampf am Samstag durch einen Eilantrag beim Arbeitsgericht Frankfurt zu stoppen. Dem entsprachen die Richter nicht. Sie bewegten aber Konzern und Gewerkschaft EVG, die seit Monaten erbittert um höhere Gehälter für Bahn-Angestellte ringen, zu einem Vergleich.

Demnach sollen beide Seiten nun zügig und konstruktiv weiterverhandeln. Außerdem gibt es eine Annäherung zu den Mindestlohn-Beziehern bei der Bahn. Das Thema betrifft nur ein Prozent der knapp 200 000 Bahn-Beschäftigten, wird aber von der EVG mit großem Nachdruck verfolgt. Der Streit darum ist eine wesentliche Ursache dafür, warum es in den Lohnverhandlungen bisher nicht voranging. Die EVG hatte verlangt, dass die Mindestlohn-Bezieher, etwa Reinigungskräfte und Sicherheitspersonal, voll von der Gehaltserhöhung profitieren, die in der laufenden Tarifrunde ausgehandelt wird.

Ob es doch noch zu einem massiven Bahnstreik kommt, hängt nun davon ab, wie lange der Frieden zwischen den streitenden Tarifparteien hält. DB-Personalvorstand Martin Seiler erklärte, der Gang vors Arbeitsgericht habe sich für alle Seiten gelohnt. Die Gewerkschaft klingt skeptischer.

Die Bahn habe vor Gericht unmissverständlich erklärt, dass sie "unsere Forderungen zum Mindestlohn erfüllt", so die Gewerkschaft. Der Konzern müsse dies aber nun schnell in Gesprächen verbindlich bestätigen. "Sollte der Arbeitgeber wortbrüchig werden, werden wir erneut zu einem Streik aufrufen", so die EVG. Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay hatte zuvor im SZ-Interview angekündigt, dass neue Warnstreiks massiver ausfallen werden als das, was die Reisenden bisher erlebt haben. Organisatorisch sei die Gewerkschaft zu drastischen Beeinträchtigungen in der Lage, auch wenn sie diese derzeit gar nicht vorhabe: "Wir könnten die Bahn wochenlang lahmlegen."

Brisant für die Reisenden ist, dass ein großer Warnstreik durch das Gericht nicht ausgeschlossen wurde. Das geschieht auch selten. Die Bahn hatte argumentiert, der Warnstreik von 50 Stunden sei unverhältnismäßig. Denn sie habe über zehn Prozent Lohnerhöhung angeboten, die zentrale Vorbedingung der EVG erfüllt und sich mehrmals auf die Gewerkschaft zubewegt.

Dieser Argumentation folgte das Arbeitsgericht Frankfurt aber offenbar nicht. Es sei vor dem Gericht deutlich geworden, dass ein massiver Warnstreik möglich und zulässig sei, erklärte die EVG. Ebenso sieht es der Arbeitsforscher Gallas. In anderen Branchen seien Warnstreiks von ein bis zwei Tagen durchaus üblich. "50 Stunden sind ein kurzer und klar umrissener Zeitraum", so Gallas. Sie wirkten für die Bürger deshalb so lang, weil die Auswirkungen sehr spürbar seien.

Die Gewerkschaft EVG sieht sich in der Frage der Zulässigkeit des Streiks als Sieger. Die Absage des Arbeitskampfs könnte sie jedoch schwächen. Weil der Streik so kurzfristig gestoppt wurde, sind womöglich manche Beschäftigte verstimmt und künftig weniger zu Aktionen bereit.

Die EVG hatte ursprünglich am Donnerstag dazu aufgerufen, ab Sonntagabend bis Dienstag Mitternacht den Zugverkehr lahmzulegen. Das wäre deutlich länger gewesen als bei den Aktionen Ende März und Ende April, die weniger als einen Tag dauerten. Hintergrund ist der erbitterte Tarifkonflikt, in dem sich seit Monaten kaum etwas tut.

Die EVG fordert für 230 000 Beschäftigte bei der Deutschen Bahn und weiteren Zugbetrieben insbesondere wegen der hohen Inflation zwölf Prozent mehr Lohn. Es soll eine Mindesterhöhung geben, so dass Mitarbeiter mit geringerem Gehalt besonders profitieren würden. Die Bahn bietet inzwischen für Mittel- und Geringverdiener zehn Prozent mehr Lohn plus Inflationsprämie, verteilt auf 27 Monate Laufzeit des Tarifvertrags.

Die Bahn bezeichnet das als historisch höchstes Angebot, das sie je gemacht habe. Es entspricht in etwa den Lohnabschlüssen, welche die Großgewerkschaften IG Metall und Verdi für die vier Millionen Metaller und 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst herausgeholt haben. Die EVG stuft es dennoch bisher als "keine Basis" für einen Lohndeal ein.

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