Agrarpolitik:Viel Arbeit für den Neuen

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Die Erwartungen an ihn sind jetzt groß: Cem Özdemir, der neue Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages. (Foto: Florian Gaertner/imago images)

Cem Özdemir soll richten, was den vorherigen Regierungen nicht gelungen ist: die Aussöhnung der Landwirte mit Umwelt- und Tierschützern. Ein gewaltiges Vorhaben, das Fingerspitzengefühl erfordert.

Von Michael Bauchmüller, Thomas Hummel und Silvia Liebrich

An guten Wünschen mangelt es Cem Özdemir in diesen Tagen nicht. "Ein herzliches Moin aus Niedersachsen", etwa ruft ihm ein Landwirt von der Weser via Twitter-Video zu - um ihn dann auf den Wald im Hintergrund aufmerksam zu machen, mit angeblich vier Wolfsrudeln, die sich "exzessiv ausbreiten". Artenschutz dürfe "nicht ausarten", warnt der Mann. Andere drehen Selfies auf ihren Höfen und laden den neuen Agrarminister von den Grünen ein. "Lernen Sie uns einfach kennen", sagt eine Bäuerin aus Ostfriesland. Die Erwartungen sind groß.

Denn von den großen Baustellen in der Landwirtschaft ist so gut wie keine gelöst. Nach wie vor sehen sich die Landwirte im Griff des Lebensmitteleinzelhandels, allen Friedensangeboten zum Trotz. Die Schweinepreise verharren im Keller, seit die Afrikanische Schweinepest im Osten Deutschlands grassiert. Aus Brüssel zieht neues Ungemach heran, weil vielerorts immer noch zu viel Dünger ausgebracht werden darf, zu Lasten des Trinkwassers; es drohen millionenschwere Strafzahlungen. Das Totalherbizid Glyphosat, auf das viele Landwirte schwören, verschwindet definitiv im übernächsten Jahr vom Markt.

Noch ist der Ton freundlich gegenüber der neuen Regierung - doch schon bald könnten wieder Traktoren rollen, aus Protest. Viele Landwirte klagen über politische Auflagen, fühlen sich von der Politik gegängelt. Sie sehen sich als Buhmänner einer Gesellschaft, die zwar hohe Ansprüche an Tierwohl und Naturschutz stellt, aber wenig dafür zahlen will.

Die alte Regierung ließ die Vorschläge der Zukunftskommission liegen

Um den Konflikt zu entschärfen, hatte die alte Bundesregierung eigens eine "Zukunftskommission" eingesetzt. Sie sollte sich der Frage annehmen, wie sich der Wunsch nach einer nachhaltigen, möglichst naturnahen Landwirtschaft mit den ökonomischen Interessen der Landwirte vereinbaren lässt. Beteiligt waren Vertreter der Landwirtschaft, aber auch aus Handel, Wissenschaft, von Umweltverbänden und dem Verbraucherschutz. "Die Ökologisierung einer ökonomisch ertragsstarken Landwirtschaft am Gunststandort Deutschland hat ihren Preis", schloss die Kommission. "Sie zu unterlassen, ist teurer." Die Gesellschaft müsste es sich also etwas kosten lassen, dass die Bauern naturnäher wirtschaften. Doch die alte Bundesregierung ließ das Ergebnis liegen.

Aber auch im Koalitionsvertrag der Ampel findet sich davon wenig. 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 setzt sich die Ampel zum Ziel, dafür sollen auch die Förderungen erhöht werden. EU-Mittel sollen stärker Klima- und Umweltleistungen entlohnen - das aber erst in der nächsten Förderperiode, die 2027 beginnt. "Wie Landwirtschaft eine Zukunft haben kann, sodass junge Leute gerne Betriebe übernehmen, dazu lese ich wenig", sagt Kathrin Muus, die für die Landjugend in der Zukunftskommission saß. "Wir hatten einen Vorschlag gemacht, der alle Interessen ausgleicht." Dass sich davon so wenig im Koalitionsvertrag finde, "ist ein Rückschlag". Stattdessen lege das Vertragswerk einen Schwerpunkt auf den Tierschutz.

Die neue Koalition will Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme und Betäubungsanlagen einführen. (Foto: Niels P. Joergensen)

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, freut sich genau darüber. Er sei "sehr freudig und hoffnungsvoll" gestimmt, sagt er. Seine Freude bezieht sich zum Beispiel auf das Ziel, ein Prüf- und Zulassungsverfahren für Stallsysteme und Betäubungsanlagen einzuführen. Schröder glaubt, dass dadurch einige Haltungsformen gar nicht mehr erlaubt sein werden, wie etwa der sogenannte Warmstall für Schweine, wo die Tiere in der Mast auf einem Spaltenboden über ihren Ausscheidungen leben, ohne Auslauf oder Ruhezonen. Zudem nimmt sich die Ampel-Koalition vor, Gesetzeslücken zu füllen. Die bestehen etwa rund um die Haltung von Rindern und Puten, wo es bislang keine Standards gibt. "Das muss ganz schnell passieren", fordert Schröder, denn dies sei eine zentrale Voraussetzung dafür, das versprochene staatliche und verpflichtende Tierwohlkennzeichen einzuführen. Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) beteuerte stets, ein solches Kennzeichen sei nicht mit EU-Recht vereinbar - die neue Regierung nimmt sich nun vor, diese Zweifel zu widerlegen.

Für Tierschützer zentral ist die Ankündigung, die Höchstzahl gehaltener Nutztiere wieder daran zu orientieren, wie viel Fläche ein Betrieb zur Verfügung hat. Dies solle zudem in Einklang mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes gebracht werden. "Das kann nur bedeuten, dass die Tierbestände in Deutschland reduziert werden", sagt Schröder. Allein die Entsorgung der vielen Gülle schaffe enorme Probleme. Katrin Wenz, Agrarexpertin vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), hat hier durchaus auch Lob für die Vorgängerregierung übrig, die ihrer Ansicht nach bereits einen wichtigen Kompromiss zwischen Bauern und Umweltverbänden auf den Weg gebracht hat. "Damit haben wir einen riesigen Graben überwunden", meint sie.

Agrarminister Özdemir muss jetzt erst einmal zuhören und viel lernen

Wenz sorgt sich allerdings um die Frage, woher das Geld für all die Veränderungen kommen soll. "Landwirtschaftliche Betriebe müssen dringend beim Umbau unterstützt werden", fordert sie. Wie genau das gelingen soll, da bleiben die Koalitionsparteien vage: Ein von "Marktteilnehmern getragenes finanzielles System" soll hier greifen. Was auch bedeuten dürfte, dass tierische Produkte für Verbraucher am Ende teurer werden. "Das allein wird allerdings nicht reichen", glaubt auch Tierschutzbund-Präsident Schröder. Um etwa soziale Verwerfungen zu verhindern, wenn die Preise stark erhöht werden müssen, sollte der Staat lieber anderweitig Geld zuschießen. Bauernpräsident Joachim Rukwied macht sich ebenfalls Sorgen um die Finanzierung: "Mir kommt die Ökonomie etwas zu kurz", kritisiert er.

Defizite im neuen Koalitionsvertrag sieht Umweltschützerin Wenz darüber hinaus beim Einsatz von Pestiziden. Zwar sollen glyphosathaltige Mittel bis Ende 2023 vom deutschen Markt verschwinden. Konkrete Reduktionsziele beim Einsatz von Pestiziden allgemein oder gar Verbote für besonders toxische Stoffe fehlen jedoch ganz. Für die Umweltschützerin ist das eine Enttäuschung - und ein Rückschlag im Bemühen um mehr Artenschutz.

Cem Özdemir, der Neue, wird jetzt erst einmal eine Menge lernen müssen, denn mit Landwirtschaft hatte er bisher nicht viel am Hut. Diesen Mittwoch hat er offiziell sein Amt als neuer Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft angetreten. Als Staatssekretärin holte er sich Silvia Bender ins Haus, eine Agrarökonomin, die sowohl für den Bund für Umwelt und Naturschutz als auch für den Ökoanbau-Verband Bioland tätig war - zuletzt aber als Staatssekretärin im brandenburgischen Landwirtschaftsministerium diente. Er selbst sei künftig, so sagte Özdemir bei seiner ersten Vorstellung, "der oberste Anwalt der Bäuerinnen und Bauern bei uns im Land, aber auch der oberste Tierschützer". In der ersten Zeit gehe es nun "vor allem ums Zuhören". Die Gelegenheit bietet sich ihm bereits am 22. Januar, dann rollen wieder die Traktoren der alljährlichen "Wir haben es satt!"-Demonstration durch Berlin. Diesmal unter dem Motto "Neustart Agrarpolitik" - genau der wird von Özdemir erwartet.

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