Bezahlung:Zwölf Euro Mindestlohn helfen vor allem Frauen

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In der Gastronomie müssen viele Beschäftigte mit dem Mindestlohn auskommen. (Foto: Sigrid Gombert/imago images/Westend61)

Von einer Erhöhung würden viele Ausbildungsberufe profitieren. Insgesamt könnten bis zu zehn Millionen Bürger mit mehr Geld rechnen.

Von Alexander Hagelüken

Der Mindestlohn ist ein Thema im Wahlkampf. SPD und Grüne wollen ihn auf zwölf Euro erhöhen, andere Parteien nicht. Doch wer würde überhaupt davon profitieren? Eine neue Untersuchung zeigt, dass es dabei durchaus Überraschungen gibt. Und dass Frauen öfter mit mehr Geld rechnen können als Männer.

Seit Juli gilt in Deutschland ein Mindestlohn von 9,60 (nach zuvor 9,50) Euro die Stunde. Weniger darf kein Arbeitgeber zahlen, außer in Ausnahmefällen, wie an bestimmte Praktikanten oder anfangs an Menschen, die lange ohne Job waren. Nach Empfehlung der unabhängigen Kommission, die die Regierung eingerichtet hat, soll der Mindestlohn in weiteren Stufen bis Mitte 2022 auf 10,45 Euro steigen. Mit den aktuellen 9,60 Euro kommt jemand in Vollzeit auf etwa 1600 Euro, vor Abzügen. Wer davon in Städten allein eine Miete zahlen muss, hat oft ein Problem. Auch für andere Arbeitnehmer wird es finanziell knapp.

Wer genau hat etwas davon, wenn sich SPD und Grüne durchsetzen, die im Wahlkampf zwölf Euro die Stunde fordern? Es sind erst mal erstaunlich viele: Bis zu zehn Millionen Bundesbürger, die heute weniger verdienen. Das sagt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes und wissenschaftliche Erkenntnisse stützt. Und es sind womöglich noch mehr. Denn ein höherer Mindestlohn nutzt auch manchen Arbeitnehmern, die jetzt schon etwas mehr verdienen. Etwa weil ihnen Unternehmen mehr Geld bieten, damit sie nicht abspringen, wenn durch die allgemeine Erhöhung des Lohnniveaus neue Angebote entstehen.

Und welche Beschäftigte profitieren direkt, weil sie heute weniger als zwölf Euro die Stunde bekommen? Das sind nicht nur Mitarbeiter in Restaurants oder Supermärkten, deren magere Bezahlung bekannt ist. "Leider schützt auch eine abgeschlossene, mehrjährige Berufsausbildung nicht zuverlässig vor einer Niedriglohnbeschäftigung", berichtet Malte Lübker, der für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) Gehaltsangaben von 200 000 Beschäftigten ausgewertet hat. Ergebnis: Unter den 50 Berufen, bei denen heute am häufigsten unter zwölf Euro gezahlt wird, finden sich weit vorne Friseusen, Bäckereiverkäufer oder Floristinnen. Also Jobs, für die man drei Jahre Ausbildung braucht. Und dann doch nur mäßig verdient.

Auch andere beliebte Ausbildungsberufe tauchen da auf: Kfz-Mechatroniker oder Angestellte in Arztpraxen, Anwaltskanzleien, Geschäften und Firmenbüros. "Also viele Menschen, die aufgrund ihrer soliden Ausbildung früher wie selbstverständlich zur Mittelschicht gezählt hätten", so Lübker. Früher? Was sich verändert hat, ist, dass Unternehmen zur Jahrtausendwende mehr als zwei Drittel der Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlten. Heute kommt nur noch jede(r) zweite in den Genuss des meist höheren Lohnes, den ein gewerkschaftlicher ausgehandelter Vertrag bringt. Die anderen rutschen, Ausbildung hin oder her, leichter in schlecht bezahlte Jobs als früher - und würden von zwölf Euro Mindestlohn profitieren.

Einer Studie zufolge würden viele Minijobs wegfallen

Generell ist niemand davor gefeit, in seinem Berufsleben für kurze oder längere Zeit mal wenig zu verdienen, warnt Lübker. Aber es gibt Risikofaktoren. Eines davon ist eindeutig das Geschlecht. Frauen müssen sich häufiger mit wenig Lohn abfinden, gerade wenn sie in Teilzeit arbeiten oder nur einen befristeten Vertrag haben. Sie wären also häufiger als Männer Gewinner von mehr Mindestlohn. Ein höheres Niedriglohn-Risiko hat auch, wer als Helfer arbeitet oder angelernt wurde. Wessen Betrieb weniger als 100 Beschäftigte hat. Und wer im Osten oder Norden der Bundesrepublik wohnt und arbeitet. Auf wen mehrere dieser Faktoren zutreffen, verdient entsprechend oft wenig.

Auf den ersten Blick gibt es also sehr viele Profiteure eines höheren Mindestlohns, wie ihn SPD und Grüne vorschlagen - und auch die Linke, die sogar 13 Euro die Stunde fordert. Aber gehen bei so einer staatlich verordneten Lohnerhöhung nicht massenweise Jobs verloren, weshalb die Betroffenen gar nichts davon hätten? Diese Frage stand von Anfang an im Zentrum der politischen Diskussion. Bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 warnten marktliberale Ökonomen, dies koste viele Hunderttausende Arbeitsplätze. Was sich als völlig falsch herausstellte.

Trotzdem ist eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro kein Selbstläufer. Denn die Einführung damals 2015 fiel mit Jahren guter Konjunktur und sinkender Arbeitslosenzahlen zusammen. 2020 allerdings verursachte die Corona-Pandemie den zweitschwersten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegsgeschichte, von dem sich das Land erst in diesem Jahr wieder durchgreifend erholt. Noch gibt es ein paar Hunderttausend Arbeitslose mehr als vor der Krise.

Einige Ökonomen schlagen deshalb vor, den Mindestlohn lieber langsam zu erhöhen, um Jobverluste zu vermeiden. Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau von der Uni Mannheim kommen in einer neuen Studie zu optimistischeren Ergebnissen. Demnach würde die Gesamtbeschäftigung nicht sinken, wenn der Mindestlohn schrittweise auf zwölf Euro steigt. Viele Minijobs mit höchstens 450 Euro würden wegfallen, dafür Voll- und Teilzeitjobs entstehen.

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