Wenn Spott töten könnte, wären Holland-Tomaten längst ausgestorben. Schon lange werden sie als "vierter Aggregatzustand von Wasser" verhöhnt. Noch immer verderben die Kunstprodukte aus dem Nährstoffsubstrat landauf landab jeden Sommersalat. Die meisten modernen Sorten sind auf Ertrag optimiert und sehen die Sonne nur durch den Treibhaus-Filter. Deshalb sind sie so billig und schmecken nach nichts.
Selbst wenn man Setzlinge im Garten-Center kauft und eigenhändig aufzieht, ist das Ergebnis oft enttäuschend: viel Arbeit für wenig Genuss. Dabei gibt es eine wundervolle Vielfalt von (alten) Tomatensorten mit ihrem jeweils eigenen süßsauren Aroma. Die Züchterin Janet Glausch hat in ihrem Garten 175 Sorten ausprobiert, bevor sie in ihrem neuen Buch "Pflanzen-Lovestory" mehr als 200 Seiten mit Tipps zur Vermehrung gefüllt hat. Meine Nachbarn - Biologen in zweiter Generation mit Holzhaus, alpinen Steinschafen und großem Garten - haben es immerhin auf zwei Dutzend Sorten gebracht.
Begonnen haben sie mit Hilfe der Initiative Arche Noah aus Schiltern bei Wien. Seit 30 Jahren setzen sich die Österreicher für den Erhalt alter Arten ein. In den vergangenen 120 Jahren sei die Sortenvielfalt durch die Industrialisierung der Landwirtschaft weltweit um 75 Prozent zurückgegangen. Deshalb gibt es online ein umfangreiches Sortenhandbuch und auf Wunsch Saatgut-Päckchen oder Jungpflanzen für die Mitglieder. Dabei ist es durchaus erwünscht, dass die Samen weiterverbreitet werden.
Der Autor dieser Zeilen hat schon mal vier Tomaten-Pflänzchen inklusive Schulung abgekriegt. Kein Zauberwerk, möchte man meinen, aber wie alle Gärtnerei eine Frage von Geduld und Spucke. Der Zyklus beginnt Ende Februar, wenn die Winterfröste beinahe alles Grün ausradiert haben. Dann träumt man vom Geschmack des vergangenen Sommers und kramt im Samenvorrat. Vorausgesetzt, man hat ein paar Früchte ausreifen und die Samen auf saugfähigen Zelltüchern trocknen lassen.
Mit den Samen keimt die Hoffnung, und die Fleißarbeit beginnt
So simpel soll das sein? Die Kunst besteht darin, die Sorten nicht durcheinanderzubringen und die Samentütchen sorgfältig zu beschriften. Als Anfänger tut man sich mit etikettierten Jungpflanzen von Nachbarn, Saatgut-Initiativen oder spezialisierten Gärtnereien am leichtesten. Dann bekommt jeder Tomatensamen ein eigenes Töpfchen und einen Platz unterm Dach- oder Südfenster, am besten mit einem zusätzlichen Pflanzenlicht, um das Wachstum in der dunklen Jahreszeit zu fördern.
Mit den Samen keimt die Hoffnung, und die Fleißarbeit beginnt. Janet Glausch und meine Nachbarn empfehlen häufiges Umtopfen in immer größere Töpfe. Um die Wurzelbildung am Haupttrieb zu fördern, werden die Jungpflanzen tief bis knapp unter die ersten Blätter eingegraben. Wer mutig ist, kann die Töpfe ab April/Mai auf den Balkon oder ins geschützte Freiland stellen, muss sie bei Nachtfrost aber wieder reinräumen. Dann folgt: gießen, gießen, gießen. Dafür wird die Zunge belohnt - und der Zyklus kann im nächsten Jahr von vorne beginnen.