Astra Zeneca:Ein großer Pharmakonzern, der noch größer werden will

Lesezeit: 3 min

Astra Zeneca kann oder will die Lieferversprechen an die EU nicht einhalten. Wie der Traditionskonzern in die Schusslinie der Kritiker geriet.

Von Elisabeth Dostert

So schnell können Helden in Ungnade fallen. Seit Tagen ist Astra Zeneca in der Kritik, weil der britisch-schwedische Konzern sein Lieferversprechen an die EU nicht einhalten will - oder kann. Vorstandschef Pascal Soriot ist in die Schusslinie geraten und muss sich verteidigen. Der Slogan des Konzerns lautet: "What science can do" - was Wissenschaft erreichen kann. Es ist einer dieser Sprüche, die Leistung demonstrieren sollen, aber auch noch passen, wenn die Leistung eher mangelhaft ist.

Dabei fing die Geschichte so schön an. Schon Ende April 2020 schloss der britisch-schwedische Astra-Zeneca-Konzern eine Vereinbarung mit dem Jenner-Institut der britischen Universität Oxford, um dessen Impfstoffkandidaten gegen das neue Coronavirus weltweit weiterzuentwickeln und zu vermarkten. Es ist eine dieser in der Pharma- und Biotechnologie üblichen Beziehungen. Traditionskonzern ohne eigene Idee, aber mit viel Geld, Erfahrung und einem weltweiten Vertriebsnetz sucht sich jüngere Partner, ein Forschungsinstitut wie Jenner oder ein Start-up.

Corona-Impfstoff
:Verwirrung um Krisensitzung der EU mit Astra Zeneca

Das Unternehmen hatte ein Treffen mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten abgesagt - nun soll doch über die Kürzungen der Impfstofflieferungen gesprochen werden. Unterdessen wurde ein verdächtiges Paket bei einem Zulieferer von Astra Zeneca entdeckt.

Ein sicheres Investment für Astra Zeneca, denn viele Vorarbeiten waren schon erledigt. Der Kandidat ChAdOx1-S, wie der Impfstoff damals noch hieß, war schon gefunden. Und anders als die neue, auf Boten-RNA basierende Impfstoffklasse von Biontech, Curevac und Moderna ist es eine erprobte Technologie. Es handelt es sich um einen Vektor-Impfstoff. Ein zuvor harmlos gemachtes Virus wird gespritzt, das aber wiederum eine Immunantwort des Körpers auslöst. Schon Mitte April hatten das Jenner-Institut und der deutsche Konzern Merck - sie arbeiten schon eine Weile zusammen - die Voraussetzungen geschaffen, den Impfstoff, wenn er denn mal zugelassen ist, in großem Maßstab herzustellen.

Das US-Gesundheitsministerium versprach 1,2 Milliarden Dollar

Eine Weile läuft's für Astra Zeneca, es gibt viel Geld. Im Sommer verspricht das US-Gesundheitsministerium bis zu 1,2 Milliarden Dollar. Dafür will Astra Zeneca mindestens 300 Millionen Dosen liefern. Großbritannien, das Heimatland des Konzerns, sagt fast 70 Millionen Pfund zu. Der Konzern schließt Verträge mit der Impfallianz Gavi und der Forschungsallianz Cepi. Im Juni schließt der Konzern mit der von Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien gegründeten inklusiven Impfallianz eine Liefervereinbarung von bis zu 400 Millionen Dosen, in die dann später die EU-Kommission einsteigt. Eine Lizenz für seinen Impfstoff vergibt Astra Zeneca an das Serum Institute of India. Was so wissenschaftlich klingt, ist ein indisches Familienunternehmen und gemessen am Produktionsvolumen der größte Impfstoffhersteller der Welt.

Es gab auch Rückschläge. Im September zeigt ein Proband schwere Nebenwirkungen, und Astra Zeneca muss die klinische Studie für seinen Corona-Impfstoff einige Wochen unterbrechen. Einer der Gründe, warum der Impfstoff bis heute nicht in den USA zugelassen ist. Im Heimatland Großbritannien ist er das seit Ende Dezember.

Das Unternehmen sucht sich Verbündete und macht Tempo

Astra Zeneca demonstriert fast lehrbuchhaft, wie ein großer Pharmakonzern arbeitet, der noch größer werden will: Er sucht sich Verbündete, leistet sich Übernahmen und macht ordentlich Tempo, um im besten Fall der Erste zu sein. "The winner takes it all." Wer als Erster mit einem neuen Produkt auf dem Markt ist, streicht die Gewinne ein - oder zumindest einen großen Teil. Beim Covid-Impfstoff hat das nicht ganz geklappt. Da war das Duo Biontech/Pfizer schneller. Fast beiläufig kündigte Astra Zeneca Mitte Dezember den Kauf der US-Biotechnologiefirma Alexion für fast 40 Milliarden Dollar an. Sie ist auf seltene Erkrankungen spezialisiert.

Gut möglich, dass der Kauf Astra Zeneca im Ranking der weltweit größten Pharmakonzerne einige Plätze nach vorne bringt. In der von der Wirtschafts- und Beratungsfirma EY veröffentlichten Rangliste lag Astra Zeneca 2019 auf Platz elf. Spitzenreiter sind - gemessen am Pharmaumsatz - Roche, Pfizer und Johnson & Johnson.

Wachse, übernehme, oder du wirst übernommen. Auch für Astra Zeneca gab es schon potente Interessenten. 2014 bot der US-Konzern Pfizer fast 100 Milliarden Dollar für Astra Zeneca. Die Attacke konnte Pascal Soriot, heute 61, abwehren. Der Franzose ist seit Herbst 2012 Vorstandschef. Er übernahm einen Konzern in einem desolaten Zustand. Soriot schaffte die Wende. Im vergangenen Sommer kursierten Gerüchte über eine Fusion mit dem US-Konzern Gilead, einem Anbieter von HIV-Therapien. Es blieben Gerüchte.

Astra Zeneca ist auf Krebs, Kreislauf-, Herz-, Stoffwechsel-, Autoimmun- und Atemwegserkrankungen spezialisiert. Zu den Blockbustern - sie bringen mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz jährlich - zählen laut Geschäftsbericht 2019 die Krebsmedikamente Tagrisso, Imfinzi und Lynparza, das Antidiabetikum Farxiga und die Asthmamittel Symbicort und Pulmicort. 2019 setzte der Konzern mit Hauptsitz in Cambridge mit weltweit mehr als 70 000 Mitarbeitern gut 24 Milliarden Dollar um. Die Aktien sind unter dem Kürzel AZN an den Börsen in London, Stockholm und New York notiert. In London kostet das Papier derzeit deutlich mehr als 80 Pfund. Insgesamt ist Astra Zeneca gut 100 Milliarden Pfund wert und damit eines der wertvollsten Mitglieder des FTSE 100, des wichtigsten britischen Index.

Der Konzern entstand im April 1999 durch eine Fusion der schwedischen Firma Astra mit der britischen Zeneca. Astra wurde 1913 in Södertälje von Ärzten und Apothekern gegründet, die sich aus der Abhängigkeit Schwedens von den damals dominierenden Pharmakonzernen aus der Schweiz und Deutschland lösen wollten. Zeneca entstand 1993 als Abspaltung des Pharmageschäfts von Imperial Chemical Industries. Einzelheiten der Geschichte kann man sich mühsam auf Internetseiten zusammenklauben. Der Konzern selbst widmet auf seiner Internetseite nur wenige Zeilen der eigenen frühen Geschichte. Soriot ist ein Mann, der lieber nach vorne schaut.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAstra Zeneca
:Stoff für Zoff

In der EU ist das Impfpräparat von Astra Zeneca noch nicht einmal zugelassen, aber schon jetzt bereitet es Probleme. Woran liegt das? Hat die EU Fehler gemacht? Und warum soll nun ein Liefervertrag mit Schwärzungen veröffentlicht werden? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Hanno Charisius, Björn Finke, Nico Fried und Christina Kunkel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: