China-Geschäft:Die Autoindustrie hat sich in eine gefährliche Abhängigkeit begeben

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Mit der Zeit siedelten sich auch die Zulieferer der Autobauer in China an, etwa Unternehmen wie der Dachausrüster Webasto aus Stockdorf bei München. (Foto: Charlie Xia)

Deutsche Autohersteller und ihre Zulieferer haben jahrelang alles auf China gesetzt. Das zahlte sich aus, die Gewinne sprudelten. Doch die Strategie ist riskant geworden.

Kommentar von Thomas Fromm

Von Anfang an war es eine Art Geschäft auf Gegenseitigkeit. Das, was Manager gerne eine Win-win-Situation nennen. Die deutschen Hersteller bauten und verkauften ihre Limousinen in China und verdienten jahrelang sehr auskömmlich damit. Wenn eine Milliardenbevölkerung von Rad und Rikscha auf Audi, BMW und Daimler umsteigt, dann kann so etwas unfassbare Wachstumsschübe in Ingolstadt und anderswo auslösen. Im Gegenzug mussten die Deutschen mit chinesischen Unternehmen vor Ort zusammenarbeiten, die bei dieser Gelegenheit sehr viel über den Autobau Made in Germany lernten. Aber was waren schon ein paar Kopien verglichen mit den Milliardengewinnen, die man im Gegenzug einstreichen konnte? Win-win.

Mit der Zeit siedelten sich auch die Zulieferer der Autobauer in China an, Unternehmen wie der Dachausrüster Webasto aus Stockdorf bei München. 20 Jahre nach dem China-Einstieg hat der Zulieferer heute elf Standorte in dem Land und macht hier eine Milliarde Euro Umsatz, 40 Prozent des Geschäfts. Webasto ohne China? Kaum vorstellbar. Längst sind Zulieferer wie das Stockdorfer Unternehmen genauso abhängig vom chinesischen Markt wie ihre Kunden in Wolfsburg und Stuttgart.

Wenn 40 Prozent vom Gesamtkonzerngewinn und mehr aus einer Landesgesellschaft mit Sitz in Peking kommen, ist das nicht nur wirtschaftlich brandgefährlich. Die Abhängigkeiten können auch zu größeren politischen Verwerfungen führen.

Uiguren, Hongkong, Taiwan - das war lange kein Thema

Von Politik war in all den Jahren allerdings selten bis nie die Rede. Xinjiang, die Unterdrückung der Uiguren, Hongkong, Taiwan? Kein Thema, warum auch? Das Geschäft zog die Aktienkurse ja beständig mit sich nach oben, und in Berlin regierte eine Auto-Bundeskanzlerin, die oft nach China reiste, weil sie hoffte, dass sich durch ausreichend Handel irgendwann auch etwas wandelt. Die Denkschule der "Wandel-durch-Handel"-Anhänger mag schon häufiger funktioniert haben. Hier hat sie es leider nicht.

So hätte es für die deutsche Industrie schon seit einiger Zeit gute Gründe gegeben, sich freier zu machen von China und ihr Geschäft breiter zu verteilen. Stattdessen aber: Die Abhängigkeit wächst weiter, statt zurückgedreht zu werden.

Zwei Tage, zwei Nachrichten. Die erste: Der Pekinger Autokonzern BAIC ist bei Daimler einflussreicher als bisher bekannt, er hält jetzt an die zehn Prozent der Anteile des Stuttgarter Herstellers, dazu kommen die Anteile des chinesischen Großinvestors Geely - der Dax-Konzern ist inzwischen zu fast 20 Prozent in chinesischer Hand. Die zweite Nachricht: BMW will seinen großen Stadtgeländewagen X5 bald nicht mehr nur im US-amerikanischen Spartanburg in Bundesstaat South Carolina bauen, sondern auch in China. Man darf das durchaus als ein klares Signal verstehen: Wir bauen da, wo wir zu guten Preisen gut verkaufen können - und wir lassen uns dabei weder von amerikanisch-chinesischen Spannungen noch von neuen Zollhemmnissen ausbremsen.

Die alte Logik, die Produktion folgt den Märkten, gilt immer noch

Wenn sich die USA und China immer weiter entkoppeln, dann wird einfach neu verteilt.

Es ist im Grunde immer noch die alte Logik der 90er- und 2000er-Jahre, wonach die Produktion den Märkten zu folgen hat. Leider aber ist die Welt seitdem noch etwas komplizierter geworden. Die Frage ist: Wie wollen die strategischen Planer in Stockdorf, Wolfsburg, München oder Stuttgart eigentlich reagieren, sollte China tatsächlich in den Inselstaat Taiwan einfallen? Geht dann noch Business as usual? Joint Ventures, gemeinsame Projekte mit Partnern, die im Zweifelsfall sogar wie BAIC staatlich kontrolliert werden? Und was, wenn noch mehr Details über Zwangsarbeit in Arbeitslagern für Uiguren bekannt werden? Es wäre an der Zeit, die Dinge neu zu bewerten und sich unabhängiger von China zu machen. Auch wenn das zunächst auf Kosten der Gewinnmarge geht.

Dass die neue Außenministerin Annalena Baerbock nun einen neuen, kritischeren Kurs fährt, hat man in Peking durchaus zur Kenntnis genommen. Interessant hierzu der sehr dezente Hinweis der chinesischen Botschaft in Berlin: Man hoffe, dass "einzelne deutsche Politiker China und die chinesisch-deutschen Beziehungen objektiv und ganzheitlich betrachten". Ganzheitliche Betrachtung - das kann man natürlich auch so verstehen: Es gibt, liebe Ministerin, nicht nur Außenpolitik, es gibt auch wirtschaftliche Beziehungen. Es gibt da zum Beispiel eine Autoindustrie, die einen großen Teil ihres Geldes in China verdient. Und die ohne China gerade nicht das wäre, was sie ist.

Thomas Fromm hat für E-Autos grundsätzlich mehr Sympathie als für Panzer. (Foto: Bernd Schifferdecker)
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